# 18

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- Imke -

Eins.
Zwei.
Drei.
Drehung nach rechts.
Umschauen.
Nichts...
Eins.
Zwei.
Drei.
Drehung nach rechts.
Umschauen.
Wieder nichts...
Eins.
Zwei.
Drei.
Drehung nach rechts.
Umschauen.
Und wieder nichts...wo bleibt sie denn nur?
Nachdenklich beiße ich mir auf die Unterlippe und werfe einen weiteren Blick auf meine Armbanduhr, die mir jedoch immer noch anzeigt, dass ich erst seit knapp sieben Minuten vor den hohen Eingangstüren des Einkaufszentrums auf Tessa warte.
Ob die Uhr vielleicht stehen geblieben ist?
Aber nein, das wäre wirklich ein ziemlich komischer Zufall...
Trotzdem kommt es mir so vor, als würde ich bereits eine halbe Ewigkeit auf Tessa warten.
Und da hilft es auch nicht, dass mein Herz mit jedem Schritt, den ich vor den Eingangstüren hin und her gehe, schneller schlägt, zumal ich mir den Grund dafür wirklich nicht erklären kann.
Genauso wenig wie diese Rastlosigkeit und dieses ungewöhnlich kribbelnde Gefühl in meinem Körper.
Wobei...das liegt wahrscheinlich mehr an meiner Abneigung, die ich für diese Art von Einkauf pflege...
Ich hatte es nicht nur im Scherz gemeint, als ich Tessa fragte, ob ich für sie wie eine Modeexpertin aussähe.
Schon seit meiner Jugend habe ich Komfort und Schlichtheit stets Stil und Eleganz vorgezogen und habe in diesem Zusammenhang auch nie wirklich verstanden, wie jemand freiwillig mehrere Stunden in viel zu überfüllten Bekleidungsgeschäften verbringen kann, ohne komplett durchzudrehen...aber für Tessa würde ich eine Ausnahme machen...
Ich meine, schließlich möchte sie mir ja nur helfen, dass mein morgiges Date etwas besser läuft oder ich mich
wenigstens ein bisschen wohler währenddessen fühle.
Und gegen ein wenig Hilfe ist doch nichts einzuwenden...oder?
„Imke!“
Noch bevor ich mich vollständig zu der Stimme aus der Ferne umgedreht habe, spüre ich das breite Lächeln auf meinen Lippen, welches noch etwas weiter wächst, als ich Tessa erblicke.
Lachend winkt sie mir von der anderen Straßenseite aus zu, während sie an der Ampel steht und geduldig darauf wartet, dass das grüne Ampelmännchen seinen kurzweiligen Dienst antritt.
Tessas luftiger Rock wird durch den Fahrtwind der Autos zum Tanzen gebracht, genauso wie ihre gewellten braunen Haare, dessen Strähnen sich Tessa immer wieder kichernd aus dem Gesicht streicht.
Schräg über einer ihrer Schultern, die aufgrund ihrer ärmellosen rotkarierten Bluse frei liegt, hängt ihre Tasche, die sie auch schon am Montag dabei hatte, als Mathis, Mathilda und ich sie vor der Schule getroffen hatten.
Wahrscheinlich ist Tessa nach ihrem Praktikumstag auf direktem Weg hierher gekommen und hat nicht noch einen Abstecher nach Hause gemacht.
Und alles nur wegen mir...wow...
Mein erneuter Biss auf die Unterlippe ist diesmal etwas stärker, bis ich sehe, wie die Fußgängerampel auf grün umspringt und Tessa hastig über die breite Straße in meine Richtung läuft.
Für einen Moment bleiben meine Augen noch an Tessas von dem Stoff ihres Rockes umspielten Beinen hängen, ehe ich mich kräftig räuspere und meine Schultern ordentlich straffe.
Jetzt ist wirklich nicht der Zeitpunkt, um wieder in irgendwelchen komischen Gedanken zu versinken.
Wir schauen uns einfach nur nach ein paar tragbaren Kleidungsstücken für mich um und dann geht jeder wieder
seiner Wege.
Was kann da schon schief gehen?

- Tessa -

„Nein.“
„Ach bitte, Imke.“
„Nein, Tessa. Das kannst du vergessen. In diesem Aufzug komme ich ganz bestimmt nicht raus!“
„Das wirst du aber wohl müssen“, entgegne ich und schaue mit wissendem Lächeln auf die gefaltete Jeans und das leicht verwaschene Shirt über meinem Arm, „sonst lasse ich dich hier gleich alleine und du wirst heute Nachmittag wohl nackt durch die Stadt nach Hause gehen müssen.“
Das Schweigen hinter dem Vorhang der Umkleidekabine hält einen Moment lang an, bis Imke schließlich frustriert aufstöhnt.
„Das ist Erpressung!“
„Nein, das ist ein fairer Deal“, entgegne ich und lehne mich grinsend gegen die Wand hinter mir, während mein Blick fest auf den zugezogenen Kabinenvorhang gerichtet ist, „du kommst raus und zeigst dich in dem Outfit und dafür bekommst du von mir deine Sachen zurück. Also, was sagst du dazu?“
„Dass ich dich zukünftig nicht noch einmal mit meinen Sachen alleine lassen werde“, grummelt Imke und ich bin mir sicher, dass sie dabei mit rollenden Augen ihre Brille ein Stück
zurecht rückt, was mich amüsiert lächeln lässt.
„Tja, hinterher ist man immer schlauer“, erwidere ich und zucke mit den Schultern, „und außerdem ist das nur gerecht, nachdem du dich schon in zwei anderen Geschäften geweigert
hast, aus der Umkleidekabine zu kommen. Ich meine, wie sollen wir denn so passende Dateoutfits für dich finden?“
„Touché“, seufzt Imke und ich höre das leise Rascheln von Stoff, so als würde Imke ihre Kleidung zurechtzupfen, „ich...ich weiß aber wirklich nicht, ob diese Sachen an mir
so gut aussehen, Tessa.“
Die Unsicherheit in Imkes Stimme lässt mein Lächeln sanfter werden, während ich ihre Sachen über meinem Arm instinktiv etwas fester an mich drücke.
„Und dafür hast du ja mich, Imke“, sage ich leise und trete einen Schritt auf die Kabine zu, „für dich ist es lediglich wichtig, dass dir die Sachen passen und nichts zwickt oder kratzt. Und das tun die Sachen doch nicht, oder?“
„Nein...das tun sie nicht.“
Imkes kleinlaute und fast schon zögernde Antwort lässt mich aufkichern und noch einen Schritt auf die Kabine zutreten.
„Na, also. Das ist doch schon mal was. Und was den Rest betrifft, musst du dir wirklich keine Gedanken machen, Imke. Selbst wenn dir diese Sachen nicht zusagen oder stehen sollten, werden wir mit Sicherheit etwas anderes finden, was dafür umso besser passt. Aber um das beurteilen zu können, müsstest du jetzt erst einmal aus der Kabine rauskommen.“
Ich höre, wie Imke tief und ergeben Luft holt, ehe ihre Hand hinter dem Vorhang erscheint und ein Stück des dunkelblauen Stoffes umfasst, welchen sie nach erneutem Luftholen mit einer schwungvollen Bewegung zur Seite zieht...
Wow!
Das...das ist...wow...
Ein Schauer durchzuckt meinen Körper, während ich Imke mit offenem Mund anstarre und meinen Blick ungehemmt über sie gleiten lasse.
Die schlichte weiße Hose, welche Imkes Figur auf fast schon verbotene Weise betont, steht in leichtem Kontrast zu dem luftigen schulterfreien Oberteil, welches mit den langen und dezent olivgrünen gerüschten Ärmeln verbunden ist, und Imke einen sowohl lockeren als auch stylischen Flair verleiht.
Wie gesagt...einfach nur wow...
Trotzdem bemerke ich die Unsicherheit in Imkes Augen, während sie in meine Richtung schaut und von einem Fuß auf den anderen tritt.
„Und? Was denkst du, Tessa?“, fragt sie vorsichtig, woraufhin ich mit einem angehauchten Schmunzeln nun vollständig auf Imke zu trete.
„Ich denke, dass sich dein morgiges Date zum glücklichsten Mann der Welt schätzen wird, wenn er sieht, wie umwerfend und heiß du in diesen Sachen aussiehst“, erwidere ich und
mein Schmunzeln wird noch breiter, als ich bemerke, wie sich nach und nach der Hauch einer leichten Röte auf Imkes Wangen abzeichnet, bis mein Blick an ihren Schultern hängen bleibt, „wobei...daran müssten wir allerdings noch arbeiten...“
Imkes verwirrtem und erneut verunsichertem Blick begegne ich mit einem vielsagenden Augenbrauenheben, als ich meine Hand ausstrecke und mit zwei Fingern an einem ihrer BH-Träger
zupfe.
„Kennst du deine Größe?“
Imke nickt stumm, wobei ich jedoch aus den Augenwinkeln bemerke, wie ihre Röte noch ein wenig tiefer wird.
Interessant...
„Perfekt.“ Mit einem zufriedenen Nicken lasse ich den BH-Träger wieder los und zwinkere Imke verschwörerisch zu. „Das macht die Suche nach einem trägerlosen BH etwas leichter, findest du nicht?“
„Ä-Ähm...j-ja, g-genau“, stammelt Imke, die erneut damit begonnen hat, von einem Fuß auf den anderen zu treten, während sie mit ihrem Kopf auf die Kleidungsstücke über meinem Arm deutet, „k-kann...ähm...k-kann ich dann jetzt auch meine Sachen bitte wiederhaben?“
„Soll ich dir nicht erst noch einen BH aussuchen?“, frage ich mit unschuldiger Miene, woraufhin Imkes Gesichtsröte sich noch mehr intensiviert.
Sehr interessant...
„Nein, danke...ich...das mache ich schon selbst!“, sagt sie mit ungewöhnlich entschlossener Stimme, so als würde sie um ihre Beherrschung ringen, und streckt mir auffordernd ihre Hand entgegen, „und jetzt gib mir bitte endlich meine Sachen zurück, Tessa!“
„Na gut...da du mich ja so lieb darum bittest...“
Mit einem weiteren Zwinkern und einem spielerischen Lächeln nehme ich Imkes Sachen von meinem Arm und reiche sie ihr, als mich auch schon ein weiterer Schauer durchzuckt, als Imkes Finger beim Annehmen über meine streichen.
Verdammt...
Imke scheint meine Reaktion ebenfalls bemerkt zu haben, denn
ihre Augenbrauen wandern für einen Moment fragend in die Höhe, doch anstatt etwas zu sagen, tritt sie wortlos ein paar Schritte zurück und zieht den Kabinenvorhang wieder vor.
Für einen Moment schaue ich einfach nur mehrfach blinzelnd auf den nun zugezogenen Vorhang, bis ich mich schließlich räuspere und ein paar Schritte zurücktrete, um mich wieder
gegen die Wand hinter mir zu lehnen.
Wirklich...sehr interessant...

Liebe Zwischen Den Zeilen (Imke & Tessa) (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt