Kapitel 10-1

229 21 5
                                    

Als Lady Aisenberg beim Herzog angekündigt wurde, verstummte der ganze Saal. Sie wusste, dass sie weder zum höheren Adel noch zum Beamtenstaat seiner Durchlaucht gehörte. Was konnte eine Witwe, die sich im Wollhandel verdingte, von ihm wollen? Sein Thronsaal hatte sich verändert. Irena erkannte das geschickte Händchen der einstigen Herzogin, die wohl nicht nur den Ballsaal dem Zeitgeist angepasst hatte. Bedauerlich, dass sie gestorben war, ehe sie auch den Rest des Schlosses umgestalten hatte können. Noch immer hatte die Kälte des uralten Gesteins in diesem Gemäuer die Überhand.
Irena schritt erhobenen Haupts über den Läufer, als wäre sie ihre königliche Hoheit persönlich. Sie verneigte sich ausufernd vor dem Herzog.
„Lady Aisenberg, was für eine seltene Ehre", sagte er steif.
„Es ist eine Weile her."
„Ich frage mich, was Ihr von mir wollen könntet?"
„Ich erbitte eine Privataudienz."
Die gerade wiederaufgenommen leisen Gespräche der Adeligen kamen endgültig zum Erliegen. Brüskierte Blicke stachen ihr in den Rücken. Der Herzog tippte mit dem Finger auf seiner Stuhllehne. Schließlich erhob er sich zögerlich, als wäre er ein alter Mann. „Gewährt."
Niemand reagierte. Wahrscheinlich hielten alle seine Worte für einen Scherz; Spott für diese erstaunliche Forderung. Ungeduldig wedelte der Herzog mit seinen Händen, als vertreibe er eine Horde aufgescheuchter Hühner. „Hinfort. Raus mit Euch."
Der Schreiber und die Wachleute sahen ihn fragend an.
„Alle!"
Widerwillig setzte sich der Pulk in Bewegung und die Gespräche schwollen lauter an. Zuletzt verließen die Wachen den Raum und schlossen das mächtige Portal hinter sich. Der Herzog lauschte in die Stille hinein, bis auch das leise Gesäusel abseits der Tür nicht mehr zu hören war. „Welch eine Wonne für die Ohren." Er kam die Treppen zu Irena hinunter und umarmte sie wie eine alte Freundin.
„Ich hatte mich schon gefragt, wann du kommen würdest."
„Ich wollte dir eigentlich mehr Zeit lassen."
Er streckte den Arm in Richtung seiner Privatgemächer, die sich rechts hinter seinem Thron anschlossen, und hielt ihr den freien Arm hin. Sie ergriff ihn und ließ sich geleiten. In dem überschaubaren Raum angekommen, wo der Herzog Privatgespräche zu führen pflegte, ließ er sich auf einem breiten Sofa nieder und legte sich halb hin. Irena nahm ihm Gegenüber in aufrechter Haltung Platz.
„Also bist du nicht gekommen, um einen alten Freund wiederzusehen?"
„Wie geht es dir?", fragte sie besorgt.
Er fuhr sich durch den Bart und starrte aus dem Fenster. „Ich kann sie nicht vergessen. Sie steckt in allem hier." Er schnippte an einen Kerzenleuchter mit lauter rankenden Verzierungen. „Selbst in Kleinigkeiten."
„Sie war eine gute Frau."
Er nickte tief. „Bist du mir noch böse?"
Sie schüttelte den Kopf. „Das war ich nie. Ich konnte dich nie völlig ausfüllen. Du brauchtest jemanden an deiner Seite."
„Und doch schmerzte mich der Gedanke, dich mit diesem Baron allein zu lassen."
„Er pflegte es, selten zuhause zu sein."
„Und schenkte dir keine Kinder, um dich zu beschäftigen."
„Meine Arbeit genügte mir."
Er schob die Lippen zusammen. „Bist du gekommen, um unsere Vergangenheit wieder aufleben zu lassen?"
„Ich dränge mich nicht zwischen dich und deine Erinnerungen, so sehr ich mir wünschte, die Leere in dir auszufüllen."
Er streckte die Hand aus und sie berührte seine Finger. „Ich danke dir. Es wäre mir lieb, deinen Trost als Freundin zu genießen, bis ich wieder offen bin, mich zu binden."
„Ich werde auf dich warten."
„Wie geht es dir mit deinem Verlust? Ich hörte von seinem Verscheiden damals aber ..."
„... du wagtest es nicht, mir unter die Augen zu treten?", fragte Irina mit wissendem Lächeln, worauf der Herzog peinlich berührt zu Boden sah.
„Es gab Gerüchte um uns und ich wollte sie meiner Frau zuliebe nicht bestärken."
„Die Jahre hatten aus uns keine Liebenden gemacht, aber Freunde. Ich bedauerte seinen Tod, aber er war zu verschmerzen." Tatsächlich hatte sie sich einsamer gefühlt, als sie es zugeben wollte. Ihre Eheschließung war eine Vernunfthochzeit gewesen. Sie hatte ihren Einfluss gemehrt und ihm einen ehrenvollen Hintergrund, während er sich mit anderen vergnügte. Doch die Jahre hatten sie aneinander gebunden, trotzdem sie sich nicht oft sahen. Sie hatten angefangen zu sprechen, sich einander zu öffnen und ihre persönlichen Sorgen auf dem anderen abzuladen. Irina atmete durch, um nicht im Kummer der Vergangenheit zu ertrinken.
Der Herzog richtete sich auf, ging zu einer Anrichte und füllte ihnen zwei Gläser mit Wein. Irina nahm ihr Glas dankend entgegen und gönnte sich einen Schluck. Sie wollte nicht zu viel trinken, brauchte sie doch einen klaren Kopf, um für das Folgende gewappnet zu sein. „Ich bin wegen der Sache mit den Arlings gekommen."
Der Herzog kniff die Augen zusammen. „Warum hatte ich das nur befürchtet?"
„Du hast dem jungen Herrn die Eisen angelegt."
„Ich habe Sir Jeverbruchs rechtmäßigen Anspruch durchgesetzt."
„Du hast dich eher bei dem alten Grafen gerächt."
Der Herzog schürzte die Unterlippe. „Ich werde ihm diese Dreistigkeit nicht so einfach vergessen."
„Du bist selbst schuld, dass du deinen Hofstaat beständig mehrst und er dich mittlerweile mehr kostet, als er dir einbringt."
„Ich habe zu Zeiten des Kriegs, in Erwartung einer Grafschaft, die in meinen Schoß zurückfallen sollte, notwendige Investitionen getätigt."
„Und nun willst du die Arlings dafür bestrafen, dass sie schlauer waren als du."
Der Herzog lächelte grimmig. Hätte jemand anders so mit ihm gesprochen, wäre er aus der Haut gefahren. Aber Irena wusste, wie sehr sie ihn piksen konnte, ehe es zu viel des Guten wurde. „Er hat den Krieg dazu verwendet, um mich in meiner Not zu linken."
„Hat er dir etwa keine Truppen bereitgestellt?" Irina setzte ein genüssliches Lächeln auf, immerhin kannte sie die Antwort.
„Selbstverständlich hat er das."
„Dann hat er seine Pflicht getan."
„Bist du gekommen, um mich zum Narren zu halten? Ich genieße unsere kleinen Zankereien ja zu sehr, aber im Moment ist mir nicht nach Späßen."
„Deine Strafe mag den Grafen geringfügig treffen, doch sie bringt dich dem Ziel nicht näher. Du zwingst den jungen Alexander in die Ehe mit Fräulein Jeverbruch, gehst dabei aber selbst leer aus."
„Ich sichere mir den Zuspruch eines Ritters."
„Und verwirkst dir den eines Grafen."
„Sir Jeverbruch wird das Geld zu nutzen wissen und sich zu Höherem aufschwingen."
Irina schwenkte das Weinglas und betrachtete versonnen ihr Spiegelbild. „Er wird sich über die Jahre seine schmutzige Burg renovieren."
„Was willst du? Dass ich ihm sein Recht verwehre?"
„Nein, der Ritter soll sein Geld haben. Aber nicht den zukünftigen Grafen."
„Was interessiert dich das alles?"
„Ich bin ihm gewissermaßen etwas schuldig. Außerdem sollte gerade dir die Sache am Herzen liegen. Bist du kein Verfechter der Liebeshochzeit?"
„Ich bin ein Herzog."
„Du bist ein Mensch."
„Ich werde keine Grundsatzdiskussionen mit dir führen."
„Stell einen Adelsbrief auf Florentine Freymar aus und du bist mich los."
„Ich würde deine Gegenwart vermissen."
Sie hob verschwörerisch die Brauen. „Ich kann auch ein Biest sein, wenn du es wünschst."
„Und ich dich von den Wachen in Ungnade gefallen vor die Tür setzen lassen."
„Verschieben wir das Geplänkel. Wie stehst du zu meinem Ansinnen?"
„Unvorstellbar. Wie könnte ich eine Zirkusartistin in den Adelsstand erheben? Die Bauern rannten mir die Türen ein."
„Niemand erwartet von dir, dass du es durch Boten im ganzen Land verkünden lässt."
„Die Maulpropaganda so mancher Dame ist wirkungsvoller als der eiligste Herold."
„Sieh es als Investition."
„Ich bezweifle, dass ich der Gunst einer Straßenkünstlerin bedarf. Auch wenn sie hübsch anzusehen ist."
„Der zukünftige Graf interessiert sich nicht für Reichtum. Die Grafschaft bedeutet einen gewaltigen Verwaltungsaufwand."
„So soll er sie in meine Hände zurückgeben."
„Nachdem du ihm die Frau seines Herzens verwehrst?"
„Wer garantiert mir, dass mir seine Dankbarkeit in Land vergütet wird?"
„Habe ich mich je getäuscht?"
Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Ein gieriger Glanz trat in seine Augen, den er mit einem Schluck Wein besänftigte. „Du glaubst also, wenn ich dieses Mädchen aus dem Pöbel adele, wird er mir das seinerzeit in barer Münze vergelten?"
„Bedenke, wie weit du bereit warst zu gehen, um deine Liebe zu haben."
„Ist er wirklich so verliebt? Ich hörte, er wäre der Ehe eher abgeneigt."
„Dass sie ihn dazu trieb, überhaupt über eine Heirat nachzudenken, sollte dir Antwort genug sein."
Er stand nachdenklich auf, ging an seinen Schreibtisch, wo er ein Pergament beschrieb. „Ihres Vaters Name?"
„Werden wir ergänzen."
„Der Tag ihrer Geburt?"
„Dein Siegel reicht mir völlig."
Der Herzog stöhnte auf. „Ich erwarte Geheimhaltung in dieser Angelegenheit. Wenn jemand davon erfährt ..."
„Ich werde es vertraulich behandeln – so wie alles zwischen uns." Sie lächelte ihm vertrauensselig zu und er schien beruhigt. Mit Wachssiegel und Unterschrift bekräftigt, hielt er ihr den Schrieb entgegen, doch als sie danach greifen wollte, zog er die Hand zurück.
„Was ist mit der Tochter des Ritters? Ist die Hochzeit nicht für heute anberaumt?"
„Ich glaube fest, dass wenigstens eine der Anwesenden den Anstand haben wird, die richtige Entscheidung zu treffen."
„Ich soll dir diesen Schrieb also geben, in der Hoffnung, dass womöglich ..."
Irena unterbrach ihn ungeduldig. „Vertrau mir einfach. Sollte ich mich täuschen, werde ich ihn höchstpersönlich zerreißen."
„Somit warte ich mit dem Eintrag ins offizielle Register."
„Wenn es deiner Seele Beruhigung schenkt." Sie seufzte auf und schließlich gab er ihr das Pergament, welches sie eilig zusammenrollte und in den Falten ihrer Robe verschwinden ließ.
„Und wieder hast du mich mit deinen Reizen matt gesetzt."
Sie richtete sich auf und legte ihm von hinten die Hand auf die Schulter. „Ich werde es dir tausendfach vergelten, sobald du dazu bereit bist." Zum Abschied küsste sie ihn auf den Kopf.
„Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben."
Sie hielt in der Bewegung inne und atmete schwer. „Ich ebenso wenig."

Tanz der StändeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt