Teil 12: Hektor und der Abschied

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HEKTOR

»Kannst du sie noch tragen? Oder sollen wir eine Pause einlegen?« Wei warf Kako einen prüfenden Blick zu. Dieser trug meine Mutter auf seinem Rücken. Wir waren fast bei dem See der Wahrheit angekommen. Kakos Gesicht war rot angelaufen und er schnaufte bei jedem Schritt. Wei hatte den Köcher und den Bogen um seinen Rücken gespannt. Der Köcher war fast so groß wie er. Er hatte sein Shirt ausgezogen. Dies benutzte Kako, um die Bauchwunde meiner Mutter zu stopfen.

Ich trottete langsam hinter den beiden her. Mein Kopf war gesenkt und ich hatte auf dem ganzen Weg nicht ein Wort von mir gegeben. Wilbur grunzte. Er schien zu merken, dass es mir nicht gut ginge.

»Wir sind ja gleich da. Alles gut, mein Kleiner«, brummte Kako.

Ich wollte meine Mutter im Wald beerdigen. Sie hatte viel Zeit damit gebracht, die Harmonie des Waldes intakt zu halten.

Kako probierte mich immer wieder aufzumuntern. Sie war eine gute Frau oder Sie hat dich sehr geliebt erklärte er mir. Das half jedoch alles nichts, sie war tot. Sie wurde hingerichtet. Ist sie dem Waldgott zum Opfer gefallen? Oder hatte mein Vater etwas damit zu tun?

Vor uns offenbarte sich der See. Theo und die anderen unterhielten sich. Herzhaftes Gelächter und das Grummeln von Hobor erfüllte die Geräusche des Waldes.

»Hey Leute«, sagte Kako vorsichtig. Er legte den leblosen Körper meiner Mutter auf ein Fleckchen Wiese ab.

»Nein, bitte nicht«, murmelte Alma. Sie lief zu dem Leichnam und senkte ihren Blick zu Boden. Langsam zog sie Kakos Shirt von meiner Mutter und offenbarte einen grauenvollen Anblick. Den durchbohrten Kopf. Sie musste schlucken und wandte sich ab.

Ich setzte mich auf den umgekippten Baum.

»Hektor, das tut mir so leid«, flüsterte Theo. Er stand hinter mir und legte seine Hände auf meine Schultern. Ich atmete tief ein. Dann verlor ich die Kontrolle meiner Gefühle. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Theo streichelte mir über den Rücken. Wei kam ebenfalls zu uns und platzierte sich neben mich.

»Sie musste so leiden.« Ich spürte einen Knoten im Hals.

»Hektor, das weißt du nicht.« Wei streichelte mir vorsichtig über den Oberschenkel.

»Guck sie dir doch an!« Mein Körper zitterte. Ich merkte wie trocken mein Mund war und ich befeuchtete ihn mit meiner Zunge. Dabei schmeckte ich die salzigen Tränen. »Das hat sie nicht verdient.« Ich schluckte den Kloß im Hals herunter und wischte mir mit meinem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.

»Wei! Theo! Kommt ihr mal kurz?« Alma war etwas über die Leiche gebeugt. Ich riskierte einen kurzen Blick, aber als ich den zerfleischten Körper sah, zuckte ich zusammen und senkte meinen Kopf erneut.

In diesem Moment flatterte ein Schmetterling auf meine Hand. Ich starrte auf seine wunderschönen bunten Flügel.

»Na, mein Kleiner«, flüsterte ich und hob meine Hand langsam vor mein Gesicht. »Wie geht es dir?« Er flatterte mit seinen Flügeln. Ihm ging es also gut. »Pass auf dich auf«, murmelte ich. Dann erhob er sich und flog über meinen Kopf hinweg. Auf meinen trockenen Lippen machte sich ein kleines Lächeln breit. Wollte mir der Schmetterling etwas mitteilen? Sollte ich nicht traurig sein?

Ich stand auf und schaute zu meinen Freunden. Kako und Wei wuschen oberkörperfrei ihre Kleidung im See. Alma unterhielt sich mit Theo und den Nymphen. Hobor lehnte an einem Baum und schien zu schlafen. Wilbur lag eng an seinen steinigen Körper geschmiegt und schlief ebenfalls.

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