Kapitel 15

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BRUNO

Obwohl ich mich immer noch etwas niedergeschlagen fühlte, weil Mamá meine Situation nicht verstand, versuchte ich mich davon nicht allzu sehr runterziehen zu lassen. Nachdem ich etwas gegessen hatte, ging ich zu Estrella und Luna, die mit Félix und Augustín vor dem Haus in der Sonne saßen und das Lesen übten. Meine Schwager sahen mich, doch ich gab ihnen ein Zeichen, den Mädchen nichts zu sagen und still zu sein. Meine Töchter saßen mit dem Rücken zu mir und lasen zusammen aus einem Buch, während Félix und Augustín ihnen gegenüber saßen und ihnen dabei halfen, einige schwierige Wörter zu lesen. Ich ging hinter meinen Töchtern in die Hocke und als sie gerade eine Pause machten, um die Seite umzublättern, zog ich die beiden in eine Umarmung. Sie lachten und ließen das Buch los, bevor sie sich von mir losmachten.
"Du hast uns erschreckt, Papá!", rief Luna lachend, als ich mich zu ihnen setzte.
"Ja, das hab ich. Ich mache das gerne", erwiderte ich. "Und? Wie klappt das Lesen?"
"Sehr gut", antwortete Félix mir. "Die zwei werden von Seite zu Seite besser."
"Wirklich? Dann könnt ihr Mamá und mir ja bald etwas vorlesen", erwiderte ich stolz und sah meine Töchter stolz an. Sie wurden so schnell groß! Gestern hatten sie noch in den Windeln gelegen und jetzt konnten sie schon lesen! Bei Carla war das ja auch so unglaublich schnell gegangen! Konnten die zwei nicht wenigstens noch ein bisschen länger klein bleiben?
"Das machen wir, Papá!", stimmte Estrella begeistert zu.
"Das freut mich." Augustín sah Estrella und Luna an.
"Wollt ihr zwei noch fertig lesen?", fragte er, Luna nickte begeistert.
"Ja, auf jeden Fall!", rief sie und hob sich das Buch wieder auf den Schoß. "Bleibst du hier und hörst uns zu, Papá?"
"Na klar! Ich will doch auch hören, wie gut ihr das schon könnt", stimmte ich zu, also begannen die beiden wieder zu lesen.
Eine Weile lang hörte ich den beiden zu, bis Carla und Luca den Hügel hinaufkamen. Sie sahen besorgt aus und redeten aufgeregt miteinander. Als sie uns vor dem Haus sitzen sahen, blieben sie stehen und gaben mir ein unauffälliges Zeichen, zu ihnen zu kommen. Ich sah Luna und Estrella an.
"Kann ich euch zwei mal kurz verlassen? Ich bin aber gleich wieder da, versprochen. Ihr zwei macht das super", bat ich und gab den beiden jeweils einen Kuss auf die Haare, sie nickten, also ging ich zu meiner ältesten Tochter und ihrem Freund. "Was ist los, Carlita?" Sie sah Luca unsicher an, der ihr eine Hand auf den Rücken legte und nickte. Carla griff in die Tasche ihres Kleides und zog eine kleine, schwarze Maske hervor.
"Die hier hat Carlos gefunden. Er hat erzählt, dass er schwarze Gestalten wie Gespenster gesehen hat und die sollen die hier verloren haben. Er... hat sie auf unserer geheimen Lichtung gefunden. Nur Mamá, du und ich wissen, wo sie überhaupt ist", sagte sie, worauf ich sie verwirrt ansah.
"Was willst du damit sagen, hija?", fragte ich nach, sie seufzte.
"Ich weiß es nicht, aber ich finde es seltsam, dass die Maske auf unserer Lichtung lag! Könntest du nicht eine Vision haben und nachsehen, was da los ist?", bat sie. Vision? Nein, nach meiner letzten Vision wollte ich keine mehr haben! Ich schüttelte den Kopf.
"Lo siento, mi hija, aber im Moment kann ich das nicht machen. Ich... hatte vorhin schon eine Vision und hab ziemliche Kopfschmerzen", lehnte ich ab, worauf sie mich forschend ansah.
"Wieso hast du dir dann nicht eine Arepa von tía Julieta geholt?", fragte sie nach, ich schüttelte den Kopf.
"Ich konnte sie vorhin nicht finden. Ich gehe nach ihr sehen. Wenn ihr wollt, könnt ihr ja mal weiter Detektiv spielen und versuchen rauszufinden, wem diese Maske gehört oder wer diese seltsamen Gespenster sind, von denen Carlos da erzählt", wich ich aus und bevor Carla etwas sagen konnte, ging ich ins Haus. Die Maske hatte auf unserer Lichtung gelegen, die Kette unter unserem Fenster und ich war der letzte, der sie gesehen hatte. Noch verdächtiger ging es ja wohl kaum! Wenn die Dorfbewohner das rausfanden, würden sie mich köpfen! Also gab es nur noch eine Möglichkeit. Sobald alle heute Nacht schliefen, würde ich ins Dorf gehen und mich umsehen. Vielleicht konnte ich den Dieb ja auf frischer Tat ertappen.

Abends wartete ich, bis es dunkel war und Lia tief und fest schlief, bevor ich angezogen aus dem Bett schlüpfte und mich leise aus dem Zimmer schlich. Casita klapperte neugierig mit den Ziegeln, als ich auf die Galerie trat.
"Scht, Casita! Sei leise, ja? Ich will niemanden wecken!", flüsterte ich und ging auf die Treppen zu, die mich prompt nach unten schubsten. Ich warf Casita einen mahnenden Blick zu, bevor ich mich hinunter ins Dorf schlich. Um niemandem aufzufallen, schlich ich mich im Schatten der Gebäude durch das Dorf und sah mich immer wieder prüfend um, konnte aber niemanden sehen. Alle waren bereits in ihren Häusern, bei den meisten brannte nicht mal mehr Licht! Die meisten schienen also schon zu schlafen, wie gut. Dann bemerkte mich auch keiner! Ich lief weiter durch das Dorf und sah in jeder Gasse nach, aber finden konnte ich niemanden. Vielleicht hatte Carlos sich das mit diesen Gestalten doch nur eingebildet. Ich lief zwei Runden durch das gesamte Dorf, aber es war keiner zu sehen, also lief ich schlussendlich zurück nach Hause. Wenn keiner im Dorf war, konnte ich getrost nach Hause gehen und mich schlafen legen. Es bestand keine Gefahr für unsere Gemeinde, es war alles in Ordnung. Sofía hatte ihre Kette bestimmt wirklich nur verloren und ich brachte auch kein Unglück. Das Mädchen von heute Morgen hatte nur überreagiert. Lia hatte recht, es war alles gut. Ich war nur durchgedreht. Es war alles in Ordnung, ich musste mir also um nichts Sorgen machen.

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Eine kleine Frage, die mir vorhin spontan gekommen ist: Würdet ihr gerne ein kleines "Zusatzbuch" haben, wo ich so etwas FunFacts, kleine Eastereggs oder ursprünglich geplante Szenarien für meine Geschichten bisher reinschreibe? Keine Sorge, ich werde da natürlich nichts spoilern :)! Sagt gerne mal, ob ihr daran Interesse hättet!

Cassy

Ich brauche dich, Bruno 5 - Verzweifelte Hoffnung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt