Kapitel 9-3

216 19 0
                                    

Der Raum, den Lady Aisenberg zum Verkauf ausgewählt hatte, lag in einem lichtdurchfluteten Anbau. Die Decke war ähnlich hoch wie in einem Ballsaal und von majestätischen Säulen gestützt. Unten hatte die Lady hölzerne Trennwände aufgestellt, um einerseits die Interessenten zu lenken, andererseits zusätzlichen Platz zu schaffen. So mussten sich die Gemälde nicht zusammenquetschen, wie sie es in Alexanders Atelier taten.
Florentine stand oben auf der Galerie, von wo aus sie alles überblickte. Lady Aisenberg und ihre Dienerschaft führten die Besucher herum, boten Häppchen an und hielten angeregte Gespräche über Kunst. Alexander und Florentine blieben dem Verkauf fern. Es sollte nach wie vor aussehen, als kämen die Werke aus der Privatsammlung der Lady. Erst wenn sich Alexander am Markt etabliert hatte, würde er als Schaffer der Kunstwerke auftreten. Ihre Werbestrategie und der gute Ruf der Lady hatten Wirkung gezeigt. Florentine sah traurig neben sich. Sie hätte sich gewünscht, er könne persönlich sehen, wie seine Werke auf die Leute wirkten. Viele waren äußerst angetan. Ein Käufer in einer weißen Robe kaufte gleich drei Gemälde, die er von seinen Dienern in eine Kutsche verfrachten ließ. Und sie bezahlten gutes Geld. Lady Aisenberg pries ihre Kunst über alle Maßen und zog ihnen nur so die Münzen aus den Taschen.
Wie es Alexander jetzt gerade ging? Er hatte ihr nur eilig mitgeteilt, was im Schloss des Herzogs vorgefallen war. Nun war er im Kreis seiner Familie, trauerte um seinen Bruder und besprach das weitere Vorgehen. Alexander war jetzt der Haupterbe und auch wenn sein Vater ihn verstoßen wollte, so hatte er keine Wahl mehr. Von dem Erlös des Verkaufs würde er sowohl seine eigenen als auch die Schulden des Zirkus tilgen.
Zwischenzeitlich war Lady Aisenberg zu Florentine gekommen und hatte ihr den Zwischenstand vermittelt. Noch hatten sie die gewünschte Summe nicht beisammen, aber es war üblich, dass sich die Adligen zierten, mit anderen berieten und erst später kauften. Je mehr Bilder über den Tisch gingen, desto motivierter waren Unentschlossene nachzuziehen. Denn wer wollte sich schon nachsagen lassen, er wäre einer der Wenigen, die nicht über wenigstens ein Bild dieser extravaganten Sammlung verfügten?
Die Auftritte des Zirkus erfreuten sich eher bescheidenen Publikums. Florentine wagte es zurzeit ohnehin nicht, aufzutreten und ansonsten war der Zirkus zu verrufen, um Massen an Besuchern ins Theater zu bringen. Sobald die Schulden getilgt waren, würden sie weiterziehen und Florentine mit ihnen. Sie hätte es zugelassen, dass Alexander eine ganze Grafschaft für sie aufgab, wenn das wirklich sein Wunsch war. Aber ein Leben lang mit einer schier unbezahlbaren Schuld? Wie konnten sie glücklich werden, wenn er keine Minute Zeit hätte, die er nicht mit Geldverdienen verbrachte? Davon abgesehen war die Zukunft seiner Familie mehr als ungewiss. Was, wenn sein Vater starb, bevor seine kleinen Schwestern erwachsen und verheiratet wären? Wer würde sie versorgen? Wer sich um seine Mutter kümmern? Hatte ihre Liebe Florentines Mutter vor eine ähnliche aussichtslose Wahl gestellt? Sie wagte nicht, mit ihr darüber zu sprechen. Vielleicht hätte sie Florentine umgestimmt, so wie auch Alexander voller Inbrunst predigte, dass sie es schafften.
„Du siehst aus, als würde das Geschäft fürchterlich laufen", sagte die Lady, die erneut die Treppe hinaufkam.
Florentine hätte sich ihr am liebsten in die Arme geworfen, aber sie setzte stattdessen ein tapferes Lächeln auf. „Ich freue mich nur, dass Alexander jetzt endlich seinen Traum verwirklicht."
„Das verdankt er nicht zuletzt dir. Sein Leben im Schoß seiner Familie hat ihn verweichlicht. Er wusste den Wert guter Arbeit nicht zu schätzen. Du hast ihm den nötigen Schubs gegeben."
„Vielleicht werde ich auch eines Tages den Mut haben, den Zirkus hinter mir zu lassen und zu malen."
„Nun, ich will doch hoffen, dass du nicht planst, als schwangere Frau noch in einem Wohnwagen zu leben." Die Lady trat neben sie an die Balustrade und sah versonnen nach unten.
Florentine scharrte mit dem Fuß über den Boden. Es war Unrecht, ihre Helferin im Unwissen zu lassen. Aber sie war nicht bereit, darüber zu sprechen.
„Alexander weilt noch bei seiner Familie?", fragte die Lady.
„Ja, sie klären die Nachfolge."
„Georgs Tod ist ein harter Schlag für sie."
Florentine nickte nur und legte den Kopf auf den Unterarmen ab.
„Du hast den Kampf bereits aufgegeben, was?"
Florentine sah zur Seite in die tiefen, wissenden Augen der Lady, die sie mitfühlend betrachteten. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst."
„Selbst wenn ich nicht über alles in Kenntnis wäre. Dein Blick spricht Bände, Florentine."
„Sagt mir, was ich tun soll."
„Dich zusammenreißen."
„Du tust, als würde ich schluchzend über dem Geländer hängen."
„Deine Trauer zu verbergen, ändert nichts daran, dass du trauerst."
„Ich möchte ihn nicht verlieren."
„Dann gib ihn nicht auf."
„Soll ich ihn ruinieren? Ihn und seine ganze Familie?"
„Von einer Zirkusartistin hätte ich mir nicht erwartet, ein glückliches Leben auf Geld zu reduzieren."
„Es geht auch nicht nur um mich."
„Was sagt Alexander dazu?"
„Er will die Probleme nicht sehen."
„Für den Liebenden ist nichts schwierig."
Florentine runzelte die Stirn. „Du rezitierst die Worte alter Dichter."
„Weil sie Wahrheit enthalten."
Florentine drückte sich von der Balustrade ab, wanderte zur gegenüberliegenden Wand und schlug dagegen. „Es erscheint mir einer Sisyphusarbeit, diese Liebe zu leben."
„Willst du mir sagen, du wirst ihr bereits müde?"
Florentine ergriff die Schultern der Lady. „Nein. Wenn es sein müsste, rollte ich den Stein mein Leben lang den Berg hinauf, solange ich bei ihm sein kann. Aber dieser Brocken ist zu gewaltig und droht uns zu überrollen."
„Ich hätte deine Liebe größer eingeschätzt."
Nun wurde es Florentine langsam zu viel. „Ich liebe ihn so sehr, dass ich eher neben ihm in der Gosse lebte, als ihn aufzugeben. Und genau deswegen werde ich ihm das nicht antun. Er wird gewaltigen Reichtum erben, kann als erfolgreicher Künstler auftrumpfen und ein erfülltes Dasein führen."
„Und was ist mit dir?"
„Ich werde zurechtkommen."
„Kind!"
„Hör auf! Hör einfach auf damit! Ich bin es müde, ihm zur Last zu fallen. Mit jedem Schritt, den ich voller Egoismus auf ihn zuging, trieb ich ihn weiter in einen endlosen Schlund."
Lady Aisenberg wollte etwas erwidern, aber Florentine schüttelte den Kopf. „Du kommst hier ohne mich zurecht, schätze ich?"
Die Mundwinkel der Lady senkten sich, aber sie nickte.
„Ich muss meinen Leuten beim Packen helfen. Grüß Alexander von mir."
Damit lief Florentine nach draußen, ohne sich umzusehen. Auf dem Weg nach unten traf sie auf Alexander.
„Du bist schon fertig?", fragte sie erschrocken.
„Ich bin mit ihnen fertig." Er mühte sich um ein Lächeln und wollte sie in den Arm nehmen, aber sie drückte ihn zurück.
„Was ist los?"
„Ich muss gehen."
„Läuft der Verkauf nicht wie erwartet?"
„Lady Aisenberg ist sehr zufrieden. Ich helfe meinen Leuten." Sie wollte sich an ihm vorbeizwängen, doch er hielt sie am Arm fest.
„Ich weiß, das ist gerade alles etwas viel."
„Zu viel. Alexander, es geht nicht."
„Ich verstehe nicht."
„Ich werde dich nicht heiraten." Die Worte schmerzten. Sie hatte gehofft, sie nicht aussprechen zu müssen, ihm einfach aus dem Weg zu gehen. Doch jetzt war er hier und sie musste klare Verhältnisse schaffen. Besser sie durchtrennte den Faden mit scharfer Klinge, statt die Zeit ihn lösen zu lassen.
Er zog sie zu sich, packte ihre Schultern. „Sag so etwas nicht!" Florentine wich seinem Blick aus. Würde sie ihm in die Augen sehen, könnte sie sich ihm vielleicht nicht entziehen und sie musste stark bleiben. „Florentine, wir werden das durchstehen."
Sie schüttelte den Kopf. „Deine neue Frau ist sehr hübsch – du wirst mit ihr glücklich werden."
„Nein, ich werde mit dir glücklich werden!"
Sie hatte keine Wahl. Er würde nicht aufgeben. Eine grausame Ironie, dass sie sich immer gewünscht hatte, genau auf diese Weise geliebt zu werden. Bedingungslos, aufopfernd und unbegrenzt. Und jetzt, wo ihr der Zufall diese Liebe zugespielt hatte, musste sie ihn von sich stoßen. Sie verletzte ihn, damit er ihr fernblieb. „Ich möchte nicht mit dir glücklich werden! Ich habe keine Lust auf diese ständigen Probleme, die ich mit dir habe. Und ich werde nicht als schwelende Erinnerung an alles, was du verloren hast, an deiner Seite leben."
Alexanders Griff löste sich. „Aber du liebst mich doch?"
„Es war wohl doch nur eine Liebelei." Sie lief los, ließ ihn hinter sich, ehe ihr Gewissen sie zwang, diese fürchterliche Lüge zu korrigieren. Florentine hasste sich für ihr Tun. Im Moment erschien es ihr eine gerechte Strafe, dafür in Schuldknechtschaft zu landen. Sie verletzte ihn und auch wenn es aus guten Gründen war, so war es niederträchtig. Sie machte es sich leicht. Statt die Sache mit ihm auszudiskutieren, ihn zu überzeugen, dass es das Beste für sie beide war, log sie ihn an. Sie verletzte ihn, um dem Gespräch zu entgehen. Sie war feige.

Tanz der StändeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt