Kapitel 11

26 2 0
                                    

AMALIA

Ich saß gerade mit einem von Brunos Büchern auf einer Bank vor dem Haus, um mir eine kleine Pause zu gönnen, als Carla und Luca zu mir kamen.
"Mamá? Können wir dich mal kurz sprechen?", bat Carla beinahe schon niedergeschlagen, ich nickte und legte das Buch zur Seite, um meine Tochter besorgt anzusehen.
"Natürlich, mi vida, was ist los? Du siehst so aufgewühlt aus", fragte ich besorgt nach und rutschte zur Seite, damit sie sich mit Luca zu mir setzen konnte. Sie hielt mir ihre Hand hin, bevor sie sie öffnete. Darin war Sofías Goldkette. Ich lächelte meine Tochter an.
"Ihr habt die Kette gefunden! Das freut mich!", sagte ich glücklich, Carla nickte.
"Ja, haben wir, aber... sie lag unter Papás Fenster", gab sie zu, worauf ich sie geschockt ansah. Wollte sie damit etwa andeuten, dass...? "Versteh mich nicht falsch, Mamá, ich weiß, dass Papá das nicht gewesen sein kann, aber es sieht... komisch aus."
"Carlita, dein Vater würde niemals eine Kette stehlen!", wandte ich geschockt ein, sie nickte.
"Das weiß ich! Er würde niemals auch nur ein Staubkorn klauen! Aber... na ja, es sah eben einfach komisch aus. Wir wollten dir nur sagen, wo wir die Kette gefunden haben", erwiderte sie, ich seufzte.
"In Ordnung, amor, danke euch. Aber ihr sagt niemandem sonst, wo ihr die Kette herhabt, ja?", bat ich, die beiden nickten.
"Natürlich nicht. Wir sagen tía Sofía, dass wir sie im Dorf gefunden haben und sie sie da verloren haben muss", beeilte Luca sich zu sagen.
"Sehr gut, danke, ihr zwei", meinte ich und stand auf. "Dann bringt die Kette bitte zurück."
"Machen wir." Die beiden liefen zurück ins Dorf, während ich mich dazu entschloss, zu Bruno zu gehen und ihm von der Kette zu erzählen. Er hatte im Moment allerdings noch jemanden da, für den er eine Vision halten sollte, also würde ich einfach vor seiner Tür warten. Ich wollte gerade reingehen, als die Tür aufschwang und mir beinahe gegen den Kopf stieß. Casita hielt die Tür allerdings davon ab, wofür ich ihr wirklich dankbar war. Auf eine Gehirnerschütterung konnte ich nämlich nur zu gerne verzichten! Sebastián kam aus dem Haus gestürmt, der eigentlich bei Bruno hätte sein sollen und murmelte einige unverständliche Worte vor sich hin.
"Sebastián? Ist alles in Ordnung?", fragte ich verwirrt nach.
"Frag das deinen Mann! Der ruiniert uns die Ernte! Dios, wieso komme ich überhaupt noch?!", fuhr er mich an, bevor er wütend ins Dorf stampfte. Was sollte das denn? Ich war verwirrt und lief ins Haus, hinauf zu unserem Zimmer, um nach Bruno zu sehen. Doch als ich oben ankam, stand unsere Tür weit offen. Wieso nur? Unsere Tür war immer geschlossen, weil Bruno es nicht mochte, wenn man immer ins Zimmer sehen konnte! Ich legte das Buch zurück auf seinen Nachttisch, bevor ich mich im Haus umsah, um Bruno zu finden. Weit konnte er nicht sein, er war ja gerade erst mit Sebastián fertig geworden. Ich ging in die Küche, aber außer Alma war niemand dort. Ich fand Camilo im Esszimmer, wo er sich noch heimlich einige Arepas nahm, doch innehielt, als er mich sah.
"Milo, sollst du dir einfach Essen nehmen?", mahnte ich, er seufzte und schüttelte den Kopf.
"Nein, aber ich hab Hunger. Und es sind ja nur drei Arepas. Die vermisst schon keiner, tía", erwiderte er und zuckte die Schultern.
"Das hoffe ich für dich", meinte ich und sah ihn neugierig an. "Sag mal, hast du eigentlich deinen tío gesehen?"
"Tío Bruno? Nein, hab ich nicht. Vor fünf Minuten war er noch oben mit Sebastián", antwortete er. "Du findest ihn, tía. Wenn das jemand kann, dann du." Er klopfte mir auf die Schulter, bevor er sich noch eine vierte Arepa nahm und dann das Esszimmer verließ. Dieser Junge! Wie konnte man nur so viel essen wie er? Man könnte meinen, dass er nie etwas zu essen bekam! Ich schüttelte den Kopf, doch machte mich dann wieder auf die Suche nach Bruno. Ich lief zurück nach oben zum Kinderzimmer und klopfte gegen die Tür. Mira öffnete sie mir.
"Mira, hast du zufällig deinen tío gesehen?", fragte ich nach, aber auch sie schüttelte den Kopf.
"Nein, bisher noch nicht. Und dabei wollte er mir zeigen, wie man Goldfäden in Kleider näht!", antwortete sie, ich seufzte. Mira war eigentlich meine letzte Hoffnung gewesen, sie wusste eigentlich immer, wo Bruno war, wenn sie nicht selbst bei ihm war. Wo sollte ich ihn jetzt noch suchen?
"Na gut, trotzdem danke, Mira. Ich schicke ihn dir vorbei, sobald ich ihn gefunden habe, ja?", meinte ich, sie nickte.
"Danke, tía!", erwiderte sie, bevor ich wieder ging und unsicher auf der Galerie stehen blieb. Wo sollte ich jetzt nur suchen? Ich ließ meinen Blick durch das Haus schweifen und blieb dann mit meinem Blick an dem Bild hängen, hinter dem unser alter Geheimgang war. Natürlich! Möglichweise war Bruno ja dahin verschwunden! Ich wusste zwar nicht, wieso er dorthin gegangen war, aber wenn er dort war, würde ich ihn definitiv fragen. Ich ging zum Gemälde und hob es an, bevor ich dahinterkletterte. Der Gang war wesentlich staubiger als früher, aber das wunderte mich nicht, denn schließlich hatte ihn seit Jahren keiner mehr benutzt! Ich lief den staubigen Gang hinab und versuchte dabei den meisten Spinnennetzen auszuweichen, was aber beinahe unmöglich schien. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich endlich an die Tür kam und sie öffnete. Bruno war tatsächlich in unserem alten Geheimzimmer und starrte nur trübselig auf den Boden. Wie in seiner Vision. Was machte er da? Ich betrat das Zimmer, worauf er aufsah. Ich setzte mich zu ihm und nahm seine Hand, um sie zu drücken.
"Brunito, amor, was machst du hier? Was ist los?", fragte ich besorgt nach, weil er absolut traurig und beinahe schon etwas depressiv wirkte. Er sah mich mit einem beinahe leeren Blick an, doch rang sich dann ein Lächeln ab, das aber absolut nicht ehrlich wirkte.
"Nichts, was soll sein?", erwiderte er, worauf ich ihn ernst ansah.
"Ich habe draußen gerade Sebastián getroffen. Was ist passiert? Wieso bist du hier?", fragte ich noch einmal nach.
"Ach, ich wollte nur noch mal ein bisschen in alten Erinnerungen schwelgen und...", begann er, doch ich schüttelte den Kopf.
"Bruno, warum bist du hier?", unterbrach ich ihn streng. Er seufzte.
"Ich... hatte eine schlechte Vision und du weißt ja, wie das dann ist. Ich bin schuld, weil ich alles kaputt mache, ich meine, ich bin eben Bruno! Das ändert sich eben nie! Ich wollte mich nur schon einmal daran gewöhnen, dass ich wahrscheinlich bald komplett hier leben werde. Wenn das alles so weitergeht, wünscht mich bald jeder weg", antwortete er niedergeschlagen, worauf ich ihn fest umarmte.
"Niemals wird das passieren, Brunito! Was kannst du denn für eine schlechte Vision? Du zerstörst keine Ernte und hast auch nichts geklaut! Das sind alles nur absolut blöde Zufälle! Ich liebe dich unendlich, hörst du? Und das wird sich auch niemals ändern, ganz egal, was passiert! Ich werde dich niemals wegwünschen und die Kinder auch nicht! Wir brauchen dich, mi vida! Du bleibst bei uns, hast du gehört? Und jetzt komm, Mira sucht nach dir. Ein bisschen Ablenkung wird dir guttun", widersprach ich ihm und zog ihn vom Sessel hoch, während ich entschied, ihm im Moment nichts vom Fundort der Kette zu sagen. Das würde ihn jetzt nur unnötig runtermachen und das konnte er im Moment nicht gebrauchen. Ich musste ihn erstmal beruhigen und aufmuntern, bevor wir alles andere klären konnten.

Ich brauche dich, Bruno 5 - Verzweifelte Hoffnung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt