4.1 Der dritte Monat

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Sie brauchten zwei Tage, um die Berge zu erreichen, die zum Gebiet von Jannes Sippe gehörten. Diese lagen etwas höher als das Wächtertal, somit war die Luft dünner und Elyon verbrachte den größten Stück der Reise auf Jeskos Nacken, um nicht außer Atem zu kommen. Auch wenn sie wegen Jesko nicht lange fliegen konnten, kamen sie schneller mit dem Galopp der Flughunde an, als mit Pferden.

Janne fand mitten auf ihrer Reise eine Höhle und zündete schnell ein Lagerfeuer an. Elyon konnte nichts tun. Nur ihm dabei zuhören, wie er getrocknetes Fleisch in einen Topf gab, es mit Wasser und Gemüse auffüllte und zum Kochen brachte. Als das Wasser brodelte, erzählte er ihr die uralte Geschichte über die Gründung des Landes.

»Um es mal so zu sagen, unser Gerwenen war eigentlich mal gefüllt von blutrünstigen Barbaren. Die vielen Sippenkriege waren brutal. Ich schaudere bis heute wenn ich mich an all die Beschreibungen in unseren alten Schriften erinnere. Die Kriege haben so lange angedauert, dass es am Ende kaum noch Männer oder Frauen gab. Nur noch ein paar Greise, die sich um die wenigen lebenden Kinder kümmern konnten. Und nicht nur Menschen wurden gnadenlos abgeschlachtet. Auch unsere Felder, Wälder und Tiere mussten dran leiden. Unsere Vorfahren haben buchstäblich fast das ganze Land zerstört.«

Elyon nippte an ihrem Wasserschlauch. Dank Jeskos Körperwärme, war das Wasser darin nicht gefroren. Sie schluckte so leise wie möglich, um kein einziges Wort seiner Erzählung zu verpassen.

»Am Ende gab es in im Tal, das heute das Wächtertal ist, nur noch eine kleine Gruppe an sehr jungen Frauen und Männern, die übrig geblieben waren. Alle Erwachsenen waren entweder tot oder mitten im Kampf. Alle im Tal entschlossen sich dazu, nicht an den Kämpfen teilzunehmen, sondern ihre Gaben zum Schutz der restlichen Kinder zu benutzen und um das Land wieder zu heilen. Sie entwickelten ihre Gaben weiter, ohne die Hilfe der Älteren und mit dem Ziel zu behüten statt zu bekämpfen. Dies führte dazu, dass sie eine tiefe Verbundenheit zur Natur, ihrer Gabe und Luoja entwickelten und mit dem Alter zu den stärksten Gabenträgern im ganzen Land wurden. Als andere aus den übrigen Sippen, die ebenfalls müde vom Kampf waren, von ihnen hörten, schlossen sie sich den jungen Wächtern an.

Einige blieben in der Wächterstadt, andere kehrten zurück zu ihrer Heimat, um sie wieder aufzubauen. Sie erzählten den Kindern über die Schrecken und Folgen der vielen Sippenkriege und hielten sie dazu an, es den Älteren nicht nachzumachen. Seitdem gab es in unserem Land keine Kriege mehr.  Wir haben sogar Gesetze, welche diese verbieten. Wie du dir denken kannst, sind die Menschen in Gerwenen mit der Zeit wieder zahlreicher geworden, die Sippen haben sich zu Siedlungen, Dörfer, Städte und Königreiche entwickelt und irgendwann haben sie sich alle zu einem Land zusammengeschlossen. Das ist grob erzählt, die Geschichte unseres Landes.«

»Wie löst ihr politische Konflikte?«, fragte Elyon, kaum dass Jesko geendet hatte.
»Die werden durch Wettkämpfe gelöst. Dabei müssen die Regierenden selbst antreten. Es muss kein Faustwettkampf sein, es kann ein Spiel sein oder eine andere Art von Wettbewerb. Hauptsache, beide sind mit der Art einverstanden. Sie dürfen keine Vertreter in den Kampf schicken. Du wirst sicher mal so einen Wettkampf in der Wächterstadt erleben. Wir sind ein neutrales Gebiet hier in Gerwenen und deswegen werden wir oft als Schiedsrichter einberufen. Und, da wir immer die stärksten Wächter besitzen, traut sich auch niemand zu schummeln oder andere niederträchtige Methoden zu verwenden, um zu siegen.«

»Wieso erlauben die anderen Gebiete es euch, so viel Macht zu besitzen?« Elyon hörte, wie Janne sich ihr gegenüber hinsetzte. Er war ein grünlicher Fleck hinter den leuchtenden Flammen. Er stieß mit einem hölzernen Löffel leise und in regelmäßigen Takten gegen die Seiten des Topfes.

»Weil sich die Wächterstadt in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart als friedlich erwiesen hat und niemals ihre Macht missbraucht hat. Es gab natürlich Einzelne unter uns, die es mal versucht haben, doch sie wurden ganz schnell aus unserer Mitte verbannt.«

Elyons Erwachen | Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt