kapitel 18

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Vier Jahre später

Ich wünsche mir deine Nähe,
aber sobald ich sie habe,
ist da nur noch Abstand;
ein Abgrund.

Gedankenverloren greife ich nach einer Paprika, während mein Griff um die Zeitung in meinen Händen sich verfestigt. Ich lese die Schlagzeilen, aber sie interessieren mich nicht wirklich. Sie erreichen mich ohnehin nicht zu hundert Prozent, sie lassen mich kalt. Ich brauche Orientierung in dieser seit zwei Monaten neue Stadt für mich, irgendeine Form von Halt. Aber ich fühle mich ehrlich gesagt, als würde ich schweben, als wäre da nichts mehr, worauf ich mich stützen könnte. Ich habe immer meinen Bruder gehabt, aber er ist jetzt ein Ehemann. Er hat wichtigere Sorgen als mich, genau wie auch meine beste Freundin Page. Sie sind immer noch für mich da, aber sie können mich nicht mehr bei jedem Schritt begleiten. Und für jemanden wie mich – jemand, der sich immer darauf gestützt hat – ist das eine komplett neue Erfahrung.

Ich wohne jetzt in New York, einige Stunden von ihnen entfernt. Ich mache alles selbst und neuerdings kann ich mich wieder in die Öffentlichkeit wagen, ohne von der Presse zerfleischt zu werden. Vielleicht, weil ich alle auffälligen Dinge anonym mache. Dadurch wird Lob und Kritik zwar nicht an mich gerichtet, aber wenigstens habe ich so meine Ruhe. Ich kann einkaufen, ohne erkennt zu werden, weil gar niemand Zeit hat, so viel auf andere Leute zu achten, wenn hier alles so groß, überdimensional und überwältigend ist. Gewissermaßen ist das ein Segen für mich.

„Ma'am, haben Sie noch lange?", fragt mich die Kassiererin des kleinen Ladens. Ich sehe etwas überrascht zu ihr auf, während ich abwäge, ob sie gelangweilt oder gestresst wirkt.

„Ähm, nein. Ich bin gleich fertig", seufze ich und zwinge mich zur Konzentration. Ich schweife in den Gedanken viel zu oft ab und das ist definitiv keine gute Eigenschaft.

„Entschuldigen Sie, aber haben Sie hier kein Brot?", wende ich mich wieder an sie. Eine rundliche Brille hockt auf ihrer Nase, durch welche sie mich prüfend anblickt. Dann seufzt sie und erhebt sich. Sie ist etwas kleiner als ich, genau wie Page auch. Sie hat die Haltung einer Mutter, so liebevoll und aufnehmend, dass sich mein Herz zusammenzieht. Sie trägt ein grünes T-Shirt, blaue Hosen und eine dünne Armbanduhr zieht sich um ihr Handgelenk.

„Neu hier?", will sie wissen, während sie mir bedeutet, ihr zu folgen.

„Ja", sage ich. „Seit zwei Monaten."

Die Frau – Mindy Leithes, wie ihr Namensschild verrät– zieht ihre Augenbrauen kraus.

„Wohnst du hier in der Gegend?", erkundigt sie sich, worauf ich nicke. Es überrascht mich, dass sie mich plötzlich duzt, aber ich kommentiere es nicht. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass ich nicht unsympathisch erscheine ... oder eben ihr Mitleid errege.

„Ja, aber ich bin immer in Einkaufszentren gewesen und nicht ... in kleinen Läden."

„Taktischer Fehler. Hier gehen die Dinge viel schneller und du kriegst genauso gute Dinge, wenn nicht sogar bessere. Und das sage ich nicht nur, um Werbung zu machen."

Ich lächle freundlich. „Na dann ist es eine gute Entscheidung gewesen, hierher zu kommen", meine ich. Sie nickt nur zustimmend.

„Ja, die war es tatsächlich. Also, du brauchst Brot?"

Ich nicke, während sie mich zu dem entsprechenden Regal bringt, mir gleichzeitig aber auch Erdbeermarmelade und Erdnussbutter empfiehlt. Sie erzählt mir ein wenig über die Geschichte des Quartiers, aber auch darüber, was man tun und lieber lassen sollte, wenn man es sich bei den Nachbaren nicht verderben möchte. Ich höre ihr aufmerksam zu und kaufe zusätzlich zu ihren Empfehlungen und Butter und eine Nussmischung. Ich lasse mich von Informationen berieseln und versuche mir möglichst alles zu merken, weil es mir wichtig erscheint. Ich kann das nicht erklären, aber ich merke, dass sie mich schon lieber mag, als ich an der Kasse stehe, um zu bezahlen. Als ich mein Porte-Monnaie aus meiner Tasche fische, ertönt die Klingel des Ladens und Mindys Blick schnellt zum Eingang, während sich ihr Gesicht erhellt. Ich folge ihren Augen, weil mich Neugier packt. Als ich aber sehe, wer da steht, gefriert mir das Blut in den Adern.

Save Me MaybeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt