Teil 10: Hektor und Agnes

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HEKTOR

»Sie ist tot? Wo ist sie? Ich muss zu ihr!« Ich spürte wie Panik in mir aufstieg. Meine Hände begannen vor Aufregung zu zittern. Hat sich also alles bewahrheitet? War meine Mutter jetzt gestorben? Umgebracht vom Waldgott?

Kako schöpfte mit einem Blechbecher Wasser aus dem See der Wahrheit. Vorsichtig gab er Runa etwas zu trinken, die langsam wieder zu sich kam. Sie nippte an der Tasse und nahm einen kleinen Schluck.

»Wir müssen doch etwas unternehmen!«. Keiner schien mich zu beachten. Alle standen im Kreis um Runa und starrten auf sie herab. Hobor saß reglos neben dem Baumstamm und beobachtete ein paar kleine Vögel. Er brummte leise und folgte mit seinen Augen jede ihrer Bewegungen. Die Vögel tanzten von Ast zu Ast und zwitscherten ein Lied.

»Kannst du mich zu meiner Mutter bringen?«. Er wandte seinen Blick nicht von den Vögeln ab. »Hobor, bitte.« Ich war so verzweifelt, dass ich einen Steingolem anflehte. Trotz seiner massigen Gestalt wirkte er nicht bedrohlich. Ganz im Gegenteil. Hobor war kindlich und verspielt. Vielleicht sogar etwas dümmlich.

»Hobor Mutter?«.

»Kannst du mich zu ihr bringen? Weißt du wo sie ist? Wo ist Agnes?«. Eine von den Fragen, musste er ja wohl verstanden haben.

»Hobor Mutter.«

Ich seufzte und ließ mich zurück auf den Baumstamm fallen.

»Runa scheint es wieder besser zu gehen.« Theo kam zu mir gelaufen.

»Das freut mich. Ich wünschte ich könnte das Gleiche über meine Mutter sagen.«

»Sollen wir jetzt durch den gesamten Wald marschieren und sie suchen?«. Theo schien mein Problem nicht verstanden zu haben. Wie auch? Er hatte ja zwei liebevolle Eltern, die Zuhause auf ihn warteten.

»Theo, lass es. Ich bin jetzt nicht in der Stimmung für Streitigkeiten.« Ich pulte etwas Rinde vom Baumstamm und senkte meinen Kopf.

Ich spürte eine Hand auf meine Schulter. »Theo, ich habe gesagt-«.

»Ich bin nicht Theo. Da muss ich dich enttäuschen, mein Großer.« Kako hatte sich neben mich gesetzt. Langsam hob ich meinen Kopf und schaute ihn an. Mein Blick fiel auf seine Verbrennung. Die komplette linke Augenpartie war verbrannt. Die Augenbraue schien nicht mehr nachwachsen zu wollen.

»Hat es wehgetan?«. Unbewusst stellte ich die Frage. Ich würde natürlich viel lieber wissen, wo zum Teufel meine Mutter war. Aber mein Unterbewusstsein entschied sich dagegen.

»Ich war nicht ganz Herr meiner Sinne als es passierte. Ich habe nur die Hälfte mitbekommen.« Er streichelte mir kurz über den Kopf. »Aber deswegen habe ich mich jetzt nicht zu dir gesetzt. Ich finde, wir sollten deine Mutter suchen.«

»M-meinst du das ernst?«. Meine Mundwinkel bewegten sich langsam nach oben.

»Ja klar. Du siehst, ich bin gut bewaffnet.« Er zwinkerte mir zu und deutete mit seinen Augen auf die Ansammlung von Messern.

»Muss ich Angst haben?«.

»Ein bisschen.« Kako stand auf. Er schnappte sich ein paar Messer und eine kleine Axt. Er befestigte diese mit einem Lederband an seinem Gürtel. »Willst du auch eins?«.

»Lieber nicht.« Ich grinste etwas beschämt. Ich wusste nicht, was ich mit dem Messer anfangen sollte. Ich konnte mit Stöckern kämpfen, aber das half mir jetzt nicht sonderlich viel.

»Hey Kleiner«, Kako wandte sich Wei zu. »Du kommst mit.«

Ohne zu zögern nickte er und schnappte sich ein Klappmesser vom Boden.

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