Kapitel 26

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CARLA

Ich lief schnell nach Hause. Es konnte doch nicht sein, dass Mamá und Papá sich gestritten hatten und sich womöglich noch trennten! Das musste ich definitiv verhindern! Das konnte ich nicht zulassen, erst recht nicht wegen den Zwillingen! Als ich zu Casita kam, öffnete sie mir die Tür und schob mich die Treppen hinauf, als wüsste sie genau, wohin ich gehen wollte. Ich sah mich noch einmal um, aber es war keiner im Haus, also schlüpfte ich schnell hinter das Gemälde und lief den staubigen Gang hinab. Schnell lief ich zu Papás Tür und klopfte dagegen. Ich wartete allerdings nicht auf seine Antwort, also öffnete ich sie einfach. Papá saß zusammengesunken in seinem Sessel und starrte trübselig auf den Boden, doch sah überrascht auf, als ich so ins Zimmer gestürmt kam. Ich konnte genau sehen, dass er geweint hatte und sich nur die Tränen aus den Augen gewischt hatte. Einer seiner Ponchos lag auf dem Boden und eine seiner Hände hatte sich beinahe schon um etwas verkrampft, das ich nicht sehen konnte. War es vielleicht Mamás Ring, den er da umklammert hielt? Papá sah mich an.
Carla? Wieso ist sie gekommen? Hat sie vielleicht von unserem Streit mitbekommen?
"Ja, hab ich, Papá. Und ich will euch wieder versöhnen, ok? Mamá braucht vielleicht noch etwas Zeit, aber ihr müsst dringend miteinander sprechen! Bitte, Papá!", sagte ich und ging auf ihn zu. "Ich weiß, dass ihr euch liebt und dass ihr das nur aus dem Affekt gesagt habt!" Papá seufzte und sah mich an.
"Hat Mamá dir erzählt, was passiert ist?", fragte er nach und ich konnte hören, dass seine Stimme sehr belegt war. Ich ging zu ihm und setzte mich neben ihn, bevor ich seine Hand nahm und ihn anlächelte.
"Ja, hat sie, Papá. Deswegen weiß ich auch, dass sie es nicht ernst gemeint hat. Ihr müsst dringend miteinander reden! Komm schon, Papá, komm raus! Mamá sitzt bei Abuela Ines und weint, du musst zu ihr und mit ihr sprechen!", antwortete ich ihm, er seufzte und schüttelte den Kopf.
"Tut mir leid, Carlita. Ich habe schlimme Sachen zu ihr gesagt, die nicht so einfach wieder gut gemacht werden können. Sie wird mich nicht mehr sehen wollen, nach dem, was ich ihr an den Kopf geworfen habe!", wandte er traurig ein und seine Hand schloss sich noch mehr um den Gegenstand, den er festhielt.
"Papá, ich weiß, dass du Mamás Ring festhältst! Du liebst sie und sie liebt dich auch! Wieso willst du dann nicht zu ihr gehen?", fragte ich verwirrt nach.
"Ich kann nicht rausgehen, Carla! Und ich weiß, dass sie mich nicht mehr wiedersehen will! Es tut mir genauso sehr im Herzen weh wie dir, aber ich kann nichts tun. Ich war schrecklich zu ihr und sie hat jeden Grund dazu, mich zu verlassen. Das ist das Letzte, das ich jemals für euch wollte, aber so wie es aussieht, habe ich meine Familie dieses Mal wirklich nachhaltig zerstört", wandte er traurig an und zog seine Hand weg. "Lo siento mucho, mi vida." Ich seufzte. Wie konnte ich ihn nur davon überzeugen, dass er mit Mamá reden musste, bevor alles nur noch schlimmer wurde? Da kam mir eine Idee. Papás Visionen! Ich stand auf.
"Na gut, warte hier, Papá!", sagte ich und drehte mich um.
"Es ist nicht so, als würde ich irgendwo hingehen", murmelte er, also ging ich los und kletterte hinter dem Gemälde hervor. Ich lief in Papás Turm und lief die Millionen von Treppen hinauf, obwohl mir dabei mehrmals fast der Atem ausging. Papá wollte zwar nicht, dass wir ohne ihn in seinen Turm gingen, aber das hier war ein Notfall! Ich öffnete sein schweres Steintor und schob mich in den dunklen, sandigen Raum. Ich ging zu den kleinen Steinregalen an der Wand, in denen Papá seine ganzen Visionstafeln aufbewahrte. Alle außer einer. Die hatte er separat auf eine Art kleinen Schrein gelegt, der in der hinteren Ecke des Raumes stand. Ich ging zu ihm und hob die Tafel vorsichtig hoch. Es war die Tafel von Mamá und Papá, wie sie im Hochzeitskleid auf ihn zulief. Diese Vision hatte Papá immer aufgemuntert und jetzt zeigte sie ihm hoffentlich, wofür er kämpfen musste! Für Mamá! Und für uns! Ich lief mit der Tafel in den Händen die Treppe wieder hinunter und war auf dem Flur bedacht darauf, dass mich keiner sah, aber alle waren noch weg. Also trat ich wieder in den Geheimgang und lief zurück zu Papá, der immer noch regungslos in seinem Sessel saß. Als er sah, was ich da in der Hand hatte, wollte er den Mund öffnen, aber ich unterbrach ihn, bevor er etwas sagen konnte.
"Ich weiß, du magst es nicht, wenn wir einfach in deine Visionshöhle gehen, aber das musste jetzt sein!", meinte ich und hielt ihm die Vision hin. "Papá, das hier hat Mamá und dich zusammen gebracht! Und ihr habt so viel durchgemacht! Besonders mit mir! Wollt ihr euch da wegen einem blöden Streit wirklich aufgeben? Und uns auch gleich mit? Bitte, Papá! Ihr liebt euch doch! Sieh dir doch nur deine Vision an! Und dann noch Mamás Ring! Ich weiß ja, dass da gerade viel in euch beiden vorgeht, aber das kriegen wir hin, versprochen! Komm schon, Papá! Lass uns zu Mamá gehen!" Er sah auf die Vision hinunter und ich hatte das Gefühl, dass ihm wieder Tränen in die Augen traten.
"Du hättest sie an diesem Tag sehen sollen, Carla. Sie war hübscher als es jeder Engel jemals sein könnte. Sie ist heute immer noch genauso hübsch und klug, ich werde niemals jemanden so lieben wie deine Mutter", sagte er leise, während er immer noch auf seine Vision starrte. "Ich würde sie ohne zu zögern ein zweites Mal heiraten - auch ein tausendstes Mal, wenn ich könnte!"
"Dann mach das! Geh zu ihr, Papá, und gib ihr den Ring zurück! Sie liebt dich auch und das weißt du auch! Komm schon, Papá! Lass uns zu Mamá gehen und alles klären! Wir kriegen euren Streit wieder hin, das weiß ich einfach!", erwiderte ich und lächelte ihn an, aber er seufzte und schüttelte den Kopf.
"Carla, ich freue mich darüber, dass du uns helfen willst, aber ich kann nicht raus, es tut mir leid", wandte er niedergeschlagen ein. Ich seufzte und nickte, bevor ich ihm die Vision in die Hand drückte.
"Ok, gut! Dann bleib einfach hier und halte die Vision fest! Und vergiss nicht, was du mir gerade gesagt hast! Ich hole Mamá und dann kannst du es ihr auch noch einmal sagen!", meinte ich und bevor Papá etwas sagen konnte, war ich aus dem Raum gerannt.

Ich brauche dich, Bruno 5 - Verzweifelte Hoffnung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt