BRUNO
Ich hatte mitbekommen, was beim Frühstück passiert war, aber ich hatte nichts tun können. Ich musste hinter den Wänden bleiben, da gab es keine Widerrede. Und Mamá wollte mich nicht einmal zurück, also wieso sollte ich rauskommen? Als ich jetzt wieder in meinem Sessel saß und trostlos auf die Ratten starrte, die gerade ihre Telenovela aufführten, wurde mir erst bewusst, wie wenig mich das aufheiterte. Es hätte mich aufgeheitert, wenn ich die Telenovela mit Lia geschrieben hätte, so wie früher, aber das hier war einfach nur... traurig. Langweilig. Trostlos. Unbedeutend. So wie ich meiner Familie unbedeutend war. Ich seufzte und schloss die Augen. Die Ratten quiekten auf, ich gab ihnen mit einer knappen Handbewegung zu verstehen, dass ich nicht mehr zusehen konnte. Sie quiekten noch einmal, bevor ich ihre kleinen Schritte hörte. Ich öffnete meine Augen wieder und sah sie zu mir auf die Schulter klettern. Sie schnupperten an meiner Wange, ich strich ihnen daraufhin über den Rücken. Wenigstens die zwei blieben hier! Und ich hatte ihnen noch nicht einmal Namen gegeben! Ich nahm die zwei Ratten auf die Hand und hielt sie vor mich.
"Ihr zwei braucht noch Namen", sagte ich und dachte nach. "Wärt ihr mit Paladín und Alegría einverstanden?" Die zwei quiekten zustimmend, ich lächelte. "Das freut mich." Ich ließ die zwei wieder runter, als es an meine Tür klopfte. Sofort verschwanden Paladín und Alegría in dem Labyrinth, das ich gestern für sie gebastelt hatte, während ich mich aus meinem Sessel quälte, um die Tür zu öffnen. Sofort fielen Estrella und Luna mir um den Hals, ich seufzte und drückte meine jüngsten Töchter an mich. Sofort fühlte ich mich etwas besser und es fühlte sich auch so an, als würde mir innerlich wärmer werden.
"Papá! Du musst zurückkommen! Ich will nicht, dass du immer weg bist!", schluchzte Estrella, worauf ich mich zu den beiden kniete. Ich küsste ihr eine kleine Träne von der Wange und lächelte sie an.
"Lita, corazón, ich bin nicht weg, ich bin genau hier. Ihr könnt immer kommen, hört ihr? Ich verlasse euch nicht, niemals! Dafür liebe ich euch viel zu sehr!", beruhigte ich sie.
"Aber es fühlt sich so an, als wärst du weg", murmelte Luna an meine Schulter.
"Lunita, mi vida, ich bin nicht weg! Ich werde nie gehen!", wiederholte ich mich, als ich aufsah und Lia bemerkte, die hinter den beiden stand. Sie trug noch meinen Poncho, sie wie gestern Nacht und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sie hatte tiefe Augenringe und wirkte sehr erschöpft. Wahrscheinlich hatte sie heute Nacht genauso viel geschlafen wie ich - nämlich gar nicht. Es hatte mich zwar beruhigt, dass sie bei mir gewesen war, aber ich hatte trotzdem nicht schlafen können. Der Gedanke daran, dass meine Mutter mich nie wieder sehen wollte, hatte mich wach gehalten und mich in die Knie gezwungen, sodass es mir heute Morgen schon schwer genug gefallen war, überhaupt aufzustehen, um mich in meinen Sessel zu setzen.
"Du bist aber weg!", widersprach Lia mir und setzte sich zu uns auf den Holzboden. "Bruno, die Kinder vermissen dich, das siehst du doch! Du musst hier wieder rauskommen! Du musst ja nicht beim Frühstück dabei sein oder deine Mutter sehen, aber komm wieder zu uns! Sei wenigstens wieder bei uns im Zimmer oder sonst wo, aber nicht hier versteckt hinter den Wänden!" Ich seufzte und schüttelte den Kopf.
"Das kann ich nicht, Lia, es tut mir leid. Ich will nicht von den anderen gesehen werden! Dann werden sie es Mamá sagen und die wird mich dafür umbringen! Vergiss es, ich muss hierbleiben. Zumindest solange, bis Mamá ihre Meinung ändert", lehnte ich ab und ließ meine Töchter los. "Lo siento, wirklich." Lia seufzte und sah die Zwillinge an.
"Würdet ihr zwei bitte mal schnell eure Zimmer aufräumen gehen? Ich muss mal kurz alleine mit eurem Vater sprechen. Ihr könnt ja gleich wiederkommen", bat sie, die Zwillinge nickten unzufrieden und gaben mir einen Kuss auf die Wange.
"Bis gleich, Papá. Wir haben dich lieb."
"Bis gleich, mis amores. Ich euch auch." Sie schlossen die Tür hinter sich, worauf Lia aufstand und mich auch auf die Beine zog.
"Du siehst doch, wie sehr die Kinder leiden, oder, Bruno?", fragte sie ernst, ich seufzte und nickte, während ich mich kraftlos in meinen Sessel sinken ließ.
"Ja, das tu ich, Lia, ich bin ja nicht blind!", antwortete ich ihr. "Aber ich kann nichts tun, verstehst du? Draußen rumzulaufen, wird nur wieder den Ärger von allen auf mich ziehen und das stehe ich einfach nicht noch einmal durch! Außerdem will mich eh keiner mehr!"
"Hallo? Hast du das Frühstück heute Morgen etwa nicht mitbekommen?", fragte sie fassungslos nach, ich nickte wieder und sah den Boden an.
"Ja, natürlich habe ich das gehört!", antwortete ich. "Ich sitze ja nur zwei Meter weiter hinter einer dünnen Wand und nicht hinter dem Mond!"
"Na also! Dann hast du doch wohl auch gehört, dass alle dich vor Alma verteidigt haben!", erwiderte sie.
"Das haben sie nur gesagt, um die Kinder nicht weiter aufzuregen", wehrte ich ab, worauf sie genervt stöhnte.
"Man kann sich aber auch alles schlecht reden! Das haben sie nicht gesagt, um die Kinder zu beruhigen, sondern weil deine Familie dich kennt und liebt!", widersprach sie mir sofort.
"Ach ja? Dann würden sie nicht einfach weitermachen wie zuvor", wandte ich ein.
"Keiner macht weiter wie zuvor! Wir vermissen dich alle unsaglich und falls du es in deiner Trauer und Verzweiflung nicht mitbekommen hast: Mirabel ist gestern durch das ganze Dorf und den halben Wald gelaufen, um dich zu finden! Sie macht sich wirklich Sorgen um dich! Wir alle tun das!", konterte sie und nahm meine Hand, um sie zu drücken. "Brunito, amor, ich weiß, dass du dich schrecklich fühlst, aber hier hinten zu versauern, macht es nur schlimmer! Für alle!" Ich zog meine Hand vorsichtig weg.
"Du hast keine Ahnung, wie sich das anfühlt, Lia. Du warst immer beliebt, du hast keine Ahnung, wie es sich anfühlt, wie eine Pest behandelt zu werden", wandte ich ein.
"Ich war dein ganzes Leben lang an deiner Seite, Bruno! Wenn jemand deine Gefühle versteht, dann ich! Und du kannst mir nicht sagen, dass dich das Weinen deiner Töchter kalt lässt! Sei ehrlich, du hast das heute Morgen doch gesehen, oder? War dir das denn total egal?", fragte sie fassungslos nach.
"Natürlich nicht! Was denkst du denn?!", schrie ich sie lauter als gewollt an. "Ich konnte es nicht eine Sekunde lang aushalten! Ich konnte weder hinsehen noch hinhören! Es tat mir genauso sehr weh wie dir, aber ich kann nichts tun!" Sie seufzte und schüttelte den Kopf.
"Nein, du willst nichts tun! Ich weiß, du fühlst dich, als wärst du nichts wert und als würde dich keiner wollen, aber das ist deine Depression, die da aus dir spricht, mehr nicht! Komm da raus und stell dich der Realität, Bruno! Es ist alles anders, als du dir das einredest!", fuhr sie mich an.
"Ich rede mir nichts ein! Ich lebe im Gegensatz zu dir in der Realität und nicht in einer immer fröhlichen Welt! Du hast keine Ahnung, Amalia! Nicht mal den Hauch einer Ahnung!", schrie ich sie an, weil ich mir das nicht länger anhören wollte. Es tat mir weh, dass selbst sie mich für krank und verrückt hielt.
"Natürlich habe ich das! Ich will dir helfen, verdammt noch mal!", schrie sie zurück.
"Du hast mich gerade verrückt und depressiv genannt! Was weißt du schon?! Wenn du mir wirklich helfen willst, dann verschwinde und lass mich in Ruhe! Und komm erst wieder, wenn du mich verstehst!", brüllte ich sie wütend an, worauf sie erschrocken innehielt und mich fassungslos ansah. Dann nickte sie langsam.
"Gut, dann lasse ich dich alleine", sagte sie leise und ich sah, dass ihr Tränen in den Augen standen. "Und keine Sorge, ich komme nie wieder! Offensichtlich willst du mich ja nicht." Sie zog sich meinen Poncho aus und warf ihn mir entgegen, bevor sie sich ebenfalls unseren Ehering auszog und ihn mir vor die Füße knallte. Bevor ich etwas sagen konnte, stürmte sie aus der Tür und warf diese wütend hinter sich zu. Ich hatte einen Fehler gemacht. Einen riesigen Fehler._____________________________________
Sorry für dieses traurige Kapitel, aber irgendwie hat es sich richtig angefühlt. Glaubt ihr, dass Lia und Bruno sich wieder vertragen können? Und was wird Bruno tun? Kann er seinen Fehler wieder gutmachen? Das nächste Kapitel kommt bald, seid gespannt :)!
Cassy
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Ich brauche dich, Bruno 5 - Verzweifelte Hoffnung
FanfictionEin Jahr nachdem Carla aus Medellín zurückkehrt, erhält sie einen Brief von Luca. Dieser wird nach Encanto zurückkehren und hat vor, auch dort zu wohnen, um bei ihr sein zu können. Es scheint so, als sei das Glück perfekt, doch dann hat Bruno einen...