2.1 Der zweite Monat

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»Ich hasse diese verfluchte Kälte!«, brummte Finan, zog die Sehne seines Bogens an und ließ ihn fast sofort wieder los. Sein Pfeil traf einen Schneehasen mitten im Sprung. Dann stapfte er mit wütenden Schritten durch den Schnee, um das Tier aufzusammeln und an seine Tasche zu binden.

»Vermaledeiter Schnee, der ständig meine Schuhe durchnässt!«, zischte er wieder, beobachtete kurz seine Umgebung, dann nahm er noch einen Pfeil und erschoss kurz darauf den nächsten Hasen. Er biss die Zähne zusammen, als ein kalter Wind ihm Tränen in die Augen trieb.
»Und dieser verflixter Wind, der einem buchstäblich das Gesicht aufschneidet!« Dieses Mal, traf er eine Ringeltaube, die von dem Ast einer nackten Eiche fiel.

Prinzessin Elyon saß auf einem Baumstumpf, den sie zuvor vom Schnee befreit und ein Stück Leder darauf ausgebreitet hatte. Sie säuberte gerade seine benutzte Pfeile mit Schnee. Daneben lag Finans bereits geschossenes Wild. Ein junges Wildschwein, ein Schneefuchs und drei Ringeltauben. Ihr Gesicht war blass, ihr Blick war düsterer als der graue Himmel über ihnen. Sie musste die Pfeile zwischen ihren Oberschenkel klemmen, um sie mit ihrer übrigen Hand zu säubern. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Kein Wort kam aus ihrem Mund.

»Ich kann diesen ganzen Schnee nicht mehr sehen! Meine Augen brennen schon vor lauter Helligkeit.«
Wieder Stille. Finan stöhnte genervt. Sie waren nun schon fast einen Monat lang zusammen auf ihrer Reise. Wobei unterwegs nicht ganz richtig war. Sie waren mehrere Tage zusammen gereist und jetzt steckten sie in einer kleinen Siedlung mitten im Nirgendwo fest und mussten darauf warten, dass irgendjemand von irgendwo zu ihnen kam, um sie dann wiederum in irgendeinen fremden Ort mitzunehmen. Falls Finan überhaupt alles richtig verstanden hatte. Es war ja nicht so, als könnte er schon die Sprache dieses Landes.

Und Elyon hielt immer noch Abstand zu ihm, als wären sie Fremde. Er musste ständig rätseln, was sie dachte, was sie brauchte, vor allem wenn es um Hilfe ging. Sie war offensichtlich noch nicht gewöhnt daran, keine scharfe Sicht und auch nur noch eine Hand zu haben. Doch er wusste bis heute nicht genau, wie viel die Prinzessin noch konnte. Wie viel sie alleine schaffte.

Eine Tochter des Königs aus Tannenhöhe war blind geboren worden. Niemand wusste von ihr. Sie wurde von ihrer Familie versteckt. Doch Finan und sie waren gute Freunde, auch wenn sie zehn Jahre älter war als er. Sie hatte ihm viel über ihre Blindheit erzählt, was sie konnte, was nicht.

Doch Elyon schien nicht vollständig blind zu sein. Manchmal fand sie sich alleine in ihrer Umgebung zurecht, manchmal torkelte sie verwirrt umher und schien nicht zu wissen, ob irgendwelche Hindernisse im Weg standen. Es war frustrierend. Er wollte, dass sie sich besser verstanden, um ihre Reise gut durchzubringen. Sie mussten so schnell wie möglich weiterkommen. Wer wusste, wie lange Nevin noch hatte?

Ein Stich fuhr durch Finans Brust. Er wollte nicht daran denken, dass Nevin verloren sein könnte. Nicht er. Aber was brachte es, darüber nachzudenken? Es war wichtiger, sich ganz auf ihre Reise zu konzentrieren und so gut wie möglich mit Elyon auszukommen. Und sie machte es ihm sehr, sehr schwer.

»Warum schweigst du mich schon wieder an?«, rief er.
Elyon hob kurz ihren Kopf, dann wischte sie weiter an den Pfeilspitzen.
Finan stöhnte lauter. Ein Rauschen kam näher und schon bald tauchte Jeskos schwarzer Körper über den Bäumen auf. Er trug vier Elche in seinen Pfoten. Dies war im Augenblick die einzige Möglichkeit, wie sie etwas für die Siedlung beitragen konnten. Jagen.

Jesko legte die Elche zu dem anderen Wild und hauchte Elyon als Begrüßung an. Sie streckte ihre Hand aus, der Drache kam ihr mit der Schnauze entgegen und ließ sich von ihr streicheln. In den letzten zwei Wochen war sein Fell eindeutig heller geworden. Er war zwar immer noch dunkelgrau, doch nicht mehr ganz so dunkelgrau. Das war, wenn er Elyon richtig verstanden hatte, ein gutes Zeichen. Warum genau, wusste Finan nicht. Elyon erklärte ihm nur das allernötigste, wenn überhaupt.

Elyons Erwachen | Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt