Mit einem galanten Degenstoß brachte der landsmännische Ritter, verkörpert von Philipp, seinen Kontrahenten zu Boden. Doch im selben Moment, da er sich seinen Applaus vom Publikum einholte, rappelte sich Jakob, der seinen sarxischen Widersacher darstellte, wieder auf und ging zum Gegenangriff über. Die beiden fuchtelten wie spielende Kinder mit ihren Waffen herum. Der Stahl klimperte einer Bestecklade gleich und das Publikum johlte. Die Reihen waren üppig besetzt, dafür, dass im letzten Jahr bescheidene Leere in der Kasse des Zirkus herrschte. Die Zuschauer hatten sich vom derben Schlag des Krieges erholt, ihre Ersparnisse unter den Dielen hervorgeholt und gönnten sich einen Funken Lebensfreude.
Florentine hoffte, dass die Zuschauerzahlen anhielten. Der Frühling war in vollem Gange und bis zum Sommer galt es die Kasse ausreichend zu füllen, um den kargen Winter durchzustehen. Sie wandte sich von dem Szenario ab und dehnte ihre Muskulatur. Seit ihrem Auftritt vor dem Burgherrn auf Weißwacht waren zwei Wochen vergangen, da sie ihre Nummer nur ohne Publikum geübt hatte. Laurenz stellte dabei keine belangvolle Hilfe dar. Er verließ sich lieber auf sein Talent und widmete seine Zeit gewichtigeren Angelegenheiten. So wie er es in diesem Augenblick sicher tat.
Mürrisch sah sie sich im Darstellerbereich um, aber abgesehen von Johann, der sich bereitmachte, den nächsten Akt anzukündigen, gähnte er vor Leere. Drinnen steigerte sich der Kampfeslärm zum Höhepunkt hin. Der Direktor würde Mühe haben, die Zuschauer zu bändigen, um sie auf das ernstere Programm vorzubereiten. Aber nach eigener Aussage hatte er früher Löwen gebändigt, Menschen waren das kleinere Übel.
Die Stoffbahnen unweit von Florentine öffneten sich und sie setzte ein sauertöpfisches Gesicht auf, um ihren Bruder angemessen zu begrüßen. Doch es war Frieda, die sich humpelnd ihren Weg zu Johann erarbeitete. Besorgt eilte Florentine ihr entgegen und stützte sie.
„Was ist passiert?"
Frieda biss sich auf die Oberlippe. „Der Gaul hat mich getreten."
Wie ein aufgeregter Pudel kam Johann angelaufen: „Wo hast du dein Pferd gelassen?"
„Es steht draußen und lacht sich in die Hufe."
Johanns Blick wanderte Friedas Körper auf und ab, blieb an der rot-bläulichen Verfärbung ihres Knies hängen. „Ich hole ihn für dich", sagte er.
„Wenn du auf ihm reiten willst", erwiderte Frieda mit spöttischem Lächeln.
„Du musst auftreten!"
„Ich muss das hier kühlen."
Johann sah mit Hundeaugen zu Florentine, die abwehrend die Hände hob. „Es ist schauderhaft genug, auf Laurenz zu balancieren."
„Wir können doch nicht die Pferde ausfallen lassen!"
„Es ist der erste Tag, niemand weiß, dass sie Teil des Programms sind."
Johann presste die Lippen zusammen, derweil drang der Applaus durch die Trennwand zum Zuschauerraum.
„Die Bühne gehört dir, Maestro", sagte Florentine mit einem Zwinkern, ehe sie erblasste.
„Was ist los?", fragte Johann alarmiert.
„Wenn Frieda ausfällt, bin ich als Nächstes dran."
„Wo ist dein Bruder?" Er sah sie an, als plane er, sie aufzufressen.
„Warum muss das jedes Mal meine Sorge sein?"
„Niemand außer dir wagt sich in euer Bordell auf vier Rädern."
Florentine stemmte die Hände in die Hüften, aber Johann blieb unerbittlich. „Um der Frieden willen, ich hole ihn!" Damit lief sie aus dem Zelt heraus.
„Was soll ich den Zuschauern sagen?!"
„Erzähl ihnen einen Witz, vielleicht etwas über dich!", rief Florentine ihm durch die Stoffbahn zu. Beim Gedanken an ihren Bruder verging ihr der Schalk augenblicklich wieder. Sie trampelte über die festgestampfte Erde. Der Zeltplatz diente herkömmlich für Versammlungen und lag im Zentrum von Eichenthal. Tagsüber verkehrten hier Handwerker, Kaufleute und Reisende. Hoffentlich waren die Leute in ihr Tagwerk vertieft, sonst würde man sie in ihrem hautengen Untergewand erwischen. Sie erreichte ihren Lagerplatz, wo die Wohnwägen in einem Halbkreis standen. Ohne Umschweife eilte sie auf jenen zu, in dem Florentine mit ihrem Bruder zu schlafen pflegte.
„Laurenz, bist du da drin?!" Sie hämmerte auf die Tür ein, wartete aber keine Antwort ab und riss sie auf. Der Geruch von Schweiß und minderwertigem Parfum wehte ihr entgegen.
Laurenz lag in seinem Bett, unbekleidet. Besser gesagt, eine dralle Frau lag in ihrer beider Bett und Florentines Bruder steckte in ihr. Sie blies die Backen auf, als ihr zu allem Übel der Ring am Finger des Frauenzimmers auffiel.
Die Ehefrau betrachtete sie mit ähnlichem Erstaunen und musterte Florentines Körper.
„Ist das deine Gemahlin?", fragte sie Laurenz.
Dieser schüttelte den Kopf. „Meine Schwester."
Sie öffnete den Mund und begutachtete Florentine erneut, als wäre sie der heiligen Mutter begegnet. Ihr Blick haftete auf ihrem Bauch, dessen Konturen unter dem dünnen Stoff durchschienen. „Wie machen Sie das?"
„Weniger fressen", erwiderte Florentine genervt, „und jetzt raus hier!"
„Komm schon, Schwester; ich war fast fertig!"
„Hat die Aufführung bereits begonnen?", fragte die Frau hektisch, während sie sowohl ihre Blöße mit der Bettdecke kaschierte und ihre Sachen einsammelte.
„Ihr Gatte wartet sicher schon sehnsüchtig auf sie", erwiderte Florentine. Die Frau riss die Augen auf, ließ nun doch die Decke fallen und streifte eilig ihr Kleid über. Laurenz war die Ruhe selbst und begaffte sie dabei ungeniert.
Florentine packte ihn am Ohr. „Wir sind dran oder besser gesagt wir sollten bereits auf der Bühne stehen!"
„Sehen wir uns wieder?", fragte die Frau, ehe sie die Tür öffnete.
„Nein!", antwortete Florentine für ihren Bruder und drängte die Dame nach draußen.
Laurenz stand auf und streckte sich, worauf seine Schwester sich pikiert umdrehte. „Schaffst du es, ohne fremde Hilfe, dich anzuziehen?"
„Ja, Mutter."
„Schön, denn im Gegensatz zu dir muss mir jemand in das Kleid helfen!"
Zurück im Zirkuszelt hörte Florentine die gellenden Lacher aus dem Publikum. Johann verstand sich darauf, die Leute aus der Fassung zu bringen. Er würde sich neue Witze überlegen müssen, nachdem er heute Abend mutmaßlich all sein Pulver verschossen hatte, um die Zeit zu überbrücken. Sie zwängte sich in das etwas zu kleine blaue Kleid, das Johann extra für ihren Akt angeschafft hatte.
Als Laurenz endlich da war, schnürte er ihr den Rücken zu und eilig betraten sie das Hauptzelt. Durch das Dach fiel ein Kegel gleißendes Sonnenlicht ein, welches die Bühne erleuchtete. Er spielte den armen Landstreicher, der sie, die edle Dame, umgarnte.
Johann hatte ein Händchen für Geschichten, die das Publikum begeisterten. Die Darstellung enthielt Witz und gleichzeitig das allseits beliebte Thema Liebe. Laurenz umwarb sie unnachgiebig und sie wehrte ihn mit wachsender Vehemenz ab. Dabei unterstützte die Authentizität der Szene, dass sie heute wahrhaftig sauer auf ihn war. Ein Schubser ließ ihn nach hinten purzeln, eine Ohrfeige war weit mehr als angedeutet, das Publikum genoss die übertriebene Zurschaustellung. Schließlich ergab sie sich seinem Werben und sie fuhren mit dem akrobatischen Teil ihrer Show fort.
Sie griffen sich an den Armen und Laurenz legte einen Fuß an ihre Hüfte, ehe er nach hinten fiel und sie mit sich zog. Für einen Wimpernschlag schwebte sie auf seinen Füßen. Sie spannte ihren Körper an, als er seine Beine anzog und sie hochkatapultierte.
Ein erschrockener Aufruf des Publikums, ehe sie auf seinen Händen neue Balance fand und kopfüber in ebenjenen stand. Sie bog ihren Rücken durch und kam zurück auf die Füße, sonnte sich einen Moment im Applaus des Publikums.
Laurenz hielt ihr seine Hände am Boden bereit, die sie kurz darauf wieder in die Höhe warfen, bis sie auf seinen gestreckten Füßen zum Stehen kam. Sie sprang in die Höhe, drehte sich und er fing sie mit seinen Schienbeinen auf. Tosender Applaus folgte, kaum dass sie ihn mit Hilfe ihres Körpergewichts in den Stand hob. Laurenz ergriff ihre Hüfte und atmete spürbar ein, während sie in den Knien nachgab. Mit vereinter Kraft stemmte er sie weit hinaus über seinen Kopf, sie streckte die Arme zur Seite und fühlte sich ... frei.
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Tanz der Stände
Historical FictionTeil 1 der Tanz-Trilogie Auf der Bühne ist Florentine eine Königin, in den Straßen nur eine Frau des niedersten Standes. Die junge Zirkusartistin sehnt sich nach einem Leben fern des Trubels in den sicheren Armen einer Liebeshochzeit. Als Florentin...