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- Imke -

„Du hast was?!“
Mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund starre ich Evelyn an und bin für einen kurzen Moment versucht, meiner besten Freundin die von ihr mitgebrachte Tortenplatte auf
dem Wohnzimmertisch wie in einer dieser klischeelastigen Komödien ins Gesicht zu klatschen.
Das kann doch nicht sein!
Das kann doch einfach nicht wahr sein!
Warum hat sie das gemacht?
Warum?
Ich habe ihr nichts getan und sie...ach, verdammt...
„Jetzt entspann dich mal, Liebes.“
Mit übereinander geschlagenen Beinen lehnt Evelyn sich in dem Sessel gegenüber von mir zurück und hebt die Mundwinkel ihrer weinroten Lippen zu einem amüsierten Lächeln an, wohingegen ich bis an den Rand meines Sofas gerutscht bin und mit einem genervten Stöhnen die Augen verdrehe.
„Glaub mir, bis gerade eben war ich auch noch entspannt. Tiefenentspannt. Bis du mir von dieser...dieser Schnapsidee erzählt hast!“
„Um genau zu sein kam mir die Idee bei einem Glas Whiskey, aber ich denke ich weiß schon, worauf du hinaus möchtest“, entgegnet Evelyn und zwinkert mir belustigt zu, „und so schnapsig ist diese Idee jetzt auch wieder nicht.“
„Ach, tatsächlich?“, unbeeindruckt hebe ich eine Augenbraue, „dann würdest du es also für gut befinden, wenn ich dichohne dein Wissen bei einer Dating App anmelde und drei
Treffen mit irgendwelchen fremden Männern für dich organisiere?“
„Nun, wie du weißt würde ich solche Treffen eher mit fremden Frauen bevorzugen, aber zur Not begnüge ich mich auch mit den Herren der Schöpfung. Nett unterhalten kann man sich ja trotzdem.“
„Oh, wie überaus gnädig von dir“, sage ich und schnaube verächtlich, was Evelyn jedoch nur mit den Schultern zucken lässt.
„So bin ich nun mal. Und bevor du dir in deinem hübschen Köpfchen noch irgendwelche Horrorszenarien ausmalst, kann ich dich beruhigen. Alle drei Treffen finden jeden Samstag im Abstand von einer Woche im Restaurant „Königshof“ statt. Du bist also zu keinem Zeitpunkt mit den Männern alleine. Also, sofern du das nicht möchtest...“
„Danke, aber nein danke, ich verzichte“, erwidere ich und vergrabe mein Gesicht für einen Moment mit einem schweren Seufzer in beiden Händen, bevor ich meinen Kopf wieder hebe, „ich verstehe wirklich nicht, warum du angenommen hast, dass ich mich über dieses nachträgliche Geburtstagsgeschenk freuen würde, Evy.“
„Das habe ich auch nicht angenommen.“
„Was? Aber wieso hast du dann...warum...hä?“
„Ganz ruhig, Liebes. Kein Grund für einen sprachlichen Systemausfall“, entgegnet Evelyn und zieht amüsiert eine Augenbraue hoch, „aber ja. Natürlich wusste ich, dass du dich über mein Geburtstagsgeschenk nicht freuen würdest. Was wäre ich schließlich sonst für eine beste Freundin? Deswegen habe ich ja auch die gemischte Tortenplatte vom Konditor als Wiedergutmachung mitgebracht.“
Ich seufze erneut und schüttle leicht den Kopf. „Kannst du nicht einmal ernst bleiben, Evy?“
„Bin ich doch“, entgegnet Evelyn und mustert mich fest aus ihren sturmgrauen Augen, „und deshalb mache ich mir auch ernsthafte Sorgen um dich.“
„Oh bitte, Evy...“
„Nein, Imke. Ich meine das wirklich so, wie ich es sage. Und da gibt es auch keinen Grund, jetzt die Augen so dermaßen zu verdrehen, sonst wird dir am Ende noch schwindelig“, unterbricht Evelyn mich und richtet sich wieder etwas im Sessel auf, während sie sich gleichzeitig mit einer Hand durch ihre kurzen weißblonden Haare fährt, um den nach links gescheitelten Haarteil, der ein Stück ihrer Gesichtshälfte verdeckt, zu richten. „Schau mal...seit
deiner Scheidung von Thomas vor vier Jahren bist du praktisch mit deiner Arbeit verheiratet und übersetzt irgendwelche Liebesromane am laufenden Band, während dein eigenes Liebesleben eingestaubter ist als mein Dachboden.“
„Netter Vergleich.“
„Einer, der zutrifft.“
„Ja...vielleicht...“ Ein schwaches Lächeln zeichnet sich auf meinen Lippen ab, während ich mir vorsichtig meine Brille von der Nase ziehe und mit zwei Fingern über meine nun geschlossenen Augenlider fahre. „Das ändert aber trotzdem nichts daran, dass ich diese drei Männer nicht einmal kenne.“
„Was ja auch der Sinn und Zweck von Blind Dates ist, Liebes“, sagt Evelyn und ich erkenne an dem Tonfall ihrer
Stimme, dass sie die Augen verdreht, „ich dachte als Übersetzerin wärst du der englischen Sprache mächtig?“
„Sehr witzig“, murmle ich und öffne meine Augen wieder, bevor ich mit einem kurzen Räuspern meine Brille wieder aufsetze und meine Schultern anschließend straffe, „okay...selbst wenn ich mich auf diese in meinen Augen immer noch vollkommen idiotische Idee einlassen sollte...was mache ich mit Matthis und Mathilda? Immerhin kann ich die beiden schlecht alleine lassen. Thomas könnte vielleicht einen der Samstage übernehmen, aber drei Stück hintereinander auf keinen Fall und erst recht nicht den morgigen Samstag, da er ja momentan noch auf Geschäftsreise ist. Also, wie soll das
deiner Meinung nach bitte funktionieren, hm?“
Trotz meines relativ strengen Blicks über den Rand meiner Brille hinweg, lehnt sich Evelyn mit einer fast schon
verschlagenen Miene zu mir vor und grinst mich belustigt an.
„Dann lässt du dich also auf die Dates ein, ja?“
Ich unterdrücke ein genervtes Stöhnen und verdrehe stattdessen nur die Augen. „Wenn du mir eine adäquate Betreuungsmöglichkeit für meine Kinder nennen kannst...“
„Sei unbesorgt, Liebes“, unterbricht Evelyn mich erneut und lehnt sich sichtlich zufrieden wieder in ihrem Sessel zurück, „ich glaube, ich kenne da die perfekte Aufpasserperson für deine Zwillinge...“

- Tessa -

„Wow! Nicht schlecht, Tessie.“
Henriks anerkennender Pfiff, als ich das Wohnzimmer betrete und durchstreife, um zur kleinen Kommode auf der anderen Seite des Raumes zu gelangen, lässt mich schmunzeln.
„Ich nehme an, dir gefällt mein Outfit?“, frage ich, ohne mich zu ihm umzudrehen und greife stattdessen nach meinem Schlüsselbund, welchen ich zuvor auf die Ablage der kleinen
Kommode gelegt habe, als ich im nächsten Moment auch schon zwei große warme Hände spüre, die sich von hinten an meine Hüften legen.
„Na, und ob“, höre ich Henriks Stimme leise in mein Ohr raunen und kichere kurz darauf auf, als seine Lippen beginnen über meinen Hals zu streichen.
„Lass das sein, du Idiot. Das kitzelt“, kichere ich weiter und schiebe Henriks Hände, die nun langsam beginnen sich auf Wanderschaft zu begeben, mit einem spielerischen Stoß von meinem Körper weg und drehe mich mit einem ermahnenden Lächeln zu ihm um, wobei ich meinen Kopf ein Stück heben muss, um ihm in seine dunklen Augen schauen zu können, „ich habe dafür jetzt wirklich keine Zeit. Ich bin sowieso schon spät dran.“
„Ach, ehrlich?“, entgegnet Henrik und hebt grinsend, wenn auch nicht ganz überzeugt, eine Augenbraue, während er wieder seine Hände auf meine Hüften legt und mich erneut ein Stück zu sich zieht, „spät wofür?“
„Für mein Vorbereitungsgespräch an der Grundschule, an der ich in den nächsten Wochen arbeiten werde, um das Praktikum für mein Studium abzuschließen? Klingelt da vielleicht
irgendetwas, Herr Sternberg?“
Auch wenn meine Frage eher scherzhaft gemeint gewesen ist,
zeichnet sich zu meiner Überraschung ernsthafte Verwirrung in Henriks Augen ab.
„Das ist heute?“
„Ja, natürlich“, mit gespielter Empörung verziehe ich das Gesicht, „oder hast du mir gestern Abend etwa nicht zugehört, als ich dir davon erzählt habe?“
„Sagen wir es so“, erwidert Henrik und beginnt grinsend und mit einem süffisanten Zwinkern eine meiner braunen Haarsträhnen um seinen Zeigefinger zu wickeln, während seine andere Hand immer noch auf meiner Hüfte ruht, „ich hatte gestern Abend andere...Prioritäten.“
„Ah, verstehe“, sage ich und nicke wissend, bevor ich ihm mit einem neckenden Schmunzeln einen leichten Stoß vor die Brust verpasse, „wie wäre es, wenn du dein Studium auch mal zu einer deiner Prioritäten machen würdest, hm?“
„Oh Mann, Tessie“, mit einem genervten Seufzer verdreht Henrik die Augen und schüttelt leicht den Kopf, wodurch seine blonden Locken hin und her wippen, „wie schaffst du es eigentlich immer die Stimmung so krass kaputt zu machen?“
„Weil ich die Art der Stimmung jetzt gerade nicht gebrauchen kann. Schließlich muss ich mich auf mein anstehendes Gespräch konzentrieren und du, Henrik Sternberg, lenkst mich viel zu sehr davon ab.“
Mit diesen Worten und einem kurzen belustigten Zwinkern schiebe ich mich an meinem Freund vorbei und gehe samt fest umfassten Schlüsselbund in einer Hand wieder zurück durchs Wohnzimmer und in Richtung Flur, als mich das schrille Klingeln meines Handys erschrocken zusammenzucken lässt.
Das...das kann doch nicht sein!
Also so spät dran bin ich doch wirklich nicht...
Sofort lasse ich meinen Blick zur Uhr über dem Wohnzimmertürrahmen gleiten und atme erleichtert auf.
Noch eine dreiviertel Stunde bis zum vereinbarten Termin...na immerhin...
Aber wer ruft mich dann an?
Nachdenklich eile ich in den Flur und weiter zur Garderobe, wo ich meine Handtasche an einen der noch wenigen freien Haken gehängt habe. Mehr schlecht als recht krame ich darin nach meinem Handy, welches ich schließlich mit leisem Fluchen unter einer Packung Taschentüchern, ein paar losen und noch verpackten Kaugummistreifen und meinem Ersatzlippenstift hervorgezogen habe.
Kaum dass mein Blick über das wild vor sich hin blinkende Handydisplay und den darauf abgebildeten Kontaktnamen streift, spüre ich, wie sich ein amüsiertes Lächeln auf meinen Lippen ausbreitet.
Na so was...das nenne ich doch mal eine Überraschung...
Immer noch lächelnd räuspere ich mich für einen Moment und nehme dann das Telefonat schließlich an.
„Hallöchen Tantchen.“
„Könntest du dir bitte abgewöhnen, mich Tantchen zu nennen, Tessa? Mal abgesehen davon, dass ich nur deine Patentante bin, lässt mich dieser Begriff älter wirken als ich tatsächlich bin.“
„Aber sicher, Tantchen“, entgegne ich und kichere auf, als ich das Kopfschütteln in Evelyns genervtem Aufstöhnen höre, „was gibt’s denn? Und du müsstest dich leider kurz fassen, ich hab es nämlich ein wenig eilig und...“
„Ach, sieh mal einer an“, unterbricht Evelyn mich, wobei eine gewisse Belustigung in ihrer Stimme mitschwingt, „kommst du mal wieder zu irgendeinem Termin zu spät?“
„Nein. Zumindest nicht, wenn du mich nicht noch länger aufhältst“, erwidere ich und höre Evelyn am anderen Ende der Leitung auflachen.
„Na gut, dann wollen wir mal zusehen, dass es auch nicht dazu kommt“, sagt sie und räuspert sich kurz, „ich wollte dich auch eigentlich nur um einen kleinen Gefallen bitten...“

Liebe Zwischen Den Zeilen (Imke & Tessa) (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt