Johanna saß am Frisiertisch, wo ihre Mutter ihre Haare richtete und letzte Korrekturen an ihrem Kleid vornahm. Madame Jeverbruch wahrte den Schein und regte keine Miene, während Johanna ihr Spiegelbild voll von Sorgenfalten und hängenden Mundwinkeln sah. In Kürze würde sie in der Kirche stehen, um sich einem Mann auf Lebenszeit zu verpflichten, den sie überhaupt nicht kannte. Der junge Herr Georg mochte es nicht anders verdient haben. Er hatte sie herablassend behandelt und suchte dem Schein nach ohnehin nur eine lukrative Partie. Doch Alexander gönnte sie dieses Schicksal nicht, noch Florentine, die sie nicht einmal kannte und der Johanna den Ehemann raubte.
Es klopfte an der Tür und sie erwartete, dass es ihr Zukünftiger war, der mit der Kutsche vorfuhr. Doch es war der Wirt, der schon den zweiten Tag um die Bezahlung der Unterkunft bat. Sir Jeverbruch wimmelte ihn gewohnheitsmäßig ab. Heute Abend würde er die Schuld begleichen. Er warf die Tür grimmig ins Schloss.
„Solch ein Lump. Einen Edelmann in seinem Zimmer zu brüskieren."
„Auch ein Bürger muss von etwas leben, mein Gemahl."
„Was verstehst du schon davon, Weib? Wenn ich dem Wirten sage, ich bezahle seine Rechnung, so tue ich das auch. Mich zur Eile anzutreiben, geziemt sich nicht!" Er stellte sich halb hinter Johanna und betrachtete sich von allen Seiten selbstzufrieden im Spiegel. Er war beim Frisör gewesen und hatte ihr letztes Geld für eine modische Perücke rausgeschmissen. Nun, da er den Brautpreis schon vor sich sah, ging der Übermut mit ihm durch. „Ist unsere Tochter bald fertig?"
„Ich passe nur noch die Taille an. Ich hatte dazumal mehr um die Hüfte, als unsere Tochter heute."
„Lass es doch so. Wir werden die Prozession schnellstmöglich abhalten und sie in ihre Hochzeitsnacht entlassen."
„Erwarten wir keine Festlichkeiten?"
Sir Jeverbruch lachte auf. „Dem Grafen wird nach Feiern nicht zumute sein."
Johanna seufzte leise. Ihr Vater war der Einzige, der sich auf die Trauung freute. Zu allem Überfluss war ihr Kleid ähnlich antiquiert wie der Rest der Garderobe ihrer Mutter. Mit einem Ritter verheiratet zu sein, hatte für sie bedeutet, kaum ein neues Gewand von feiner Machart an die Hand zu bekommen. Stattdessen verwandte ihr Vater das gesamte Hausgeld dafür, seine Ausrüstung instand zu halten. Immerhin konnte der Herzog ihn jederzeit ins Feld rufen.
Endlich erlöste sie Alexander, der sie mit einer prächtigen Kutsche, verziert mit Schleifen und Bändern, abholte. Auch für ihre Eltern stand eine eigene, schlichtere bereit. Sie fuhren nordwärts am Domplatz vorbei, dem Johanna einen sehnsüchtigen Blick nachwarf. Was für eine Freude es für jede Braut wäre, in diesem Heiligtum den Bund der Ehe zu schließen. Doch dafür hätte die Ehe von längerer Hand geplant sein müssen. Außerdem hatten die Arlings wohl kaum Bedarf, bei dieser erzwungenen Verbindung unnötig Geld aus dem Fenster zu werfen.
Ihr Gatte sah sie mit gezwungenem Lächeln an, machte ihr halbherzige Komplimente und starrte den Rest der Fahrt hinaus auf die Straße. Was für ein fürchterlicher Gedanke, dass er ein ähnliches Verhalten in ihrer Hochzeitsnacht an den Tag legen würde.
Die Kutsche hielt vor einer alten, massiven Kirche mit Fenstern wie Schießscharten. Vor dem schmucklosen, eisenbeschlagenen Portal wartete Lady Aisenberg, die Johanna nur flüchtig kannte, und knickste höflich vor ihnen ab.
„Ich beglückwünsche Euch zu Eurer Hochzeit, junger Herr und Fräulein." Sie ergriff Alexanders Hand und sah ihn ernst an. „Der Zirkus ist gestern abgereist, ich habe Grüße ausgerichtet."
Alexander atmete hörbar aus. „Ich danke Euch dafür. Ich soll Euch von Elsa grüßen lassen."
„Sie ist bei den Barmherzigen Schwestern untergekommen?"
„Vor Euch kann man nichts verborgen halten."
Sie hob beschwörend die Augenbrauen. „Da habt Ihr Recht, junger Herr."
„Sie war betrübt über den Verlust von Laurenz. Aber viel mehr weil sie ihre Freiheit aufgeben musste, um Bocken zu entkommen."
„Auch Laurenz beklagt ihren Weg zu den Nonnen. Und ich, nicht persönlich gesehen zu haben, wie sie ihren Bräutigam kurz vor dem Altar stehen ließ."
Alexander warf einen Blick zur Seite, wo Johannas Eltern bereits ungeduldig warteten. Lady Aisenberg kam zu Johanna und ergriff ihre Hand. „Wir Frauen mögen uns machtlos sehen in der Gegenwart unserer Herren. Doch Gott erkennt Eure Gleichberechtigung an, junge Dame."
Johanna wusste mit den Worten nichts Rechtes anzufangen und dankte ihr schlicht. Die Lady löste ihre Hände von den ihrigen und hinterließ einen gefalteten Zettel darin. Johanna versteckte ihn flink in ihrer Faust und ließ sich von ihrem Gatten in die Kirche führen.
Das Innere konnte, obgleich der herrlichen Bildnisse, dem goldenen Zierrat und freskenverzierten Deckengewölbe, dem Schein einer Feste nicht trotzen. Auch die Beleuchtung setzte sich nur müßig gegen die allgegenwärtige Dunkelheit durch. Es waren nicht viele Gäste erschienen. Eine Handvoll der Arlings, die Lady Aisenberg und wenige befreundete Ritter mit ihren Familien.
Sir Jeverbruch führte Johanna standesgemäß zum Altar und übergab sie ihrem Zukünftigen. Der Pfarrer begann seine Rede, stotterte auswendig gelernte Verse herunter, während Johanna in gespielter Andacht zu Boden blickte, die Hände vor ihrem Schoß bekreuzigt. Doch statt in Versenkung zu geraten, entfaltete sie das handtellergroße Stück Papier und überflog die eilige geschriebene Nachricht.
Ich werde dich finden.
Adam
Johannas Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie sah sich in der Kirche um, doch nirgends konnte sie seiner sichtig werden. Nur Lady Aisenberg, die sie erwartungsvoll anstierte. Johanna presste den winzigen Schrieb an ihr Herz.
„Willst du, Alexander, Junker von Arling, diese Frau zu deinem dir angetrauten Weib nehmen. Wirst du sie lieben und ehren, bis das der Tod euch scheide?"
Alexander zögerte sichtlich. Johanna sah es in seinem Gesicht arbeiten, doch schließlich senkte er voll Wehmut den Blick. „Ich will."
„Und willst du, Johanna Jeverbruch, diesen Mann zu deinem dir angetrauten Herren nehmen?"
Die Zeit gefror. Sie sah dem ernsten Blick des Pfarrers entgegen. Sah sich selbst, alt und verhärmt an Alexanders Seite. Höchstwahrscheinlich kinderlos, vereinsamt. Höflich behandelt und gehasst von allen, derweil ihr Vater sich nicht einmal die Mühe machte, seine Tochter zu besuchen – außer, um sie um ein weiteres Darlehen zu bitten. Ihre Hand bildete eine schützende Faust um den kleinen Hoffnungsschimmer, der ihr einen anderen Weg wies. Sie sah zu Alexander und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Finde sie", flüsterte sie ihm zu, ehe sie sich mit lauter Stimme an den Pfarrer wandte. „Nein, das möchte ich nicht." Ihre Worte hallten von den gigantischen Wänden unheimlich wieder. Noch nie hatte sie dermaßen energisch und selbstbewusst gesprochen. Sie würde diese Erinnerung bewahren, wenn ihr Vater mit ihr sprach. Sie war eine starke, junge Frau und fähig, ihren eigenen Weg zu gehen.
Der Pfarrer sah flehentlich zu den Familien. Sir Jeverbruch erhob sich fluchend. Seine Ritterkumpanen lächelten ihn spöttisch an. „Revidiere deine Aussage, Kind. Bejahe die Ehe, oder du wirst es bereuen!"
Johanna drehte sich betont langsam um. „Das werde ich nicht tun, Sir. Möget Ihr Euch eher mit den Schweinen suhlen, als das ich einer erzwungenen Heirat zustimme."
Ihr Vater erbleichte ob ihrer Worte, während seine Schultern zusehends bebten, als pumpten sie eine gewaltige Ladung Wut in sein Gesicht. Der Graf von Arling erhob sich und klatschte Beifall, der Rest stimmte ein. Sir Jeverbruch ging mit geballter Faust auf Johanna zu, doch Alexander schob sich vor sie.
„Wagt es nicht, im Haus Gottes Gewalt gegen Eure Tochter anzuwenden!"
Ihr Vater steigerte sich weiter in seine Wut hinein. Johanna kannte seinen Gesichtsausdruck. Ähnlich eines Kochkessels würde er in Kürze übergehen und seiner Wut Platz machen.
„Sir Hemmwehr, Sir Hahnenstein, ich erwarte Eure Gefolgschaft", sagte der Graf. Die Angesprochenen erhoben sich aus der Menge der Zuschauer, traten auf den Hauptgang und neigten die Köpfe vor ihrem Lehnsherren. „Ich trage Euch auf, meinen Sohn, euren zukünftigen Herren und meinen Ehrengast für heute, Madame Johanna, vor diesem Mann zu schützen, der sich der Ritterschaft nicht würdig erweist!"
Die beiden zögerten einen Moment, waren sie zwar vielleicht keine Freunde, aber zumindest gemeinsame Streiter im Feld mit Sir Jeverbruch, aber schließlich traten sie von hinten an ihn heran. Ungläubig starrte der Ritter seine Kameraden an, die ihn mit beruhigenden Worten zu beschwichtigen wussten und aus der Kirche führten. Seine Frau folgte peinlich berührt nach.
„Ich danke Euch." Alexander ergriff Johannas Hände und blickte ernst auf sie hinab.
„Lasst es nicht unnütz gewesen sein."
Er beugte das Knie vor ihr in tiefster Ehrerbietung, ehe er aus der Kirche stürmte.
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Tanz der Stände
Historical FictionTeil 1 der Tanz-Trilogie Auf der Bühne ist Florentine eine Königin, in den Straßen nur eine Frau des niedersten Standes. Die junge Zirkusartistin sehnt sich nach einem Leben fern des Trubels in den sicheren Armen einer Liebeshochzeit. Als Florentin...