# 16

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- Imke -

Das kann doch einfach nicht wahr sein...
Der Griff meiner Finger um die Kaffeetasse in meiner Hand verstärkt sich zunehmend, während ich mich gegen die Wand hinter mir lehne und auf die gegenüberliegende Seite meines Arbeitszimmers zu dem Manuskript schaue, welches auf dem
Schreibtisch neben meinem Laptop liegt.
Schon auf der Autofahrt nach Hause habe ich immer wieder prüfend aus den Augenwinkeln zum Beifahrersitz gelinst, auf welchem der große und berüchtigte braune Umschlag gelegen
hat.
Und jetzt hier, bei mir zu Hause, wirkt dieser einseitig bedruckte Papierstapel, den ich aus dem Umschlag hervorgezogen habe, erst recht wie ein unerwünschter Gast.
Ein Eindringling.
Nicht nur in meine Arbeits-, sondern vor allen Dingen in meine Gedankenwelt...
Ich gebe zu, dass ich mich arg zusammenreißen musste, um meinen Gesichtsausdruck nicht vollkommen entgleiten zu lassen, als Dr. Kamp mir unterbreitet hat, dass es sich bei dem Inhalt des Manuskripts um einen Liebesroman zwischen zwei Frauen handelt, und ich bin sehr erleichtert gewesen, dass ich meine sich anbahnende Fassungslosigkeit gerade so mit einem leichten Räuspern und kurzen Nicken überspielen konnte, wodurch keine weiteren Nachfragen seinerseits entstanden sind.
Nachfragen, auf die ich ihm vermutlich sowieso keine Antwort
hätte geben können...
Nicht, dass ich mit einer Liebesgeschichte dieser Art ein Problem hätte, aber der Zeitpunkt, zu dem ich ein Manuskript mit einer solchen Thematik zum Übersetzen vorgelegt bekomme, hätte wirklich nicht unpassender gewählt sein können.
Mit einem Seufzer nehme ich einen großen Schluck von meiner Tasse und schließe die Augen, als auch schon im nächsten Moment das lächelnde Gesicht von Tessa vor mir erscheint.
Das gibt es doch nicht!
Sofort reiße ich die Augen wieder auf und nehme einen weiteren Schluck Kaffee, ehe ich mit entschlossenen Schritten auf den Schreibtisch zutrete.
Ich muss mich zusammenreißen!
Was auch immer da genau in meinem Kopf herumspukt ist unbedeutend und darf mich unter keinen Umständen von meiner Arbeit ablenken!
Dr. Kamp verlässt sich darauf, dass ich diese knapp bemessene Frist einhalte und ich werde ihn sicherlich nicht enttäuschen!
Ich muss einfach professionell bleiben!
Mit gestrafften Schultern ziehe ich meinen Schreibtischstuhl zurück und nehme darauf Platz, bevor ich die Kaffeetasse zur Seite stelle, meinen Laptop hochfahre und den Papierstapel ein Stück näher zu mir ziehe.
Begleitet von den brummenden Laptopgeräuschen lasse ich meine Augen über das Titelblatt gleiten.
Untouched...also, unberührt...so so...
Meine stetig abschweifenden Gedanken werden durch den Druck von dem unterbewussten Biss auf meine Unterlippe zurückgeholt und lassen mich verärgert den Kopf schütteln.
Verdammt, ich muss mich konzentrieren!
Sonst schaffe ich es innerhalb dieser vier Wochen gerade mal den Titel des Manuskriptes zu übersetzen und das wäre wirklich mehr als erbärmlich!
Immer noch wütend über mich selbst straffe ich erneut meine Schultern und schlage das Titelblatt um, während gleichzeitig die Startmelodie meines hochfahrenden Laptops
erklingt.
Also gut...dann wollen wir mal...

- Tessa -

„Hey, Vorsicht!“
„Oh, entschuldige, Tessie“, höre ich Henriks Stimme, dessen Kopf kurz darauf hinter der abrupt aufgestoßenen Wohnungstür erscheint, welche ich eine Sekunde zuvor noch selber aufschließen wollte, „hast du dich verletzt?“
„Nein, alles gut“, sage ich, während ich die verrutschte Handtasche über meiner Schulter wieder zurechtrücke, „wieso hast du es denn so eilig? Willst du noch irgendwo hin?“
„Ja, zu Tom“, erwidert Henrik, wobei sich ein breites Grinsen über seinen Lippen ausbreitet, „er hat mich gefragt, ob ich heute Abend spontan Zeit habe und wir werden wahrscheinlich später ein paar Clubs unsicher machen.“
„An einem Montag?“, frage ich und ziehe irritiert eine Augenbraue hoch, woraufhin Henrik amüsiert die Augen
verdreht.
„Na logisch, was denkst du denn? Wir sind Studenten, Tessie. Diese Zeit muss man genießen. Aber war ja klar, dass du das trotz deiner Intelligenz nicht kapierst.“
„Nein, das kapiere ich wirklich nicht“, murmle ich tonlos, während mein Blick auf die volle Einkaufstasche in meiner Hand fällt, „ich...eigentlich hatte ich gehofft, dass wir heute Abend was zusammen kochen können, so wie früher. Und dabei könnte ich dir auch gleich von meinem ersten Praktikumstag erzähl-...“
„Das können wir doch auch morgen machen...also das Kochen, meine ich“, unterbricht mich Henrik, der einen leicht ungeduldigen Blick auf seine Armbanduhr wirft, bevor er wieder zu mir schaut, „und was deinen ersten Praktikumstag angeht, kannst du mir immer noch später davon berichten. Ich kann mich ja ein bisschen früher von Tom und den Jungs verabschieden. So gegen ein Uhr, was meinst du?“
„Ich glaube nicht. Ich muss morgen früh um sechs Uhr aufstehen und werde um ein Uhr mit Sicherheit schon längst schlafen“, seufze ich leise und versuche, mir meine Enttäuschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen, als ich wieder von der Einkaufstasche aufschaue, „okay...dann...dann verschieben wir das Kochen einfach auf morgen und...“
„Danke, Tessie! Du bist die Beste!“ So schnell, dass ich es fast nicht mitbekommen hätte, drückt Henrik mir einen Kuss auf die Lippen und stürmt kurz darauf im Eiltempo die Treppe hinunter, während ich ihm für einen Moment nachsehe und dann mit einem weiteren leisen Seufzer durch die offene Tür in unsere Wohnung trete.

Liebe Zwischen Den Zeilen (Imke & Tessa) (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt