Am nächsten Morgen war die Katze verschwunden. Elyon war mit dem Krähen des Hahns aufgewacht und schwang sich aus dem Bett. Jetzt, wo sie neue Kleidung bekommen hatte, die viele Magnetknöpfe hatte, verlor Elyon nicht mehr so viel Zeit damit, sich anzuziehen.
Sobald sie ihr Gesicht in dem Badezimmer neben ihrem Schlafzimmer gewaschen hatte, tastete sie sich zur Küche. Als sie eintrat, wurde sie fröhlich von Jannes Cousine begrüßt.
»Guten Morgen, Elyon! Hast du gut geschlafen?«
Elyon machte ein zustimmendes Geräusch, dann setzte sie sich hin.
»Ich kann verstehen, warum meine Großmutter dich mag«, sagte Jana lachend. »Hast du auf was Bestimmtes Hunger? Ich mache gerade ein paar Eier mit Brot. Magst du etwas davon haben?«Elyon nickte. Alles war besser als Haferschleim. Die breiige Masse war eine Beleidigung für ihre Zunge. Leider saß ihr das Frühstück schwer im Magen. Selbst das Trockenfleisch, dass sie mitgenommen hatte, sorgte für ein unangenehmes Brennen in der Brust. Sonst war ihr Verdauungstrakt nie so empfindlich. Nach einem schnellen Frühstück ging Elyon zurück in ihr Zimmer und rieb sich den brennenden Bauch. Das Frühstück wiegte mit jedem Augenblick schwerer und Elyon biss verärgert die Zähne zusammen, während sie sich für den Gang nach draußen zurechtmachte.
Für die Stiefel, hatte Hilda ihr einen hölzernen Schuhlöffel gegeben, doch für die Jacke, brauchte Elyon länger, da diese die normalen Knöpfe hatte. Es dauerte eine Weile, ehe sie diese einhändig und mithilfe ihres Armstumpfes zugemacht hatte. Als sie die Jacke zugeknöpft hatte, stapfte Elyon Richtung Tür, begleitet von der schnurrenden Katze.
»Gut, du bist schon angezogen«, begrüßte sie die Matriarchin. »Ich habe die anderen bereits zusammengetrommelt.«Mit dem Spazierstock in der Hand, folgte Elyon der alten Dame hinaus. Die Sonne und der weiße Schnee blendete in ihren Augen. Sie musste sich mit dem Spazierstock für die ersten Schritte orientieren, horchte dabei genau auf die Schritte der alten Dame vor ihr. Bald legte sich das Stechen und sie konnte mit Tränen in den Augen Hildas Umrisse erkennen. Die Wege in der Siedlung waren zum Glück breit angelegt und einige Häuser hatten rote Wände, die sich Elyon gut merken konnte, um sich später alleine zurechtfinden zu können, sollte sie niemanden haben, der sie führen konnte. Zusätzlich versuchte sie ihre Schritte zu zählen und wann sie nach links oder rechts abbogen.
Hilda führte sie zur anderen Seite der Siedlung, wo eine Gruppe von Menschen vor den hölzernen Toren aufgeregt miteinander plauderte. Als sie näher kamen, verstummten sie. Ihre Köpfe waren zu ihnen gerichtet. Elyon ignorierte ihr Starren, indem sie sich alleine darauf konzentrierte, der alten Dame zu folgen.
»Es scheinen ja alle bereits hier zu sein. Nun denn, ihr sollt heute alle als Zeugen einer Waldprobe dienen, um zu bestimmen, ob Elyon als neuer Lehrling der Gestaltwandler anfangen darf, oder nicht«, verkündete Hilda.
Keiner sagte ein Wort, stattdessen wandten sie sich wortlos dem Tor zu und verließen die Siedlung.
»Elyon, nimm meinen Arm, der Weg ist voller Wurzeln und Steine.«Elyon folgte der Empfehlung, auch wenn es mit ihren dicken Handschuhen um so schwieriger war, den Arm der alten Dame zu greifen, da dieser durch mehrere Kleidungsschichten und der dicken Felljacke noch viel wuchtiger war.
»Sind Augen kein Problem als Gestaltwandler?«, fragte Elyon. Diese Frage hatte ihr schon gestern im Herzen gelegen. Sie wusste nicht, wie diese Ausbildung anfangen sollte mit fehlendem Augenlicht und einem fehlenden Arm.
Es dauerte eine Weile, bis Hilda antwortete, wahrscheinlich, weil Elyon sich nicht gut in der Sprache ausgedrückt hatte.
»Ah, weil du nicht gut sehen kannst? Nein, das ist kein Problem. Einer unserer stärksten Gestaltwandler ist blind geboren worden. Sein Glück war es, dass sein Seelentier eine Fledermaus ist. Durch sie hat er auch gelernt, sich ganz ohne Hilfe zurechtzufinden. Zurzeit ist er auf einem wichtigen Einsatz in den Nachbardörfer, doch er sollte in den nächsten Tagen zurückkehren. Es wäre gut, wenn du dir von ihm einige Tricks beibringen lässt.«
»Hm«, sagte Elyon zustimmend.
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Elyons Erwachen | Band 2
FantasiaNach Elyons Sieg über den Urdrachen und Nevins Festnahme, reist Elyon in Begleitung von Nevins kleinem Bruder Finan in den Verbotenen Osten. Dort wird sie hoffentlich mehr über den Fluch, ihren seltsamen, übernatürlichen Fähigkeiten und ihre Herkunf...