# 17

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- Imke -

Mit einem frustrierten Schnauben knalle ich den Bildschirm des Laptops zu und ziehe meine Brille ab, bevor ich mein Gesicht in beiden Händen vergrabe.
Ich drehe durch!
Ich drehe bald wirklich vollkommen durch!
Seit vier Tagen sitze ich jetzt schon an dieser verdammten Übersetzung und bin gerade mal bei der Hälfte des dritten Kapitels angekommen!
Wenn ich in dem Tempo so weitermache, werde ich wahrscheinlich erst zum nächsten Weihnachtsfest damit fertig sein!
Verdammt, was ist denn nur los mit mir?
So unkonzentriert und unproduktiv kenne ich mich gar nicht...
Ich unterdrücke ein schweres Seufzen und reibe mir stattdessen ein paar Mal über die Augen, ehe ich meine Hände wieder vom Gesicht nehme und meinen Blick zu der Manuskriptseite wandern lasse, die ich seit einer guten Stunde versuche fertig zu übersetzen.
Die Betonung liegt hierbei auf dem Wort „versuche“, denn wirklich erfolgreich bin ich damit bislang noch nicht gewesen...
Dabei ist die Geschichte gar nicht so schlecht, zumindest wenn ich der englischen Version des Klappentextes Glauben schenken darf, den ich zum Glück schon während einer meinem
schlechten Gewissen geschuldeten Nachtschicht übersetzt habe...
Wie von selbst gleitet meine Hand zu dem handschriftlich beschriebenen Blatt Papier, welches schräg hinter meinem zusammengeklappten Laptop liegt, und beginne langsam zu
lesen...

Um die Reparatur ihres heißgeliebten Autos zu finanzieren und in der stillen Hoffnung, den einen oder anderen Gratiskaffee dabei gleich mit abstauben zu können, nimmt die Studentin Emma Pierson in den Semesterferien einen Nebenjob in einem kleinen Café an.
Doch neben dem anfänglich unterschätzten Aufwand, den ein solcher Job mit sich bringt, ist es vor allen Dingen Rita Carter, die Emma bei ihrer Arbeit zu schaffen macht.
Egal was sie auch versucht, Emma scheint es der Besitzerin des Cafés niemals Recht machen zu können und wird stets mit einer scharfen Bemerkung oder einem kühlen Blick aus den eisblauen Augen ihrer Chefin bedacht.
Zumindest, bis Emma eines Abends nach Ladenschluss länger bleibt...

Noch halb in meine Übersetzung des Klappentextes versunken, schaue ich wieder von dem Blatt Papier auf und seufze leicht.
Auf den ersten Blick deutet dieser Text vielleicht nicht unbedingt gleich auf eine sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Emma und Rita hin, aber schon nach den ersten beiden Kapiteln konnte ich erkennen, dass es da trotz der aufgeführten Differenzen eine Art der Anziehung...eine Verbindung zwischen den beiden Charakteren gibt.
Eine Verbindung, die mich ein wenig an Tessa und mich erinnert hat...
Prompt spüre ich den zunehmenden Schlag meines Herzens, welches im Eiltempo gegen meinen Brustkorb hämmert, und schüttle energisch den Kopf.
So ein Unsinn!
Tessa und ich...wir verstehen uns einfach nur gut, aber das bedeutet noch lange nicht, dass wir...
Das abrupte Klingeln meines Handys, welches neben dem Manuskriptpapierstapel liegt, lässt mich erschrocken zusammenzucken, bevor sich meine Augen direkt im Anschluss schlagartig weiten, als ich Tessas Namen auf dem Display
aufleuchten sehe...

- Tessa -

Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl im Lehrerzimmer hin und her, während ich dem monotonen Piepsgeräusch lausche und darauf warte, dass Imke an ihr Handy geht.
Seit unserer Begegnung am Montag vor der Schule und ihrer doch recht abrupten Verabschiedung habe ich nicht mehr mit ihr gesprochen.
Ob mich mein anfänglicher Eindruck doch nicht getäuscht hat und Imke aus irgendeinem Grund sauer auf mich gewesen ist?
Ich meine, wieso braucht sie sonst so lange, um meinen Anruf anzunehmen?
Aber warum könnte sie denn sauer auf mich sein?
Ich habe doch gar nichts gemacht!
Ich...
Ein kurzes Knacken in der Leitung lässt mich aufhorchen und ich richte mich etwas in meinem Stuhl auf.
„Imke?“
„Ä-Ähm, ja...h-hallo, Tessa“, kommt die etwas zittrige Antwort von Imke, die mich erleichtert aufatmen lässt.
Okay, das hört sich auf jeden Fall nicht so an, als ob sie sauer auf mich wäre.
Eher als wäre sie überrascht.
Oder...nervös?
Aber wieso?
„Tessa? Bist du noch dran?“
„Hä? Ähm...ich meine, ja...warum?“
„Weil du meine Frage gerade scheinbar nicht mitbekommen hast, oder?“
„Äh, nein...also...ähm“, verlegen kratze ich mich am Hinterkopf, „die Verbindung...äh...die war gerade nicht so gut...ja, genau.“
„Die Verbindung, so so...verstehe.“ Ich erkenne an Imkes Stimme, dass sich ihre Mundwinkel zu einem amüsierten Schmunzeln gehoben haben und bin heilfroh, dass sie meine zunehmend röter werdenden Wangen nicht sehen kann. „Nun ja,
wie auch immer...ich habe nach dem Grund deines Anrufes gefragt.“
„Ach so! Ja klar, ähm...das macht ja auch Sinn“, erwidere ich und würde mir am liebsten auf die Zunge beißen, um nicht noch mehr sinnloses Zeug von mir zu geben, „ich wollte dir eigentlich nur Bescheid sagen, dass ich am Freitag, also morgen, nur den halben Tag arbeiten muss. Das heißt, ich hätte so gegen Mittag Zeit für unseren Shoppingausflug. Aber ich kann natürlich auch verstehen, wenn dir das alles etwas zu spontan sein sollte und du morgen dafür keine Zeit hast, aber weil ich ja versprochen hatte anzurufen und dir Bescheid zu sagen...“
Imkes plötzliches Lachen lässt mich überrascht innehalten und mehrfach blinzeln.
Was ist denn jetzt los?
Ich warte noch einen Moment, bis Imke sich nach einem kurzen Räuspern wieder beruhigt hat.
„Ähm...habe ich vielleicht irgendetwas Lustiges gesagt oder...?“
„Nein, nein. Entschuldige bitte, Tessa“, unterbricht mich Imke und kichert ein weiteres Mal auf, ehe sie sich erneut räuspert, „es ist nur so...du hast gegen Ende deines Monologes immer schneller und schneller geredet und das hat sich ehrlich gesagt ganz süß angehört.“
Ganz...süß?
Ich blinzle verwirrt, während sich gleichzeitig ein ungewöhnlich warmes Gefühl in mir ausbreitet, als Imke sich auch schon ein drittes Mal räuspert.
„Aber...ähm...bezüglich deiner Sorge kann ich dich beruhigen. Ich habe morgen Mittag Zeit und...und ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns treffen könnten.“
Obwohl der letzte Teil des Satzes nicht mehr als ein Flüstern gewesen ist, habe ich ihn trotzdem sehr gut verstanden, genauso wie das leichte Zittern, welches dabei in Imkes Stimme mitgeschwungen ist und dabei die Gänsehaut auf meinem Körper zum Prickeln gebracht hat.
„Ähm...okay, super. Wie wäre es, wenn wir uns dann so gegen halb eins vor dem großen Einkaufszentrum treffen? Dort hätten wir auf jeden Fall genügend Auswahl. Also...was die unterschiedlichen Bekleidungsläden angeht, meine ich.“
„Das klingt gut. Dann bis morgen, Tessa. Und ich...ich freue mich.“
Meine Gänsehaut prickelt noch etwas mehr. „Ja, ich...ich freue mich auch. Bis morgen, Imke.“
Als ich aufgelegt habe, lasse ich mich mit einem tiefen Seufzer in meinem Stuhl nach hinten sinken, während dieses warme Gefühl in mir nach und nach abzuklingen scheint.
Gleichzeitig gleitet mein Blick über die Arbeitsblätter der Zweitklässler, die vor mir auf dem Tisch liegen und die Frau Krüger mir zur Korrektur gegeben hat.
Dabei bleibt mein Blick an dem von mir korrigierten Blatt von Matti hängen, dass mit unzähligen roten Randnotizen beschriftet ist.
Was die Rechtschreibung angeht, muss der junge Mann wohl noch ein bisschen üben...

Liebe Zwischen Den Zeilen (Imke & Tessa) (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt