# 26

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- Imke -

Wie sie mich angesehen hat...
Dieser laszive Blick, der an meinen Lippen hängen geblieben ist.
Und das unbewusste Schmunzeln, als sie mir meine Frage beantwortet hat.
Eine Antwort, die noch mehr Fragen aufgeworfen hat als ihr Blick zuvor.
Meinte sie es wirklich so, wie sie es gesagt hat?
Oder steckt etwa mehr dahinter?
Mehr als sie sich eingestehen will?
Mehr als...als wir uns beide eingestehen wollen?
„Mama? Wie lange willst du die Orange eigentlich noch auspressen?“
Was?
Mathildas Frage lässt mich innehalten und zu meinen Händen hinabschauen, die mithilfe der Saftpresse sämtliches Fruchtfleisch aus der Orangenhälfte herausgepresst haben.
„Ähm...ja, du hast Recht, Süße. Das reicht wirklich“, murmle ich abwesend und lege die leere Orangenhälfte zur Seite, ehe ich den Saft aus dem Sammelbecken der Presse in einen kleinen Becher umfülle und diesen Mathilda reiche, die neben mir steht und mich mit schiefgelegtem Kopf mustert.
„Bist du krank, Mama?“, fragt sie und mustert mich aufmerksam aus ihren grünen Augen, während sie den Becher mit ihren Fingern umschließt.
Überrascht über die Frage meiner Tochter hebe ich die Augenbrauen, schüttle dann aber mit einem leichten Lächeln den Kopf. „Ähm, nein. Bin ich nicht, Süße. Wie kommst du darauf?“
„Weil du heute voll komisch bist“, sagt Matti, der mit offenem Mund kauend am Frühstückstisch sitzt und ein weiteres Mal in sein Marmeladenbrötchen beißt, „vorhin
wolltest du die Milch in den Ofen stellen.“
„Und davor hast du Salz in deinen Kaffee getan“, ergänzt Mathilda, während ihr Blick immer forschender wird, „bist du wirklich nicht krank, Mama?“
„Nein, Süße. Bin ich wirklich nicht.“
„Oder hattest du gestern Abend Streit bei deinem Treffen?“
„Nein, das auch nicht, Großer. Ganz im Gegenteil“, ich spüre, wie das Lächeln auf meinen Lippen immer breiter wird, „ich...ich hatte gestern einen sehr schönen Abend.“

- Tessa -

Das gibt es doch nicht...
Ungläubig blinzelnd schaue ich auf Mattis Arbeitsblatt, welches Frau Krüger mir zusammen mit einem Stapel anderer Arbeitsblätter zum Kontrollieren übers Wochenende mitgegeben hat, und lege stirnrunzelnd meinen roten Stift beiseite.
Alles richtig.
Keine Fehler.
Kein einziger Fehler.
Komisch.
So oft, wie Matti bisher Probleme in Mathe hatte, hätte ich nicht erwartet, dass er die Übungen so gut meistert.
Aber wie sagt man so schön, das Leben steckt voller Überraschungen, so wie gestern...
Meine Mundwinkel heben sich zu einem vielsagenden Lächeln.
Ich würde lügen, wenn ich sage, dass mir Imkes Reaktion auf meine mehr als unbrauchbare Antwort nicht gefallen hat.
Allein ihre noch röter werdenden Wangen und ihr noch unbeholfeneres Gestammel waren das wert gewesen...
Auch wenn diese Antwort leider darüber hinaus zur Folge hatte, dass Imke meinte, ich solle mich vielleicht besser auf den Heimweg machen, da es schon recht spät sei.
Zwar kein Vergleich zu der Uhrzeit, um die ich letzten Samstag ihr Haus verlassen habe, aber das konnte sie ja auch nicht wissen, da sie zu dem Zeitpunkt schon längst eingeschlafen war.
Untermauert hatte Imke ihren oVorschlag noch zusätzlich damit, dass Henrik bestimmt zu Hause auf mich warten und sich vielleicht sogar schon Sorgen machen würde, wo ich so lange bleibe.
Das hat sich jedoch als falsch herausgestellt, denn als ich mit Handtasche und Schminkkoffer unterm Arm unsere Wohnung aufgeschlossen und betreten habe, habe ich sie genauso leer vorgefunden wie zu dem Zeitpunkt, als ich sie verlassen habe, um zu Imke zu gehen.
Und auch während der gesamten Nacht kam Henrik nicht nach Hause.
Wahrscheinlich hat er sich mal wieder auf irgendeiner Party herumgetrieben, schließlich ist es Samstagabend gewesen.
Ich hole tief Luft und atme diese langsam wieder aus, während meine Gedanken zurück zu Imke wandern...
Was wäre wohl passiert, wenn ich mich geweigert hätte nach Hause zu gehen und stattdessen bei ihr geblieben wäre?
Ob wir wieder bis in die frühen Morgenstunden miteinander gesprochen hätten?
Oder...
Das abrupte Knarren der Wohnungstür lässt mich aufschrecken und kurz darauf die Augen verdrehen.
Na, sieh einer an, wer mal wieder vollkommen verkatert nach einer durchzechten Nacht nach Hause gekommen ist...
„Tessie? Bist du da?“
„Ja“, erwidere ich und bemühe mich um einen möglichst gleichgültigen Tonfall, um die in mir aufsteigende Wut zu überspielen, während ich von meinem Schreibtisch aufstehe und durch das Zimmer in Richtung Flur schlurfe. „Kannst du mir mal bitte verraten, wo du wieder die ganze Nacht geblieben bist? Und warum hattest du dein Handy gestern nicht an? War dein Akku etwa schon wieder leer? Und...“
Ich verstumme abrupt, als ich auf den Flur trete und schaue mit halb offenem Mund zur weit geöffneten Wohnungstür, in dessen Türrahmen Henrik mit einem riesigen Strauß langstieliger roter Rosen steht und mich schief angrinst.
Das...das muss doch ein Vermögen gekostet haben...
„Ähm...Henrik?“ Immer noch etwas überfordert mit der Situation fahre ich mir mit einer Hand durch die Haare, während ich zwischen Henrik und dem Strauß hin und her sehe,
„was...was wird das hier?“
„Wonach sieht es denn, Tessie?“, fragt Henrik, wobei sein schiefes Grinsen für einen Moment etwas breiter wird, bevor sein Gesicht wieder einen etwas ernsteren Ausdruck annimmt und er langsam mit dem Strauß in der Hand auf mich zutritt.
„Du...du hattest Recht, Tessie. Ich habe mich dir gegenüber unmöglich verhalten und es gibt wahrscheinlich keine Worte, die auch nur ansatzweise beschreiben könnten, wie sehr mir das alles Leid tut. Und ich verspreche dir, dass so etwas nie wieder vorkommen wird und ich mich ab jetzt zusammenreißen werde.“
Langsam vor mich hin blinzelnd starre Henrik an, während ich versuche, seine Worte zu verarbeiten.
Ob er das ernst meint?
Er klingt zumindest so.
So wie mein Henrik vor zwei Jahren...
„Also, was sagst du?“, mit einem fast schon unsicheren Lächeln hält Henrik mir den Strauß Rosen entgegen, „nimmst du meine Entschuldigung an, Tessie?“
Ich folge Henriks Geste mit meinen Augen und lasse meinen Blick für einen Moment auf dem Strauß verweilen, bis ich ihn Henrik schließlich vorsichtig abnehme.
„Natürlich nehme ich deine Entschuldigung an“, sage ich und quieke überrascht auf, als Henrik mich in eine stürmische Umarmung zieht und mir einen langen Kuss auf die Lippen drückt.
„Danke, Tessie“, sagt er, nachdem er sich wieder von mir gelöst hat, wobei das schiefe Grinsen wieder auf seine
Lippen zurückgekehrt ist, „du wirst es nicht bereuen. Versprochen.“
„Das weiß ich doch“, sage ich und erwidere Henriks Lächeln, ehe meine Stirn sich erneut in Falten legt, „aber wo warst du die ganze Nacht?“
„Bei meinen Eltern. Ich dachte, dass uns ein bisschen Abstand gut tun würde. Deshalb hatte ich auch mein Handy ausgeschaltet. Ich wollte mich nicht noch einmal mit dir streiten. Du weißt, wie sehr ich das hasse...“
„Ich auch“, erwidere ich leise, nur um kurz darauf meine Schultern mit einem tiefen Seufzen zu straffen, „aber das haben wir ja jetzt zum Glück geklärt.“
„Ganz genau“, Henriks Gesichtsausdruck wird etwas verschlagener und er zwinkert mir vielsagend zu, „und das müssen wir doch gebührend feiern, findest du nicht?“
„Wie meinst du...?“, setze ich an, werde jedoch von einem weiteren Kuss von Henrik unterbrochen, der mir den Strauß Rosen wieder aus den Händen zieht und auf die kleine Sitzbank vor der Garderobe legt, um mich weiter küssend und an der Knopfleiste meiner Bluse zupfend rückwärts in Richtung Schlafzimmer drängt...

Liebe Zwischen Den Zeilen (Imke & Tessa) (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt