kapitel 43

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In der letzten Viertelstunde ist mir bewusst geworden, was für ein süßer, kleiner Engel Esme ist. Sie ähnelt Romere in ihrem ausgeprägten Willen, in ihrer sympathischen Art und in dem Leuchten in ihren Augen, wenn ihr etwas Freude bereitet. Sie spricht zwar ihrem Alter entsprechend, aber dennoch so, als hätte sie noch viel mehr zu sagen. Während sie mir ihre kleine Puppensammlung zeigt, telefoniert Romere notfalltechnisch im Badezimmer. Zumindest hat er das so gesagt. Ich weiß nicht, worum es geht, aber damit habe ich ihn auch in Ruhe gelassen. Nur weil ich in seiner Wohnung bin, bedeutet das nicht, dass er verpflichtet ist, sein Leben mit mir zu teilen. Esme hat all ihren Puppen einen Namen gegeben, was ich sehr außergewöhnlich finde. Ich habe meinen Puppen nie einen fixen Namen gegeben, denn wenn ich mit Puppen gespielt habe, habe ich das meistens so gemacht, dass sie immer anders geheißen haben. Somit haben sie nämlich immer in einer anderen Geschichte gespielt, zu einer anderen Zeit und in einem komplett anderen Universum.

Romere hat mein Buch behutsam in die Küche gelegt uns einander vorgestellt, ehe mich Esme in Beschlag genommen hat. Er hat das Ganze anfänglich mit einem Lächeln begutachtet, während er im Türrahmen gestanden ist und zugesehen hat, aber seit ungefähr fünf Minuten ist er im Badezimmer. Ich möchte mir eigentlich keine Sorgen machen, aber bis zu einem gewissen Masse kann ich diese Haltung dann doch wieder nicht abschalten, weil ich nicht weiß, was dieses Verhalten seinerseits zu bedeuten hat. Von Minute zu Minute, in welcher er nicht da ist, werde ich etwas nervöser, während ich versuche, Esme dennoch zuzuhören und in den richtigen Momenten einen Kommentar abzugeben.

Endlich kommt Romere dann wieder in ihr Zimmer. Es ist das einzige Zimmer in dieser Wohnung. So weit ich das beurteilt habe, schläft er selbst auf der Couch. Er sieht so gestresst aus, wie ich ihn bisher noch nie erlebt habe.

„Ist alles in Ordnung bei dir?", will ich besorgt wissen, während er zu seiner Tochter geht und ihr hilft, einer Puppe das Kleid richtig anzuziehen. Ich werde ein wenig rot, weil ich das eigentlich auch hätte machen können.

„Ich glaube, ich kann heute nicht arbeiten gehen", sagt er nach einer Weile.

„Wieso nicht?", frage ich vorsichtig. Ich hoffe, dass das nicht wegen mir so ist.

„Weil es niemanden gibt, der auf Esme aufpassen könnte und ich sie nicht allein Zuhause lassen kann."

Ich benetze meine Lippen, während sich in meinem Kopf Fragen überschlagen.

„Hast du sonst immer jemanden, der auf sie aufpasst?"

Romere nickt. „Meine Mutter macht das meistens. Sie liebt ihre Enkelin, aber momentan ist sie im Urlaub. Leath ist beschäftigt und die restlichen Optionen fallen auch weg."

„Was ist zwischen Leath und dir vorgefallen?", frage ich, als mir auffällt, dass mir nie jemand erzählt hat, was zwischen den beiden gewesen ist.

„Er ist Palomas Bruder. Das ist passiert. Er war unendlich lange wütend auf mich, irgendwann hat er allerdings entschieden, dass er lieber ein gutes Verhältnis zu seiner Nichte statt ewigen Streit mit mir haben möchte."

Schweigen breitet sich aus. Esme scheint nicht zu realisieren, dass wir gerade über sie sprechen. In aller Ruhe beschäftigt sie sich weiterhin mit ihren Puppen, während Romere unendlich besorgt aussieht.

„Ist das eine schlechte Sache? Ich meine, dass du jetzt hierbleibst?"

Er presst die Lippen zusammen und nickt dann knapp.

„Ich habe schon ziemlich oft gefehlt, um auf sie aufzupassen. Beim letzten Mal haben sie gesagt, dass ich mein Leben endlich in den Griff kriegen soll, weil sie keine unzuverlässigen Mitarbeiter brauchen können. Das heißt übersetzt, dass ich wahrscheinlich den Job verlieren werde, wenn ich heute wieder ausfalle."

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