Kapitel 7 I Melanie

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"Das Kleid steht dir wunderbar!" Gequält blickte Elisabeth in Melanies Gesicht. Es gab nun schon zwei Mordfälle in der Stadt und ihre Freundin dachte nur daran, welches Kleid das schönste ist? 

"Ich denke, es gibt wichtigere Dinge als nur Kleider und Hüte." 

"Wichtigere?", Melanie zog die Augenbrauen hoch, "Ja, eigentlich sind die Schuhe wichtiger. Ohne passende Schuhe kein perfektes Outfit. Aber ich habe Schuhe für jede Gelegenheit! Ansonsten hättest du auch niemals so schön aussehen können. " 

Melanies Haus war der reinste Modesalon. Kleider, Schuhe, Schminkutensilien, wo sie nur stehen konnten. So war auch ihr Kopf voller hübscher Kleidung und den neusten Trends. Etwas anderes machte ihr zu viel Mühe. 

Elisabeth blickte in den riesengroßen Spiegel. Ihr persönlich war alles zu extravagant, zu auffällig, aber laut Melanie sei es die perfekte Verkleidung. Teilweise stimmte es sogar, die wahre Elisabeth wäre niemals in so einem kurzen Tüchlein um die Hüfte und mit riesigem Rock durch die Gegend gerannt. Aber wenn sie nicht auf Melanie hörte, hätte sie keinen Platz mehr, an dem sie bleiben könnte. Ihr altes Haus konnte sie nicht mehr betreten und bis in die Großstadt, wo ihre Eltern wohnten, würde sie nie kommen. 

Währenddessen kam Melanie zurück stolziert. "Rosa steht dir wirklich gut! Es wird fabelhaft aussehen!" 

Elisabeth hingegen war skeptisch: "Aber ... Schleifen? Ich meine, ich bin keine Barbie, oder?" 

"Natürlich bist du eine Barbie! Barbies sind schön, klug, talentiert, eben alles, was eine echte Dame sein muss! Mami meint, eine Barbie als Vorbild genügt und du bist das achte Weltwunder in Person!" 

Nach diesen Worten warf Elisabeth all ihre Zweifel über Melanie zur Seite. Jemand, der sich eine Barbie als Vorbild nahm und dessen größte Freude Schleifen waren, konnte doch nicht gefährlich sein. Nein, sie hatte sich grundlegend getäuscht. Schleifen und Barbies, das war die Melanie, wie sie sie von klein auf kannte. Nicht sonderlich intelligent, aber immer ein Püppchen. 

Ein erneuter Blick in den Spiegel bestätigte ihre grausame Vermutung. Knappes rosa Oberteil, riesiger weißer Rock, einen halben Meter hohe Stöckelschuhe mit mehr Absatz als Schuh dran, rosa Handschuhe und dann das große Debüt. Eine Frisur aufgetürmt aus ihren Haaren, dutzenden von Perücken, rosaroten Schleifen und zuletzt sogar einem Blumentopf mitsamt Pflanze. Alles in allem war sie nun zweieinhalb Meter groß. 

"Ist das alles nicht zu viel? Ich meine, die ganze Blume mit Topf im Haar?" 

"Aber nein, immerhin gehen wir einkaufen, da muss man doch wunderschön aussehen!" Melanie nickte überschwänglich, um ihre Meinung zu untermauern. Elisabeths Freundin war zwar nicht die Klügste, aber bestimmt die Seltsamste, die sie jemals hatte. 

"Gehen wir?" 

Die ersten Schritte auf den Schuhen, die jeden Blick auf den Boden unmöglich machten, waren sehr wackelig und fast unmöglich, doch mit der Zeit stolzierte Elisabeth genauso hochmütig wie ihre Freundin herum. Es war eine Abwechslung nach allem; keine Morde, Beschuldigungen, sondern superhohe Schuhe und seltsame Frisuren. 

Auf dem Treppenhaus kamen ihr viele Leute entgegen, kein einziger über ihren seltsamen Aufzug verwundert. Doch ein Gesicht erkannte sie; einer der Männer, die sie nur wenige Stunden zuvor in ihrem Haus ermorden wollten. Ihre Hände formten sich zu Fäusten, mit Kraft biss sie sich auf die Lippe, doch er nickte nur grüßend und ging weiter nach oben. Er hatte sie wirklich nicht erkannt. 

Nervös wickelte Elisabeth eine Schleife um ihr Handgelenk. War es wirklich die perfekte Verkleidung? Doch wieso sollte sie sich verkleiden? Wenn sie doch nichts getan hatte, wieso musste sie sich verstecken? War sie hier wirklich sicher? Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum. So viele Fragen, doch die wichtigste stellte sie sich schon lange nicht mehr, weil sie die Hoffnung aufgab, eine Antwort zu finden. Wer ist der Mörder? 

Zum Mord bestimmtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt