# 40

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- Imke -

„Wann holt Papa uns denn am Freitag ab?“
„Wahrscheinlich am frühen Abend. Dann könnt ihr noch ganz gemütlich zusammen mit Pauline und Papa zu Abend essen“, antworte ich auf Mathildas Frage und mustere gleichzeitig Mathis mit einer hochgezogenen Augenbraue, der mit leicht verkniffenem Mund vor seinem Sandwich am Küchentisch sitzt, von dem er noch keinen einzigen Bissen genommen hat.
Komisch...
Er ist schon den ganzen Abend über so schweigsam...
Um genau zu sein, seit ich Mathilda und ihm erzählt habe, dass sie das nächste Wochenende bei Thomas und Pauline verbringen werden.
Möchte er etwa nicht zu den beiden gehen?
Oder bedrückt ihn etwas anderes?
Für einen kurzen Moment betrachte ich Mathis noch, bis ich mich schließlich leicht räuspere und ein Stück zu ihm vorlehne.
„Alles in Ordnung, Großer?“
„Ja, Mama. Alles okay.“
„Bist du dir sicher?“, frage ich weiter und streiche meinem Sohn mit besorgtem Blick durchs Haar, „du wirkst irgendwie so traurig. Hast du Kummer? Oder Sorgen wegen etwas?“
„Nein...“
„Aber?“, hake ich nach, als Mathis beginnt, unschlüssig auf seiner Unterlippe herumzukauen, „komm schon, Mathis. Was hast du denn?“
„Er will nicht, dass du Papa von seinen Arztterminen erzählst.“
„Stimmt doch gar nicht!“
Wie bitte?
Meine Augen weiten sich, als Mathis seiner Schwester einen bösen Blick zuwirft, die jedoch nur unbeeindruckt mit den Schultern zuckt und einen großen Bissen von ihrem Sandwich nimmt.
„Stimmt wohl“, entgegnet sie mit vollem Mund und schluckt den Bissen anschließend herunter, während Mathis sie immer noch wütend anfunkelt. „Du hast doch vorhin noch gesagt, dass...“
„Halt die Klappe, Thilda!“
„Halt doch selber die Klappe!“
„Jetzt ist aber Schluss!“, unterbreche ich die Zwei energisch und schaue abwechselnd zwischen Mathis und Mathilda hin und her, die sofort schuldbewusst ihre Köpfe zwischen die Schultern ziehen, „ich dulde keine derartige Wortwahl in diesem Haus! Haben wir uns verstanden?“
„Ja, Mama“, murmeln die beiden kleinlaut und tauschen einen entschuldigenden Blick aus, während ich tief aufseufze.
„Gut, und jetzt nochmal von vorne“, sage ich und schiebe meine Brille ein Stück auf der Nase höher, bevor ich mich wieder zu Mathis drehe, „stimmt das, was Mathilda da gesagt hat? Möchtest du nicht, dass ich Papa davon erzähle?“
Mathis weicht meinem forschenden Blick gekonnt aus und schiebt stattdessen seine Unterlippe schmollend vor.
Also stimmt es.
Ach, Großer...
Ich seufze leise und streiche Mathis erneut durch die Haare.
„Verstehe“, sage ich und nicke wissend, „du willst nicht, dass Papa davon erfährt, weil dir diese kleine Besonderheit, die du vielleicht hast, unangenehm ist, oder? Genauso wie es dir gegenüber Tessa oder Frau Krüger oder...mir...unangenehm gewesen ist. Richtig?“
Stur starrt Mathis weiter vor sich hin, bis er schließlich tief Luft holt und seinen Kopf sinken lässt.
„Ich...ich will nicht, dass Papa mich für dumm hält. So...so wie die anderen...“
Verwirrt runzle ich die Stirn. „Welche anderen denn?“
„Die anderen aus unserer Klasse“, erklärt Mathilda und wirft Mathis einen mitfühlenden Blick zu, als dessen Gesicht sich zunehmend verfinstert, „zum Beispiel Paul und seine Freunde. Sie haben sich immer über Matti lustig gemacht, wenn er was in Mathe oder Deutsch durcheinander gebracht hat.“
„Verstehe“, sage ich erneut, während sich meine Hände vor Wut unbemerkt zu Fäusten ballen. „Bist du deshalb auf die Idee mit den Arbeitsblättern gekommen? Damit sich dieser Paul und seine Freunde nicht mehr so sehr über Mathis lustig
machen?“
Mathildas Nicken lässt noch mehr Wut in mir aufsteigen, die ich jedoch mit einem tiefen Ausatmen einigermaßen unter Kontrolle halte.
„Okay“, murmle ich und nicke ebenfalls, bevor ich wieder zu Mathis schaue und ihm eine Hand auf die Schulter lege, wodurch er langsam seinen Kopf zu mir dreht. „Sobald du
nächste Woche die restlichen Arzttermine hinter dich gebracht hast und wir wissen, ob du wirklich diese kleine Besonderheit hast, werde ich mich an Frau Krüger wenden und sie bitten, dies mit eurer Klasse zu besprechen und ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass das nicht bedeutet,
dass du dumm oder dergleichen bist. Du kannst schließlich nichts dafür, Mathis. Und ich werde Frau Krüger außerdem noch darauf hinweisen, dass sie diesen Paul und seine Freunde besonders im Auge behalten soll. Und Tessa natürlich auch, solange sie noch bei euch im Unterricht ist.“
Trotz seines nachdenklichen Blicks schenkt Mathis mir ein schiefes Lächeln und nickt langsam, ehe er zurück zu seinem Käsesandwich schaut, danach greift und kräftig reinbeißt.
Ein zufriedenes Schmunzeln breitet sich auf meinen Lippen aus.
Na bitte.
Geht doch.
Ein kurzes Plinggeräusch lässt mich aufhorchen und überrascht die Augenbrauen heben.
Das ist doch mein Handy!
Genauer gesagt eine Nachricht, die mir jemand geschrieben hat...
Ich drücke Mathis und Mathilda, die weiter auf ihren Sandwiches herumkauen, jeweils einen kurzen Kuss auf die Stirn, bevor ich aufstehe und zur Küchenanrichte gehe, auf der mein Handy liegt, dessen grüne Benachrichtigungsleuchte in regelmäßigen Pulsen aufleuchtet.
Wahrscheinlich ist Thomas noch etwas zu Freitag eingefallen.
Oder die Flasche Whiskey für Evelyn hat den Transport in seinem Koffer nicht überlebt, so wie beim letzten Mal...
Belustigt über die Erinnerung grinse ich vor mich hin und entsperre mein Handy mit einer geübten Bewegung, nur um im nächsten Moment erneut die Augenbrauen zu heben.
Aber...das ist doch...
Mehrfach blinzelnd rufe ich die Nachricht vollständig auf und beginne zu lesen.

Liebe Zwischen Den Zeilen (Imke & Tessa) (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt