Kapitel 4

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Mein Hals war blau geworden. Mir war die Panik ins Gesicht geschrieben, als ich mich im Spiegel betrachtete. Abdecken war unmöglich, weshalb ich eine breitere Choker-Kette ummachte, die wenigstens die auffälligsten Stellen verdeckte, auch wenn es etwas wehtat. 

Ich komplettierte mein Make-up und aß einen Toast, bevor ich zur Schule aufbrach. Will wartete bereits auf mich, weshalb ich mich auf den Beifahrersitz fallen ließ. Er fuhr direkt los und fragte mich während der Fahrt nach meiner Meinung zu einer neuen Tattooidee von ihm. Ich widmete mich voll dem Gespräch, um nicht wieder in meine Gedanken zu fallen.

Als der Parkplatz der Schule in Sichtweite kam, rutschte mir jedoch mein Herz in die Hose. Von Weitem sah ich wieder die SUVs und genau an diesen musste ich vorbei. Will schien, meine Panik bemerkt zu haben, denn er legte seine rechte Hand auf mein Bein. Direkt beruhigte ich mich und lehnte mich zurück. Er parkte so, dass er von dort auf die Autos im Blick hatte und schaute sich die Autos genauer an.

Auch ich scannte die Autos mit den Augen ab und erkannte wieder den Typen. "Was macht der denn hier", meinte Will verwirrt und kniff die Augenbrauen zusammen. "Wer?", fragte ich verwirrt und folgte seinem Blick. "Der tätowierte Typ mit der Sonnenbrille", erwiderte Will und begutachtete diesen. Er meinte offensichtlich den Typen, der mich am Vortag fast umgebracht hätte. "Wer ist das denn?", fragte ich neugierig, denn er hatte um einiges mehr Ahnung von den Azura als ich. Immerhin hatte er einige von ihnen tätowiert. "Das ist die rechte Hand vom Boss und sowas wie der 'Oberschläger'. Halte dich von dem Kerl fern, der macht wohl auch keinen Halt vor Frauen", erklärte Will, sodass ich schluckte und ihn mit großen Augen anschaute. Er erwiderte meinen Blick verwirrt. "Der war gestern bei mir zuhause", meinte ich. Er atmete gepresst aus und ließ sich in den Sitz fallen. "Du hast echt ein Problem."

Gedämpft hörte ich das Klingeln der Schulglocke, weshalb ich mit weichen Knien ausstieg. Wir verabschiedeten uns kurz, bevor ich zum Gebäude aufbrach. Natürlich musste ich an den Autos vorbei. Flüchtig warf ich einen Blick auf den Typen.

Offensichtlich hatte er mich erkannt, denn er fixierte mich mit seinem Blick, während er seine Lippen zu einem bösen Grinsen verzog. Wieder durchzog mich die Angst, weshalb ich meinen Blick abwandte und meinen Schritt beschleunigte, um schnell im Gebäude anzukommen.

Wenn das so weiterging, würde es nicht mehr lange dauern, bis ich einen Herzinfarkt bekam. Im Unterricht passierte glücklicherweise nichts, jedoch traute ich mich in den Pausen gar nicht nach draußen sondern blieb lieber in der Nähe meines Spindes. Ich zuckte zusammen, als eine Durchsage ertönte. "Lorelei Crawford bitte ins Büro des Direktors." Genervt stöhnte ich, bevor ich zu diesem Büro aufbrach. Ich ließ mir Zeit, denn ich freute mich schon auf meinen Himbeertee, den er mir jedes Mal machte. 

Dort angekommen klopfte ich an, bevor ich eintrat. Der Schulleiter saß hinter seinem Schreibtisch und rührte mit einem Löffel in seiner Tasse. "Hallo Lorelei", begrüßte er mich mit einem warmen Lächeln. Ich erwiderte das Lächeln und schloss die Tür hinter mir, bevor ich mich hinsetzte. "Ihre gute Tasse der Westküste? Sind wir wirklich schon so weit?", merkte ich freundlich an, als ich sah, dass vor mir seine Lieblingstasse stand, auf dem eine Karte der Westküste der USA abgebildet war. Ich rührte um und nippte an der Tasse, bevor ich mich zurücklehnte. 

"Mir wurde von mehreren Lehrern mitgeteilt, dass sie sich Sorgen um dich machen", setzte er an und trank selbst von seiner Tasse. "Worum gehts?", fragte ich neugierig nach. Er räusperte sich und schob seine Brille zurecht. "Um die blauen Flecken", erwiderte er. Ich bekam allgemein sehr schnell blaue Flecken und die an meinen Armen kamen von dem wilden One Night Stand am letzten Samstag. "Die an meinen Armen? Sie wissen doch, wie manche Männer im Bett abgehen können", plauderte ich und grinste in meine Tasse hinein. Er schaute kurz geschockt, bevor er den Kopf schüttelte. "Gemeint ist dein Hals", erklärte er. Ich schluckte, was wohlgemerkt wehtat, als hätte ich eine Mandelentzündung. "Meine Mom hat ein paar Probleme", wollte ich beginnen, er unterbrach mich jedoch direkt. "Ich habe dir schon so oft gesagt, dass du mit mir reden kannst, wenn deine Mutter dich schlagen sollte." "Aber es war nicht meine Mutter. Sie schuldet den Azura Geld und leider war nur ich zuhause", gab ich zu und trank den Rest der Tasse leer. Er nickte verstehend. "Pass auf dich auf, Kleine", sagte er noch, bevor er mich aus dem Büro entließ. 

Er war wirklich ein fürsorglicher Mann und er glaubte mir. Wieso sollte ich ihn anlügen? Er war wie ein Vater für mich, seit ich auf diese Schule ging. Er wusste, dass es mir nicht unbedingt besser ging, würde ich nicht bei meiner Mutter leben und noch viel wichtiger war, dass meine Mutter ohne mich verloren wäre. Immerhin sorgte ich dafür, dass sie nicht verhungerte. 

Nach Schulschluss wurde ich wieder von Will abgeholt, der mit mir zu einem kleinen Diner fuhr, in dem wir oft was aßen. Wir bestellten uns das gleiche wie immer und warteten auf unsere Burger. Für manche mochte es komisch wirken, dass Will und ich beste Freunde waren, immerhin war er 23 und ich erst 17, jedoch war er mental höchstens volljährig und ich recht reif, da ich recht früh die Verantwortung über meine Mom und mich übernehmen musste. Erst hatten Will und ich eine F+, aber das wurde uns irgendwann zu blöd, weshalb wir jetzt nur noch normale Freunde waren. Er war auch derjenige gewesen, der mich damals entjungfert hatte und er brüstete sich damit immer noch. 

Die Bedienung stellte unsere Getränke auf den Tisch. Begeistert zog ich den Vanille-Milchshake zu mir und trank den ersten Schluck. Dieser Laden machte den besten, den ich je probiert hatte und ich hatte mich durch einige Läden durchprobiert. Kurz später kam auch unser Essen. Will biss direkt in seinen Burger, während ich zuerst meine Pommes verspeiste. Bei mir war es schon immer so, dass ich die Beilage zuerst aß, warum auch immer. Meinen Burger bewahrte ich mir bis zum Schluss auf. 

"Ich habe übrigens eine Idee für ein neues Tattoo", setzte ich an und lächelte Will an. Lachend verdrehte er die Augen. "Zeig mal her", erwiderte er, weshalb ich mein Handy herausholte und das Bild raussuchte, das ich gefunden hatte. Ich zeigte es ihm und erklärte, was ich aber gern anders hätte als auf dem Bild. Er nickte immer wieder und warf auch selbst etwas ein. Wir besprachen es weiter, bis wir beide aufgegessen hatten. Bei der Bedienung bezahlten wir und verließen den Laden. Er brachte mich noch nach Hause, bevor er wieder fuhr. 

Mit der Post in der Hand ging ich die Treppen nach Oben und schloss die Wohnungstür auf. Mom war wohl gerade mit jemandem zugange, weshalb ich in der Küche die Post sortierte, bevor ich mit meinen Briefen in mein Zimmer ging. Morgen würde ich auf die Beerdigung von Karl gehen, weshalb ich mir ein angemessenes Outfit zurechtlegte. Den Rest des Tages verbrachte ich mit Hausaufgaben und Lernen für die nächste Klausur, sodass der Abend recht schnell gelaufen war. Recht früh ging ich schlafen, da am nächsten Tag wieder Schule war. Recht schnell war ich eingeschlafen und träumte ausnahmsweise mal von nichts, was mir auch lieb so war, denn nach der letzten Nacht war ich noch erschöpfter als vor dem Schlafen. 

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