# 25

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- Imke -

„Und du bist wirklich einfach gegangen?“
„Ja, wirklich“, erwidere ich und lehne mich seitlich gegen die Rückenlehne des Sofas, während ich Tessa, die neben mir sitzt, schmunzelnd betrachte, „gib es zu, das hättest du mir nicht zugetraut, oder?“
„Na ja, wenn man bedenkt, dass du dir letzte Woche aus Höflichkeit zwei Stunden lang irgendein langweiliges
Geschwafel angehört hast...“
Tessas Stimme schweift ab, aber ihr vielsagender Blick lässt mich auflachen.
„Stimmt, aber ich bin ja auch zum Glück lernfähig.“
„Ja, immerhin waren es diesmal nur vierzig Minuten. Das ist schon eine beachtliche Leistung.“
„Hey! Kein Grund, gleich so frech zu werden.“
Spielerisch knuffe ich Tessa in die Seite, was ihr wiederum ein süßes Kichern entlockt.
Ein sehr süßes Kichern, um genau zu sein...
„Okay, okay, ich ergebe mich!“ Immer noch kichernd wehrt Tessa meine weiteren Kitzelversuche ab und rutscht ein Stück von mir weg. „Aber jetzt mal im Ernst, ich bin froh, dass du nicht noch länger auf diesen Idioten gewartet hast. Wenn er sich so krass verspätet, ist er es wirklich nicht wert.“
Ich nicke seufzend. „Ja, das hat Evelyn auch gesagt. Nachdem ich vor dem Kellner aus dem Restaurant nach draußen geflohen bin, habe ich sie gleich angerufen und sie darüber informiert, dass ich nach Hause fahre, damit sie diesen ominösen Oliver Degen darüber in Kenntnis setzen kann und...“
„Moment mal“, unterbricht Tessa mich, wobei mich ihre blauen Augen irritiert anblinzeln, „warum bist du vor dem Kellner geflohen? Hat er dich etwa bedroht?“
„Nein, aber seinem Blick nach zu urteilen hätte er liebend gern seine Speisekarte nach mir geworfen, als ich ihm verkündet habe, dass ich nun gehen würde, ohne auch nur die geringste Kleinigkeit bei ihm bestellt zu haben.“
„Na und? Da kann er sich ja wohl bei diesem Herrn Degen bedanken“, schnaubt Tessa und verschränkt die Arme vor der Brust, wohingegen ich nur leicht mit den Achseln zucke.
„Es ist, was es ist. Im Endeffekt verspreche ich mir ja auch nicht allzu viel von diesen ganzen Blind Dates. Mir war es nur wichtig, dass ich meinen Samstagabend nicht noch einmal mit so viel unnötiger Herumsitzerei verschwende.“
Zumal ich den Abend sowieso von Anfang an lieber mit jemand anderem verbracht hätte...
Ich beiße mir auf die Unterlippe, um diese Worte nicht aus Versehen auszusprechen, und betrachte stattdessen Tessa, die sich mit einem unterdrückten Gähnen durch ihre braunen Haare streicht.
„Mathis und Mathilda haben dich wohl ganz schön geschafft, hm?“
„Oh nein“, lächelnd schüttelt Tessa den Kopf, „die Zwei waren ganz brav, so wie immer. Auch wenn mir von dem vielen Vorlesen die Augen ganz schön brennen. Aber wenigstens haben die beiden mich ganz gut damit abgelenkt.“
Die plötzliche Schwere, die sich über Tessas Stimme gelegt hat, hindert sie am Weitersprechen und sie senkt ihren Blick, wodurch sie meinem ausweicht.
„Du meinst, wegen deinem Streit mit Henrik?“, frage ich vorsichtig und rutsche das Stück, welches Tessa zuvor von mir weggerutscht ist, wieder zu ihr, während Tessa langsam nickt.
„Ja, genau“, murmelt sie und holt tief Luft, ehe sie wieder zu mir sieht, „du hattest doch vorhin gesagt, dass Probleme einem dabei helfen können an der Beziehung zu arbeiten...aber...wann ist eigentlich der Zeitpunkt gekommen, an dem es einfach zu viele Probleme sind?“
W-Was?
„Ähm...“ Ich versuche die wachsende Trockenheit in meinem Hals durch hartes Schlucken zu mindern, leider ohne großen Erfolg. „Nun ja, ich glaube, das kann man nicht so pauschal sagen...“
„Aber du bist doch auch schon mal an diesen Zeitpunkt gekommen“, beharrt Tessa und rutscht nun ebenfalls ein Stück näher zu mir, wobei ein wohliger Schauer durch meinen Körper fährt, als sich unsere Knie mit einem Mal berühren. „Ich meine...also...du und dein Exmann, ihr habt euch doch auch getrennt.“
„Ja, aber nur, weil Thomas sich in eine andere Frau verliebt hat“, erkläre ich und zupfe nervös unter Tessas forschendem Blick am Saum meines Oberteils, „ansonsten gab es keinerlei Probleme in unserer Beziehung.“
„Das heißt, ihr habt euch nur deswegen getrennt? Also...wirklich nur deswegen?“
Ich beantworte Tessas ungläubige Frage mit einem schulterzuckenden Nicken, wodurch sich noch mehr kleine Falten der Verwunderung auf ihrer Stirn bilden.
„Aber warst du denn gar nicht wütend auf ihn? So absolut gar nicht?“
„Nein“, ich schüttle den Kopf, „ich meine, warum sollte ich wütend auf ihn sein? Er kann doch nichts für seine Gefühle und war so ehrlich es mir zu sagen, ehe er etwas mit seiner jetzigen Partnerin angefangen hat.“
Tessa mustert mich mehrfach blinzelnd, bevor sie ebenfalls mit dem Kopf schüttelt. „Ich glaube nicht, dass ich das so rational betrachten könnte, wenn Henrik sich in eine andere Frau verlieben würde.“
„Na ja, vielleicht sollte man fairerweise auch dazu sagen, dass Thomas und ich schon immer ein eher freundschaftliches Verhältnis zueinander hatten. Wahrscheinlich ist es mir deshalb leichter gefallen.“
„Das heißt, du und dein Exmann...ihr habt euch nie geliebt?“
Auch wenn ich Tessas Gesichtsausdruck nicht ganz deuten kann, verunsichert mich die Art und Weise, wie sie ihre Frage gestellt hat.
„Ähm, nein. Zumindest nicht so, wie es für ein Liebespaar vielleicht üblich ist...also, das vermute ich zumindest.“
„Aber so was musst du doch wissen, Imke. Oder warst du etwa noch nie verliebt?“
„Ich...ähm...“ Tessas Blick macht es mir immer schwerer ihm standzuhalten, bis ich schließlich meinen Kopf mit einem leichten Räuspern senken muss, um mich auf meine Worte konzentrieren zu können. „Ich denke nicht...nein. Ich meine, ich habe zwar durch die ganzen Romane, die ich in den letzten Jahren übersetzt habe, ein gutes Verständnis dafür entwickelt, wie sich das Ganze anfühlen muss, aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich je solche Empfindungen gegenüber jemandem hatte.“
„Ehrlich nicht?“
Tessas leise, fast schon zaghafte Frage, lässt mich wieder aufsehen, als ich im nächsten Moment auch schon in dem Blick ihrer blauen Augen versinke...

- Tessa -

Fasziniert betrachte ich Imke, deren grüne Augen geradezu auf mich fixiert sind und welche es mir zu meiner Überraschung ungewöhnlich schwer machen, mich auf etwas anderes zu konzentrieren.
Fast so wie vorhin, als ich Imke geschminkt habe und dabei in aller Ruhe die feinen Konturen ihres Gesichts bewundern konnte.
Nur mit dem Unterschied, dass zu diesem Zeitpunkt ihre Augen geschlossen waren und mir dieser wunderschöne Anblick verwehrt geblieben ist...
Wunderschöner Anblick?!
Oh Mann, was denke ich denn da nur schon wieder?!
Trotzdem kann ich nicht anders, als Imke weiterhin anzuschauen, bis mein Herzschlag abrupt aussetzt, als ihr Blick hinab zu meinen Lippen wandert.
Will sie...?!
Will sie mich etwa...?!
Doch anstatt ihrer Mimik auch Taten folgen zu lassen, schluckt Imke nur und schaut mit einem kurzen Räuspern wieder auf, während mein Körper immer noch vor Erwartung pulsiert...
„J-Ja...ehrlich nicht“, sagt Imke und räuspert sich noch einmal etwas kräftiger, um ihrer Stimme wieder etwas mehr Festigkeit zu verleihen. „A-Aber das...das ist auch nicht weiter schlimm. Ich habe dieses Gefühl in all den Jahren nicht vermisst. Auch wenn Evelyn mir das nicht so wirklich glaubt und mir deshalb diese ganzen Blind Dates aufgedrängt hat.“
Imke lacht kurz auf, doch ich merke gleich, dass es kein ernstgemeintes Lachen ist.
Vielmehr ein verkrampftes und nervöses Lachen, welchem sie gleich darauf noch ein zweites folgen lässt, als sie sich eine schwarze Haarsträhne hinters Ohr streicht.
„Wie auch immer“, murmelt sie und atmet tief durch, „ich...ich danke dir jedenfalls, dass du dir heute so viel
Zeit genommen hast. Sowohl für Mathis und Mathilda als auch...für mich.“
Auch wenn die letzten Worte nicht mehr als ein Flüstern gewesen sind, habe ich sie trotzdem verstanden, während mein Herz im Akkordtempo gegen meinen Brustkorb hämmert.
„Das habe ich gern gemacht, Imke. Beides“, erwidere ich genauso leise wie sie zuvor und muss lächeln, als ich die wachsende Röte auf Imkes Wangen bemerke, welche den bordeauxroten Farbton ihrer immer noch geschminkten Lippen perfekt unterstreicht.
Als wäre diese Farbe wie für sie gemacht.
Einfach nur...wunderschön...
„T-T-Tessa?“
„Ja?“
„W-Warum...w-warum schaust du mich so an?“
Ja, stimmt...warum eigentlich?
Oder vielmehr...warum eigentlich nicht?
Ein kribbelndes Gefühl macht sich in mir breit, was ich jedoch mit einem leichten Lachen überspiele, als ich wieder von Imkes Lippen aufsehe.
„Nur so...“

Liebe Zwischen Den Zeilen (Imke & Tessa) (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt