6.1 Der fünfte Monat

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Eine riesige Feuerpeitsche schoss aus Finans Hand heraus, die er gezielt in Richtung der steinernen Attrappen schwang, um sie alle in einem Schlag komplett zu entfachen und zu schmelzen.
Doch Finan ignorierte sie, grinste und betrachtete mit größter Zufriedenheit sein Werk.

»Finan! Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du dich gefälligst zurückhalten sollst?!«, brüllte Oskar, sein Feuerlehrer und stampfte auf Finan zu.
Finan rollte seine Augen. »Mit all euren handwerklichen Fähigkeiten, solltet ihr einfach Attrappen herstellen, die auch meinen Kräften standhalten können. Es ist nicht meine Schuld, dass mein Feuer so ausgeprägt heiß ist.«

Finan zuckte mit den Schultern, während Oskars Kopf sich hochrot färbte. Seine dunklen Augen zuckten vor Wut.
»Du-« Oskars Geschimpfe wurde von einem lauten Glockenschlag unterbrochen.
Finan drehte sich zu den zwei hohen Türmen um, die neben dem weiß glitzernden Hauptgebäude der Wächterstadt standen.

»Elyon kommt bald!«, rief Finan und rannte über den Steinplatz, wo die Feuerschüler gelehrt wurden, an den Wasserwächtern vorbei, die immer während des Unterrichts anwesend sein mussten, um Unfälle zu vermeiden. Sie starrten ihn fragend hinterher, doch Finan ignorierte sie und ihre bissigen Bemerkungen über seine Kräfte. Er rannte weiter von den Übungsplätzen durch ein Tor, dann nach links in Richtung eines Seitenflügels eines riesigen hellgrauen Gebäudes, vor dem rote Flaggen gehisst waren.

Hier lebten alle alleinstehenden Feuerwächter und Feuerschüler. Auch Finan hatte hier ein Zimmer bekommen, dass er mit drei anderen jungen Auszubildenden teilte. Wenn er sich richtig erinnerte, befanden sie sich in einem Probeeinsatz im Tal. Finan legte seinen roten Filzmantel ab und hängte ihn zum Lüften hinaus auf den Balkon. Eine der Nachteile, die Feuergabe zu besitzen war, dass er immer nach Rauch und Asche stank. Selbst Lüften half nicht. Der verbrannte Geruch hing permanent in der Luft. Selbst nachdem er sich gewaschen hatte, bekam Finan den Geruch nicht mehr los. Am Anfang hatte es ihn sehr aufgeregt, da er sonst sehr auf seine persönliche Hygiene geachtet und teure Duftöle verwendet hatte. 

Doch er nahm den Aschegeruch in Kauf, dafür dass er nun buchstäblich Feuer aus seinen Händen schießen konnte. Er konnte es kaum erwarten, Elyon seine Fortschritte zu zeigen. Neben seinen Feuerlektionen hatte er in seiner Freizeit auch ausgiebig die Stadt erkundet. Doch er hatte niemanden gehabt, um sie zu teilen. Janne war zu beschäftigt, um Finan so oft Gesellschaft zu leisten.

Seine Zimmer- und Lehrkameraden kamen ihm nicht gerade mit warmer Herzlichkeit entgegen. Und obwohl die Mädchen ihn immer anlächelten und mit ihm redeten, konnte Finan ihre schmachtende Blicke nicht leiden und durch vergangene Erfahrungen wusste er, dass es in diesem Fall immer besser war, so viel Abstand wie möglich zwischen ihm und diejenigen zu halten, die irgendwelche romantischen Gefühle für ihn hegen könnten.

Wenn es eins gab, dass er nie in seinem Leben tun würde, dann war es so eine Beziehung einzugehen. Sein Vater mochte ihn dazu zwingen, jemanden zu heiraten, doch er hatte nicht vor, jemals eine Ehe zu vollziehen.

Was Elyons Gesellschaft für ihn angenehmer machte, als er zugeben wollte, denn soweit er es beurteilen konnte, waren sie vom gleichen Schlag. Und er vermisste es mit jemanden aus seiner Heimat zu reden. Sein Gerwenisch hatte sich verbessert und er konnte fast alles verstehen, doch es war dennoch immer wieder anstrengend, sich mit einer fremden Sprache mit neuen Leuten und neuem Eindrücke zurechtzufinden.

Nach dem Bad zog er frische Kleidung an, die er nur zum Ausgehen benutzte und nicht ganz so streng nach verkohltem Holz roch. Es waren zunächst zwei einfache Leinenhemden, darüber kam ein gestricktes Oberteil, dass sich weich und warm anfühlte, dann zog er seinen dichten Pelzmantel das außen mit einem dunkelroten, samtenen Stoff belegt war. Sobald er seine dunkelbraunen Lederschuhe angezogen hatte, zischte Finan wieder hinaus und folgte dem Gehweg nach links. 

Elyons Erwachen | Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt