Die gestrige Enttäuschung saß Elyon immer noch schwer in den Knochen, als sie am nächsten Morgen aufwachte. Ihr Magen brannte und sie spürte den sauren Saft in ihrer Kehle. Mit einem schwirrenden Kopf zwang sie ihren Oberkörper hoch und setzte sich in ihrem Bett auf. Vor ihrem Fenster kratzte und jaulte es, begleitet von einem aufgeregtem Hecheln zwischen den Augenblicken, an denen Valka eine kurze Pause einlegte.
Schlaftrunken torkelte Elyon in Richtung der Gardinen. Sie tastete nach dem kleinen Metallschieber, schob zuerst diesen zur Seite und dann den Fensterladen hoch. Kalter Wind und der Duft von frischem Schnee wehte ihr entgegen, dann fuhr eine warme, große Zunge auf ihrer Wange. Valka winselte vor Freude.
Neuer Tag! Neue Jagd! Neues Streicheln! Neues Spielen!
Ihre aufgeregte Begrüßung und Freude vertrieb für einen kurzen Augenblick die trüben Gedanken und brachte Elyon zum Lächeln.Doch sie hatte nicht viel Zeit für ihr Seelentier übrig. Am späten Nachmittag würde Janne ankommen, um sie wieder zurück zur Wächterstadt zu bringen. Sie hatte noch einiges für die Reise vorzubereiten. Zum einen wollte Elyon so schnell wie möglich dorthin zurück und einen der Gabenärzte sehen. Eine korrupte Gabe in sich schlummern zu haben, rief Gedanken in ihr hervor, die sie lieber so schnell wie möglich wieder loswerden wollte. Elyon wollte ihre Gabe benutzen, ohne Angst haben zu müssen, die Kontrolle darüber zu verlieren. Sie dachte an die dunklen Gestalten, die sie auf ihrer Hinreise gesehen hatte und schauderte.
Doch hier zu bleiben, hatte auch seinen Reiz. Es gab noch so viel zu lernen. Und auch wenn sie nicht von den Bewohnern willkommen geheißen wurde, so hatte sie sich doch an Hilda und Wotan soweit gewohnt, dass der Gedanke sie schon so schnell zu verlassen ihre Stimmung nicht gerade verbesserte.
Elyon mahnte sich, dass dies nicht Heimat ihre Heimat war. Sie war auch nicht in der Wächterstadt. Aber auch nicht im Kaiserreich oder den Sturminseln, die zerstört worden waren.
Elyon presste die zitternden Lippen zusammen. Das war ihr ursprüngliches Ziel gewesen, warum sie hierherkommen wollte. In der Hoffnung, dass sie vielleicht hier eine sichere Heimat finden konnte, wo niemand ihre Vergangenheit kannte. Wo die Menschen anders waren, als im Kaiserreich und sie deswegen vielleicht nicht mehr so auffiel. Sie hatte gedacht, dass wenn sie nicht in Rovisland passte, dann vielleicht in einem anderen Land. Doch dies war nun auch fragwürdig, wenn man die Feindseligkeit der Siedlung bedachte.
Warum traurig? Spielen! Dann fröhlich!
Elyon lächelte und antwortete Valka in Gedanken zurück, dass sie sich für die Abreise fertig machen musste. Wotan hatte ihr beigebracht, dass Gestaltwandler und ihre Seelentiere sich auch alleine über ihre Gefühle und Gedanken austauschen konnten. Alles, was sie tun mussten, war sich in ihrem Inneren nach der Gegenwart des anderen auszustrecken.Elyon kraulte ihre weiße Gefährtin noch ein letztes Mal, dann nahm sie ihren gepackten Rucksack und brachte ihn zur Garderobe, die nur wenige Schritte von der Eingangstür entfernt war.
Bald darauf klopfte Wotan und gesellte sich zu ihnen in der Küche, wo Elyon sich gerade zum Frühstücken hingesetzt hatte.
»Oh wei, die Stimmung ist ja ganz schön trüb heute«, begann er, sobald er sich ächzend auf den Stuhl platziert hatte. »Ich weiß, woran Elyon zu nagen hat, aber selbst du, Hilda? Was ist dir über die Leber gelaufen?«
»Unhöfliches Balg, so wie immer. Vergiss nicht, wer eine Zeitlang deine Windeln gewechselt hat. Dein Durchfall hat selbst die Fliegen vertrieben, so schlimm war der«, motzte Hilda.
Wotan prustete seinen Tee aus. Elyon, die direkt neben ihm saß, bekam ein paar der warmen, nach Kräuter riechenden Spritzer ab.
Elyon wischte sich die Wange mit dem Ärmel ab.
»Hast du zur Sicherheit schon deine Tasche gepackt, Wotan?«, fragte Hilda.
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Elyons Erwachen | Band 2
FantasyNach Elyons Sieg über den Urdrachen und Nevins Festnahme, reist Elyon in Begleitung von Nevins kleinem Bruder Finan in den Verbotenen Osten. Dort wird sie hoffentlich mehr über den Fluch, ihren seltsamen, übernatürlichen Fähigkeiten und ihre Herkunf...