AMALIA
Bruno hatte zwar Frühstück mitgebracht, aber er verzichtete darauf, etwas zu essen. Obwohl die Zwillinge und auch Mira und Milo sich an ihn hängten (wortwörtlich), damit er dablieb, schüttelte er die vier ab und entschuldigte sich dann. Ich sah ihm nur verwirrt nach, als er nach oben ging. Ich sah bloß noch, dass er wieder in seinem Geheimgang verschwand. Was sollte dieses seltsame Verhalten? Gestern Abend war er doch noch so gut drauf gewesen! Was war passiert?
"Mamá, ist Papá krank?", fragte Estrella besorgt nach und klammerte sich an meine Hand, während ich mit Luna und ihr ins Esszimmer ging.
"Nein, es geht ihm gut, Lita. Er hat wahrscheinlich einfach nur keinen Hunger. Ihr esst jetzt auch etwas und dann übt ihr mit euren tíos noch mal das Lesen, ja? Ich sehe dann mal nach Papá, aber es geht ihm bestimmt gut", beruhigte ich sie schnell und setzte mich neben die beiden an den Tisch. Alma, Julieta und Pepa sahen mich verwirrt an.
"Wo ist Bruno?", fragte Pepa nach und sah sich um.
"Oben, er hat keinen Hunger. Vielleicht will er einfach nur noch ein bisschen Schlaf nachholen", antwortete ich ihr. Alma sah mich verwirrt an und stand auf.
"Ich gehe ihn holen, er soll mitessen", meinte sie, aber ich schüttelte den Kopf.
"Lass ihn bitte, Alma. Ich sehe nach dem Essen nach ihm, ja?", bat ich, worauf sie die Augenbrauen hochzog. "Lass ihm noch ein paar Minuten Schlaf, ok? Ich kümmere mich schon darum, dass er später noch etwas isst." Sie nickte unzufrieden, bevor sie sich wieder setzte und wir mit dem Frühstück begannen.
Nach dem Essen bat ich Félix und Augustín auf die Mädchen aufzupassen, damit ich mich in Ruhe um Bruno kümmern konnte. Ich kletterte in den Geheimgang und lief zu unserem Zimmer, dessen Tür ich vorsichtig öffnete. Bruno saß wieder in seinem roten Sessel und starrte auf den Boden, als ich mich zu ihm setzte.
"Was ist los? Wieso bist du plötzlich so komisch drauf? Gestern Abend war doch noch alles gut!", fragte ich besorgt nach und drückte seine Hand, er sah mich traurig an und seufzte dann.
"Das Dorf kehrt zu seinen Wurzeln zurück", antwortete er geheimnisvoll, worauf ich ihn verwirrt ansah.
"Was soll das denn jetzt heißen? Könntest du dich bitte mal erklären?", bat ich perplex, er schluckte und nickte knapp.
"Ich wollte euch allen heute Morgen Frühstück holen und als ich aus der Bäckerei gekommen bin, hat mich ein Mädchen aufgehalten. Sie hat gesagt, dass ich für die schlechte Ernte verantwortlich bin und sie nicht will, dass ich zu ihrem Geburtstag komme, weil ich nur Unglück bringe. Danach hatte ich irgendwie das Gefühl, dass mich alle wieder so angestarrt haben wie früher. Ich will nicht wieder für schlechte Dinge verantwortlich sein! Ich habe nichts getan, Lia, wirklich nicht! Aber ich hab das Gefühl, dass alle wieder beginnen so zu denken wie früher, als wir Kinder waren!", erklärte er verzweifelt. "Ich gehe vorerst nicht mehr ins Dorf, wenn die Leute draußen sind, das kannst du vergessen! Ich kann das nicht noch mal!" Ich seufzte und drückte ihn an mich, während ich ihm einen Kuss auf die Stirn gab.
"Mi vida, ich weiß, dass dir das sehr nah geht, mir auch, aber das war nur eine einzige Person, die das gedacht hat! Das Dorf denkt nicht so, wieso sollte es? Es gibt absolut keinen Grund dazu! Alle wissen, dass du Sofía nichts gestohlen hast und was kannst du dafür, wenn die Ernte schlecht ausfällt? Du darfst das nicht immer so persönlich nehmen! Es ist alles gut, hörst du? Die ganze Familie steht hinter dir, dir kann nichts passieren", beruhigte ich ihn und drückte ihn fest an mich. "Du bist nur aufgewühlt, wegen den ganzen Ereignissen. Aber was für Beweise gibt es denn für diese ganzen Anschuldigungen? Gar keine! Du musst also keine Angst haben, es ist alles gut."
"Aber... meine Vision...", begann er, doch ich schüttelte den Kopf.
"Vergiss diese Vision, sie wird nicht eintreten! Du wirst nicht alleine sein, hörst du? Aber du darfst dich auch nicht so abschotten! Das macht es nur schlimmer! Komm, wir gehen raus. Die Kinder vermissen ihren tío, sie würden gerne mit dir spielen", sagte ich, er seufzte und nickte, also ließ ich ihn langsam wieder los.
"Tut mir leid, das... erinnert mich nur so sehr an früher und das macht mich einfach fertig", murmelte er, ich lächelte ihn an und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
"Das verstehe ich, mi vida, aber es wird alles gut, versprochen. Ich bin immer an deiner Seite, ja? Zu mir kannst du immer kommen, selbst, wenn alles den Bach runtergeht!", erwiderte ich, er lächelte mich an.
"Danke, mi amor. Was würde ich nur ohne dich machen?", fragte er dankbar nach.
"Das wollen wir uns am besten gar nicht erst ausmalen!", wich ich aus, bevor ich seine Hand nahm und wir wieder zurück zu den anderen gingen. Wir wollten runtergehen, damit Bruno noch etwas essen konnte, aber Alma hielt uns kurz vor der Küche auf.
"Hijo, wo warst du nur wieder?", fragte sie streng nach. "Du kannst nicht einfach verschwinden und das Frühstück ausfallen lassen! Das ist eine sehr wichtige Tradition!" Bruno seufzte leise und nickte.
"Ich weiß, Mamá, und es tut mir auch leid, aber mir ging es heute Morgen einfach nicht sonderlich gut", wandte er entschuldigend ein. "Ich war heute Morgen im Dorf und wollte das Frühstück holen, als mich ein Mädchen aufgehalten und mich gebeten hat, nicht zu ihrem Geburtstag zu kommen, weil ich nur Unglück bringe. Das... erinnert mich einfach so sehr an früher, ich brauchte kurz Ruhe." Er griff in seine Tasche und warf sich etwas Salz über die Schulter. Ich bemerkte zudem, dass er auf den Zehenspitzen stand, um die Fugen nicht zu betreten. Oh nein, er machte seine Rituale gegen Unglück wieder! Die hatte er die letzten fünfzehn Jahre nicht mehr gebraucht, aber jetzt kamen sie wieder. Er musste also wirklich unter Stress und Druck stehen, wenn er das wieder machte.
"Und du denkst, dass es besser wird, wenn du dich versteckst? Dios, hijo, du bist sechsunddreißig! Benimm dich auch so, und nicht wie fünf! Irgendwann musst du deine Paranoia und kindlichen Rituale auch mal ablegen und erwachsen werden!", schimpfte Alma, bevor sie den Kopf schüttelte und an uns vorbeilief. "Ay, dios! Was mache ich nur mit diesem Jungen?" Bruno senkte traurig den Kopf, ich nahm ihn in den Arm und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
"Vergiss sie, Brunito. Sie versteht nicht, wie sehr dich das belastet, aber ich weiß es. Es ist alles in Ordnung, ich hätte mich genauso verhalten wie du. Und jetzt komm, lass uns erstmal etwas essen. Es wird alles gut, versprochen, mi vida. Du musst dir keine Sorgen machen, ich bin für dich da. Jederzeit und überall, verstanden? Und das ändert sich auch nie, versprochen."

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Ich brauche dich, Bruno 5 - Verzweifelte Hoffnung
FanfictionEin Jahr nachdem Carla aus Medellín zurückkehrt, erhält sie einen Brief von Luca. Dieser wird nach Encanto zurückkehren und hat vor, auch dort zu wohnen, um bei ihr sein zu können. Es scheint so, als sei das Glück perfekt, doch dann hat Bruno einen...