Kapitel 3

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Unsicher versuche ich in die Klasse zu lächeln, was mir absolut nicht gelingt.

An der Arbeit haben wir schon seit Monaten geschrieben und geplant. Trotzdem kann ich mein Zittern nicht stoppen, ich fühle bereits den Frosch in meinem Hals sitzen, der nur darauf wartet, zum Vorschein zu kommen.

Das licht ist grell, die Luft viel zu stickig. Am liebsten möchte ich das Fenster weit öffnen. Mit einem Blick nach draussen erkenne ich, dass es bereits dunkel ist. Meine Kurse gehen oft bis spät in den Abend.

Während Tatjana mit der Präsentation beginnt, muss ich mich ein paar Mal räuspern, bevor ich meine Notizen hervorhole und meinen Part übernehme.

Ich muss ehrlich sagen, Tatjana als seine Partnerin zu haben ist das Beste, was einem passieren kann. Ich befürchte jedoch, dass sie das nicht erwidern kann. Ich weiss nicht, ob Herr Miller dies absichtlich getan hat, uns ich eine Gruppe zu stecken. Wir haben wirklich nur eine Sache gemeinsam. Und zwar, dass wir zu den Besten der Klasse gehören. Während ich keine Hobbys habe ausser Lesen und mit Mike telefonieren, unregelmässig lasse ich mich auch gerne abzocken, ist ihre Leidenschaft, Männer zu testen. Ich selber habe das noch nie live mitbekommen und grundsätzlich halte auch nichts von dem Tratsch von anderen. Jedoch wird vieles sehr schnell herumgesprochen, gelästert und beschuldigt. Ich versuche immer so gut es geht, mich von allen und allem fern zu halten, meinen Status aufrecht zu erhalten.

Mit der Zeit hat sich das Zittern meiner Stimme langsam gelegt. Und als Herr Miller mir ein aufmunterndes Lächeln zuwirft, habe ich alles andere um mich ausgeblendet. Herr Miller ist einer der besten Dozenten hier an der Uni. Nach einem peinlichen Gespräch über meine Probleme mit dem Präsentieren, fällt es mir auch schon ein kleines Stück leichter.

Nach etwa fünfundvierzig Minuten sprechen sind wir durch. Die Klasse applaudiert und unsere Arbeit scheint gut angekommen zu sein. Besser als ich auf jeden Fall. Denn ich bin froh, als wir zurück auf unsere Plätze gehen können. Auf dem Weg dahin wirft mir Tatjana noch ein kurzes Nicken zu, was ich nicht deuten kann. Anscheinend soll das bedeuten: Unsere Zusammenarbeit ist hiermit beendet und wir haben uns nichts mehr zu sagen.

Dagegen habe ich absolut nichts einzuwenden. Wie schon erwähnt, sind wir beide im sozialen Bereich sehr ähnlich. Sie gibt mir das Gefühl, mich nicht eigenartig fühlen zu müssen, dass ich die Pausen lieber alleine verbringe oder die Arbeiten lieber als Einzelarbeit erledige.

Kaum ertönt das Klingeln, renne ich fast aus dem Klassenzimmer und mache ich mich auch schon auf den Weg zum Aufzug. Das Pling ertönt und die Türen öffnen sich. Gott sei Dank, er ist leer. Ich wähle den obersten Knopf und so schnell ich denken kann, bin ich auch schon auf dem Dach angekommen.

Draussen lehne ich mich erstmals mit dem Rücken gegen die Wand und atme einmal tief durch. Mehr als einmal.

Geschafft.

Und scheisse, ist mir heiss. Ich streiche mir meine verschwitzen langen Haare aus der Stirne und schliesse die Augen.

Mit geschlossenen Augen und zurückgelehntem Kopf atme ich den frischen Wind ein. Es ist ungewöhnlich. Ich höre den hupenden Autos zu und stelle mir vor, da unten zu stehen. Mitten auf der Strasse. Um mich herum die wirrenden Leute. Viel zu gestresst von der Arbeit und den Feiertagen. Den Freitagen, die sie eigentlich geniessen sollten aber dann doch viel zu viel geplant haben, damit der Stress wieder siegt. Die vielen Lichter der Autos, die bei einem Schwindel auslösen. Die Ampeln, die im Minutentakt von rot auf orange und grün wechseln. Die stickende Luft, voll mit Abgasen und ungewöhnlich riechenden Düften der Menschen, der Essensstände und der Schächte.

Aber nein. Ich riche frischen Wind, als würde ich auf einem Berggipfel stehen. Ich öffne die Augen. Und ich sehe keine Ampeln; keine stressenden Menschen, die wie Bienen herum schwirren oder Lichter, die mein Kopf vernebeln. Ich sehe ein Universum, das die Menschheit überragt. Eine Macht, der man nie gerecht werden kann und die die Zeit so sehr im Griff hat, dass wir es nicht mal rennend hinterher schaffen.

Unumgehbare Lust (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt