Kapitel 2-4

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Johanna trat unbehaglich von einem auf den anderen Fuß. Ihr Vater, Sir Jeverbruch, führte vermeintlich gewichtige Gespräche mit einer Schar weiterer Ritter aus dem Süden. Es ging um die Ungerechtigkeit, dass der Herzog ihnen keine finanzielle Unterstützung gab, obwohl die ständigen Scharmützel mit den Sarxen in ihren Ländereien den meisten Schaden verursachten. In den nördlichen Grafschaften erblühten die Felder. In Johannas Heimat traute sich kaum jemand auf sein Feld hinaus.
Heute sollte sie in die Gesellschaft eingeführt werden und noch dieses Jahr unter die Haube kommen. Nicht die romantischste Vorstellung, aber ihr Vater beharrte darauf. Leider erlaubte es ihre finanzielle Lage nicht, ihr dafür neue Kleider schneidern zu lassen. Stattdessen stakste sie in den zu großen ihrer Mutter über das Fest. Ihre Hausdame hatte sie zwar notdürftig angepasst, aber dennoch schleifte der Saum über den Boden. In einiger Entfernung sah sie Elsa, die sich, ihrer Gestik nach, der Gespräche ihrer Verehrer eher erwehrte, statt sie zu führen.
„Vater, darf ich meine Freundin, Elsa Arling, begrüßen?"
Sir Jeverbruch sah ungehalten zur Seite, bis ihm die Bedeutsamkeit dieses Namens in den Sinn kam. „Natürlich, lass sie nicht warten, Kind."
Johanna hastete, so eilig es sich für eine Dame gerade so geziemte, zu ihrer Freundin hinüber. Elsa begrüßte sie mit einem Knicks, ihr Gesicht erstrahlte ob der Ablenkung.
„Meine Herrschaften, dürfte ich mir Madame Arling wohl kurz ausborgen? Ihr Vater verlangt nach ihr." Als Johanna den Grafen höchst selbst erwähnte, beeilte sich die adelige Gesellschaft nur so, ihrem Wunsch nachzukommen, und entließ Elsa ihrer Aufmerksamkeit.
„Du hast mich gerettet", sagte Elsa mit einem Stöhnen, als sie außer Hörweite waren.
„Ich hoffe, die Lüge fällt nicht auf mich zurück."
„Beim nächsten Mal erwähne lieber meinen Bruder Georg. Mein Vater besucht nur sporadisch solche Festivitäten. Bestimmt suchen sie jetzt nach ihm wie Spürhunde, um vor ihm Männchen zu machen."
„Das wird sie zumindest eine Weile beschäftigen", sagte Johanna.
„Wie ist es dir ergangen? Ich habe dich seit der Schule nicht mehr gesehen."
Johanna lächelte ihre Freundin traurig an. „Wir kommen kaum noch von unserem Landsitz. Seit des Sarxenkriegs muss mein Vater ständig wachsam sein. Zwar kommt es nicht zu einer offenen Schlacht, aber immer wieder tauchen kleinere Trupps auf und bedrohen die Pächter."
Elsa schürzte die Lippen. „Das muss schwierig sein."
„Ist es! Jeder Tag dreht sich nur um Geld. Mein Vater ist so schon nicht unbedingt die angenehmste Gesellschaft, aber seitdem seine Bauern die Pacht nicht mehr zahlen und er dem Grafen gegenüber etwas schuldig bleibt ..."
„Mein Vater könnte sicher ein paar Münzen springen lassen", sagte Elsa.
Johanna schüttelte entschieden den Kopf. „Die Ehre des meinigen würde es niemals gestatten, Almosen anzunehmen."
„Und doch besucht er gerade jetzt Königsfels, wo die Bauern ihre Äcker bestellen?"
„Er erhofft sich schnelles Geld."
Elsa sah Johanna nachdenklich an. „Du meinst doch nicht ..."
Johanna vollführte einen vornehmen Knicks und lüftete ihr Kleid. „Ich bin hier, um einen ehrbaren – und insbesondere einen reichen – Bräutigam kennenzulernen."
„Das ist widerlich; will er dich verkaufen?"
„Er erhofft sich einen stattlichen Brautpreis, wenn er mich an den Richtigen vermittelt."
„Fräulein Arling, wie schön Euch hier anzutreffen", meldete sich Sir Jeverbruch, der zwischenzeitlich zu ihnen getreten war.
Elsa neigte höflich den Kopf. „Sir Jeverbruch, es ist auch mir eine Freude." Ihr kühles Lächeln wurde von Johannas Vater entweder nicht wahrgenommen, oder gütig ignoriert.
„Ist denn Euer Bruder, Herr Georg, zugegen?"
Elsas Blick wanderte über die Menge, bis er auf einem Punkt in ebendieser verharrte. „Soll ich Euch zu ihm geleiten?"
Der Ritter winkte nachlässig ab. „Ich danke Euch, aber ich dachte mir eher, Ihr könntet meine Tochter dem zukünftigen Grafen vorstellen."
Johanna hätte am liebsten aufgebrüllt. Wie unangenehm musste es für Elsa sein, gerade als Verkupplerin für ihren Bruder ausgenutzt zu werden? Aber ihre Freundin blieb betont höflich und erwiderte: „Eine glänzende Idee."
Sir Jeverbruch lächelte dankbar und neigte das Haupt.
Elsa nahm Johanna bei der Hand und führte sie zu ihrem Bruder. Johanna fühlte, wie ihre Hände unter den Handschuhen schwitzten. Sie hatte gehofft, sich das Fest nur ansehen zu können, einen Blick aus der Ferne auf die anwesenden Herren zu werfen. Vielleicht bemerkte jemand sie zufällig und sprach sie beim nächsten Ball an. Aber selbst auf einen Mann, noch dazu auf den Junker Arling, zuzugehen, erschien ihr anmaßend. „Das tust du nicht wirklich?", fragte Johanna und kaute sich auf den Nägeln.
„Wenn ich dich von deinem Vater befreien kann, indem du bei uns einheiratest, soll es mir recht sein."
„Ich kenne Georg doch nicht einmal."
Elsa hob die Schultern. „Ich auch nicht." Sie klopfte ihrem Bruder an, der gerade im Gespräch mit einer blassen Dame war, die ihn mit schmachtenden Blicken bedachte.
„Bruder, ich möchte dir gerne meine Freundin vorstellen."
Georg drehte sich ihr verstimmt zu, ehe er sich seufzend an die Dame wandte. „Ihr entschuldigt mich?"
Die Dame lächelte ihn fröhlich an, als würde sie ihm jeglichen Wunsch nur zu gerne erfüllen.
„Es ist erstaunlich, wie langweilig ihr Weibsleute sein könnt", meinte Georg im Gehen, ehe er Johanna bemerkte. „Ich bitte um Verzeihung, Fräulein."
„Das ist Johanna Jeverbruch", stellte Elsa ihre Freundin vor, ehe Johanna einen höflichen Knicks machte.
„Jeverbruch?" Georg griff sich sinnierend ans Kinn. „Euer Vater ist ...?"
„Sir Jeverbruch", sagte Johanna, worauf Georgs Mundwinkel herabsackten.
„Ein Burgfräulein also."
Elsa verengte die Augen. Johanna sah nur betreten zu Boden. Ein Moment peinlicher Stille verging, ehe Georg achselzuckend meinte: „Nunja, ich danke Euch nochmal für meine Errettung. Ich denke, ich nutze die Gunst der Stunde, um das Weite zu suchen. Guten Tag."
„Einen schönen Tag, mein Herr", verabschiedete Johanna sich; Elsa hatte nur einen kühlen Blick für ihn übrig.
„Hast du sonst irgendeinen Vorschlag für einen brauchbaren Mann?", fragte Johanna.
„Hat dir diese Posse für heute nicht gereicht?"
Ihre Freundin verengte die Augen. „Nicht jeder hat es so leicht und kann sich auf seine vermögende Familie stützen."
„Ich wüsste nicht, was daran so viel besser ist."
Johanna vollführte eine weite Armbewegung. „Du kannst dir deinen Bräutigam aussuchen. Jeder Mann wäre dankbar dafür, dich zu ehelichen."
„Alle Welt greift gerne in einen offenen Geldsack."
„Arme Elsa, ich bedauere dich!" Johanna wunderte sich über sich selbst. Aber die sofortige Abfuhr des zukünftigen Grafen hatte sie mehr getroffen, als sie sich eingestehen wollte.
„Warum bist du jetzt sauer auf mich?"
„Du beschwerst dich über zu viele Verehrer!"
„Willst du denn wirklich irgendeinen haben, Hauptsache, dein Vater ist zufrieden?" Elsa verschränkte die Arme vor der Brust.
„Meine Eltern können oder wollen sich mich nicht mehr leisten. Vater meinte, wenn ich keinen Mann bekomme, findet er einen Platz für mich!" Elsa konnte die Problematik nicht nachvollziehen. Ihre Familie war reich und bedeutend. Sie konnte noch jahrelang auf den Richtigen warten und doch wäre ihr Auskommen gesichert. Aber für Johanna war von einem auf den anderen Tag ihre, ohnehin schon wenig erfreuliche, Welt zusammengebrochen.
„Du hast noch mindestens zwei Monate Zeit. Bis dahin finden wir jemanden, der sowohl dich als auch deinen Vater zufriedenstellt."
„Wir? Wenn du in meiner Nähe bist, wird kaum ein Geeigneter ein Auge auf mich werfen."
Elsa schürzte die Lippen. Ihre Wirkung war ihr wohl selbst nicht bewusst. Die meisten Anwärter würden zuerst auf das Vermögen schauen und später die persönlichen Verhältnisse klären. Ihr Gesicht hellte sich auf. „Dann brauche ich einen Freund. Jemanden, der die Vermutung nahelegt, dass ich mich bereits entschieden habe."
Johanna sah zur Seite, wo die ganze Zeit schon ein schwarzhaariger Mann zu ihnen herübersah. „Wie wäre es mit dem da?", fragte sie Elsa, während ihre Pupillen ihrer Freundin den Weg wiesen.
Elsa folgte unauffällig ihrem Deut mit den Augen. „Herr Bocken, der Halbgraf?"
„Halbgraf?"
Elsa grinste verstohlen. „Er war der Anwärter auf die Grafschaft Horntal, bis unsere Familie sie ihm weggeschnappt hatte. Dummerweise hat er im Vorfeld mit seinen zukünftigen Ländereien geprahlt und einiges an Geld im Voraus ausgegeben, in Erwartung seiner ertragreichen neuen Position. Nun nennen ihn viele scherzhaft den Halbgrafen."
„Ich nehme an, er ist nicht gut auf euch zu sprechen?", fragte Johanna.
„Ich fürchte, wir werden es gleich herausfinden."
Elsa hatte Recht, denn Bocken hatte ihre Blicke gespürt oder schon die ganze Zeit vorgehabt, mit ihnen zu sprechen. „Mademoiselle Arling." Er wollte nach Elsas Hand greifen, die diese just in diesem Moment brauchte, um sich durchs Haar zu streifen. Mit gönnerhaftem Lächeln wandelte er den geplanten Handkuss in eine tiefe Verbeugung. „Und Ihr seid?"
„Johanna Jeverbruch", antwortete Johanna.
„Es ist mir eine Ehre", sagte er mit vor Ehrerbietung triefender Stimme. „Ich fragte mich, warum zwei so hübsche, Mesdemoiselles nicht das Tanzbein schwingen?"
Elsa lächelte übertrieben. „Weil bereits zu viele Edelmänner auf unseren Füßen herumgetrampelt sind."
„Ich bitte untertänigst um Verzeihung für die Plattfüße der Tänzer hier und versichere Euch, dass ich Eure Füße nicht weiter strapazieren werde."
„Ich danke Euch vielmals, dass Ihr davon abseht, uns aufzufordern."
Baron Bocken blinzelte, worauf die beiden Frauen sich beherrschen mussten, nicht in unziemliches Gekicher zu verfallen. Elsa wartete Bockens Entgegnung nicht mehr ab, denn offensichtlich wurde ihr Augenmerk von etwas anderem abgelenkt. Sie verabschiedete sich eilig von beiden und eilte zu ihrem Bruder Alexander, der gerade eine Dame in einem blauen Kleid von dannen führte. Bocken machte keinen Hehl daraus, dass er an Johanna kein Interesse hatte und verschwand in der Menge. Johannas Blick folgte weiter Elsa. Diese deutete zu ihr, worauf Alexander sich mit verwirrtem Gesichtsausdruck in Richtung Johanna begab. Kurz darauf zog Elsa die mysteriöse blonde Frau hinter sich her und Johanna sah sie gerade noch in eine Kutsche einsteigen, da stand Alexander vor ihr.
„Fräulein Jeverbruch, ich hörte, Ihr benötigt dringend meine Hilfe?", fragte er.
Johanna legte den Kopf schief. „Es tut mir leid, Herr Arling. Aber ich fürchte, Eure Schwester hat Euch einen Bären aufgebunden."

Tanz der StändeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt