Kapitel 10

1.3K 60 3
                                    

Alice

Beruhige dich Alice.

Das war der Satz, den ich mir während der gesamten Autofahrt durch den Kopf laufen ließ. Dieser Moment vorhin mit Miss Webster war mir zu viel gewesen. Ich, als Person, die noch nie zuvor in einer Beziehung gewesen war, geschweige denn aufrichtige Gefühle für jemanden gehabt hatte, fühlte mich ein wenig überfordert. Wie konnte ich eine Person treffen und mich so schlagartig in sie verlieben...wenn dieses Gefühl denn Liebe war.

Wie fühlte sich Liebe überhaupt an? In Büchern wird dieses magische Gefühl immer wie ein Feuerwerk beschrieben. Ein Gefühl von tausend Schmetterlingen im Bauch, die zu explodieren wagten. Aber das Gefühl, das ich hatte war ganz anders und doch so identisch. Ich konnte es nicht beschreiben. Es war, als würde ich an einer Klippe stehen und nicht wissen, ob ich springen sollte oder nicht. Der Nervenkitzel und die Angst würden sich vermischen und das Adrenalin in meinen Körper schießen.
Noch dazu kannte ich sie doch erst seit einigen Tagen, wie konnte ich so schnell Gefühle für sie entwickeln. Ich dachte immer Liebe auf den ersten Blick gibt es nicht. Genau genommen war es ja auch nicht auf den ersten Blick, aber nach vier Blicken musste ich schon zugeben, dass dort etwas in mir in Bewegung trat.

"Wir sind soeben angekommen"
Miss Websters monotone Stimmlage ließ mich aufhorchen und zu ihr schielen. Diese plötzlichen Stimmungswechsel hatte sie in letzter Zeit öfter. Da waren wir wieder an der Stelle, an der ich dachte, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich hatte bisher ihre harten wie auch verletzlichen Seiten kennengelernt, aber so hatte sie sich noch nie verhalten.
"Danke für's Mitnehmen", meinte ich nur schnell und wollte schon aus dem Auto steigen, als mich eine Hand an meinem Arm zurückhielt. Gänsehaut bildete sich auf meiner Haut und ich sah vorsichtig hinauf in Miss Websters strahlende Augen.
"Miss Brown.."
"Alice"
Sie schien über meine Unterbrechung kurz verdutzt zu sein, bevor sie sich wieder fing.
"Alice, ich...vergessen Sie's"
Schon wurde meine Hand wieder losgelassen und die eisige Kälte stieg zurück in ihre Augen. Der Mut, den sie vor einer Sekunde noch besaß, wandelte sich in Unsicherheit um und bevor ich sie zurückhalten konnte, war sie aus dem Fahrzeug gestiegen.
"Machen Sie Feierabend, Alice. Gehen Sie nach Hause. Leben Sie ihr Leben und lasse Sie sich morgen nicht vor 9 Uhr blicken"
Mit diese Worten verschwand sie in dem großen Gebäude der Tiefgarage.

16:55

Wie abgemacht trafen wir und um 17 Uhr bei Colin und so stand ich um 16:55 vor seiner Wohnungstür und klopfte ein wenig lauter als nötig. Die Tür würde sofort aufgerissen und ich ohne ein weiteres Wort hinein gezogen.
Sina saß schon auf Colins Ledercouch und genoss ein Glas Weißwein während der Radio im Hintergrund leise 'Don't Cha' von den Pussycat Dolls spielte. Der Vibe in der Wohnung passte einfach 1 zu 1 zu Colin und man fühlte sich hier einfach rundum wohl.

"Hey Ali, Weiß- oder Rotwein!?", rief Colin aus der Küche. Die ersten Worte, die er an diesem Tag mit mir wechselte und sie gingen um meinen Getränkewunsch.
"Rot bitte und hör auf mich Ali zu nennen!"
Der Spitzname verfolgte mich seit dem Kindergarten und ich hasste ihn so abgrundtief, dass ich am liebsten meinen Namen gewechselt hätte, nur um nicht 'Ali' genannt zu werden.
An sich fand ich ihn nicht hässlich, aber ich brachte mit diesem Spitznamen ein paar traumatisierende Dinge in Verbindung, die ich lieber vergessen hätte.

Ich setzte mich zu Sina auf die Couch und umarmte sie flüchtig.
"Man ich bin soo müde", seufzte ich und ließ mich zurück in die weiche Lehne fallen. Sina kicherte.
"Langer Tag?", fragte sie kurz bevor meine Augen komplett geschlossen waren.
"Kann man so sagen"
"Arbeit?"
Ich überlegte einen kurzen Moment, ob ich die Geschichte mit Miss Webster's Bruder erzählen sollte, aber kam zu dem Entschluss, dass sie dies vermutlich privat halten möchte, weshalb ich nur anhand eines Kopfnickens antwortete.

"So"
'Oh Gott', dachte ich, als sich Colin samt meines Rotweins neben mich fallen ließ. Ich wusste, was jetzt kommen würde.
"Wie bringen wir euch zusammen?", überlegte er laut. Ich schlug meine Hände vor die Augen und ließ mich wieder zurück fallen.
"Überhaupt nicht Colin. Erstens ist sie eine unabhängige, wundervolle Frau, die bestimmt nichts mit MIR anfangen wollen würde und zweitens kenne ich sie gerade mal ein paar Tage. Wer weiß, vielleicht bilde ich mir das ganze auch nur ein"
Colin stöhnte und nahm einen großen Schluck meines Weins.
"Hey", beschwerte ich mich und riss ihm ihn aus der Hand.
"Alice", begann er.
"Wenn du mit so einem Mindset in die Situation rein gehst, wird das nie was. Nur weil du sie noch nicht lange kennst, heißt es nicht, dass du keine Gefühle für sie haben kannst. Liebe ist nicht definierbar. Für sie gibt es keinen Zeitraum"
Ich schnaubte.
"Wann bist du denn so schnulzig geworden?"
Er verdrehte nur die Augen.
"Ich mein's ernst Alice. Wir brauchen einen Plan"
Und das war eine Feststellung. Wie ich Colin kannte, würde es sowieso nichts bringen zu versuchen es ihm auszureden. Da musste ich nun wohl durch...

She's the Webster (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt