»Wann sind wir endlich da? Ich dachte, wir hätten die Stadt schon fast erreicht? Und warum können wir noch mal nicht fliegen?«, jammerte Finan, während sie einen Bergpass überquerten. Die Luft war so eisig, dass seine Augen nicht mehr aufhörten zu tränen und sein Gesicht sich taub anfühlte.
»Es ist nicht mehr lang. Hinter dem nächsten Berg lieg das Tal und die Stadt. Und wir müssen laufen, damit ihr euch an den Höhenunterschied und die dünnere Luft gewöhnen könnt. Wir hatten schon einige ausländische Besucher, die höhenkrank geworden sind«, erklärte Janne.
Elyon schnaufte laut neben ihm, trotzdem konnte sie eine Frage nicht zurückhalten.
»Was ... Höhenkrankheit?«, keuchte sie aus.
Finan war nicht überrascht, dass sie trotz knappen Atem sich dazu überwand, zu reden. Sie fragte immer, wenn es ihr dabei half, neue Dinge zu lernen und erfahren.»Das passiert, wenn man zu schnell die Berge aufsteigt. Wie gesagt, die Luft ist dünner und daran muss sich der Körper langsam gewöhnen, wenn man nicht hier geboren wurde. Deswegen ist Fliegen bei der Ankunft für Fremde absolut verboten. Ich selbst kann fliegen, weil ich von einer noch höheren Gegend stamme und das Wächtertal für mich kein Problem ist. Die Symptome sind oft Kopfschmerzen, manchmal auch Gliederschmerzen, Schwindel, Appetitmangel, Übelkeit. Füße und Hände können anschwellen. Wenn sich der Betroffene verwirrt fühlt und sich nicht mehr gut bewegen kann, ohne zu schwanken, dann ist er nicht mehr weit vom Tod entfernt. Falls ihr euch irgendwie unwohl fühlen solltet, sagt mir bitte sofort Bescheid und wir rasten.«
Finan schluckte schwer. Seine Glieder brannten und schmerzten, aber das war hoffentlich nur der anstrengende Berganstieg. Schwindelig war ihm nicht, aber warm. So warm, dass ihm der Schweiß in Strömen den Rücken und die Brust herablief. Er bekam nur schwer Luft, doch auch das lag nicht unbedingt an der dünneren Luft, sondern daran, dass dieser verdammte Berg so steil war.
Janne warf immer wieder Blicke auf sie zurück, während er neben Lumi stapfte, was Finans Sorgen etwas beschwichtigte.
»Da, noch sechs, sieben Schritte, dann habt ihr es geschafft.«»Endlich! Ich kann bald nicht mehr!«, stöhnte Finan. Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf Jesko, der neben ihm durch den Schnee stapfte. Er hätte alles dafür gegeben, auf seinem Nacken sitzen zu dürfen und den Rest des Wegs zu fliegen. Mit zusammengebissenen Zähnen stapfte Finan durch den dicken Schnee, konnte kaum die Augen offen halten, da ihn das viele Weiß so blendete. Er hielt sich an Jesko fest und ließ sich von dem Drachen leiten. Es dauerte nicht lange und der Drache hielt an.
Finan hob den Blick und erfror auf der Stelle, als die weißglänzende Landschaft sich vor ihnen öffnete. Eingekesselt von riesigen, mit Schnee bedeckten Bergen lag ein weißes Tal unter ihnen. Sehr weit unter ihnen. Die Klippe, auf der sie standen, ragte so hoch, dass Finans Magen sich zusammenzog, als er sich vorstellte, wie es wäre, von dieser Höhe hinunterzufallen. Das weiße Tal war besprenkelt mit immergrünen Bäumen und in der Mitte, durchschnitt ein weiter Fluss die Landschaft, der sich mit einer solch schnellen Strömung durch die Landschaft schlängelte, dass selbst die Kälte ihn nicht einschließen konnte.
Finans Augen folgten dem Fluss gegen die Strömung nach links, bis er auf die stahlblauen Mauern der Wächterstadt traf. Sie glänzten wie Kristalle in der kühlen Wintersonne. Finan konnte sich nicht vorstellen, aus welchem Material sie gemacht waren, nur dass sie aus dieser Entfernung genauso hoch wirkten wie die Klippen, auf denen sie standen.
Hinter den Mauern war die Stadt geschmückt mit schneebedeckten Dächern und Häusern, die wie in der letzten Stadt rote, blaue, grüne und gelbe Fassaden hatten. Die Häuser und Straßen verteilten sich auf dem Berg fast bis zur Spitze, wo sie auf eine weitere blaue Mauer trafen. Dahinter stand ein riesiges, schlossähnliches Gebäude, das direkt in die Bergspitze überging und mit dem Schnee und Eis um die Wette glitzerte. Weiße, spitze Türme die an Eiszapfen erinnerte, streckte sich gen Himmel aus. Die Fassade des Baus war so glatt, dass sie ebenfalls wie Eis wirkte. Selbst von seinem Standort waren die Fenster bereits so groß, dass er sich gar nicht erst die Kosten ausrechnen konnte, um diese zu verglasen.

DU LIEST GERADE
Elyons Erwachen | Band 2
FantasyNach Elyons Sieg über den Urdrachen und Nevins Festnahme, reist Elyon in Begleitung von Nevins kleinem Bruder Finan in den Verbotenen Osten. Dort wird sie hoffentlich mehr über den Fluch, ihren seltsamen, übernatürlichen Fähigkeiten und ihre Herkunf...