Kapitel 7

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POV Sascha

Ich beobachtete Valeria in diesen Tagen noch genauer als sonst. Seit dem Vorfall in meinem Büro hatten wir keinerlei Interaktion mehr miteinander gehabt. Und ich brannte darauf zu wissen, was Santos mit ihr angestellt hatte. Ich musterte sie deshalb bis ins kleinste Detail, die Art und Weise, wie sie sich gegenüber ihren Mitschülern verhielt, ob sie deren Gesellschaft mied oder suchte, worüber sie sich unterhielt, wie sie ass, was sie ass, ihre Körpersprache, ihre Mimik, wie sie sich bewegte und ob an ihrem Körper irgendwo Anzeichen von Gewalteinwirkung zu sehen waren. Und natürlich beobachtete ich ihren Blick, der mir meistens mehr verriet als mir eigentlich zustand.

Ich beobachtete sie am darauffolgenden Tag, wie sie mit Rico am Waldrand sass. Sie schien ihm gerade ihr ganzes Herz auszuschütten, während er ihr stillschweigend zuhörte. Sein Blick war die meiste Zeit vor sich auf den Boden gerichtet, ab und zu schaute er zu ihr. Manchmal nickte er, manchmal legte er seinen Kopf in den Nacken und schaute daraufhin gleich wieder runter zu ihr. Ich war unglaublich froh, dass wenigstens er jetzt bei ihr war, da mir selbst die Hände gebunden waren.

Seit einigen Monaten beobachtete ich neben Valeria öfters auch ihn. Mir fiel auf, wie sehr er sich seit Beginn der Ausbildung entwickelt hatte. Er war immernoch das lustige und heitere Gemüt, aber ich konnte zunehmend die mentale Stärke, den Mut und das enorme Rückgrat erkennen, das in ihm schlummerte. Er erinnerte mich etwas an einen ungeschliffenen Diamanten, der sich nicht über sein volles Potential bewusst war. Er hatte sein Herz zweifelsfrei am rechten Fleck und kannte sowohl seine eigenen Grenzen wie auch diejenigen der anderen. Den meisten anderen fehlten diese Eigenschaften. Ich vertraute ihm fast komplett, was ich nicht besonders oft bei Leuten tat. Ausserdem hatte ich schon einige Male bemerkt, wie sehr er sich für Valeria eingesetzt hatte, wie er sie verteidigt hatte, auch wenn er dafür in Kauf nahm von den anderen Mitschülern runter gemacht zu werden. Besonders wenn die Jungs unter sich waren und derbe Sprüche gegen sie fielen, war er der Einzige, der Haltung zeigte.

Ich fragte mich, wie gut er sich selbst unter Kontrolle hatte. Ich wollte es herausfinden. Und ich wusste auch schon wie.

Irgendwo bewunderte ich seine Fähigkeit das ganze Leben so locker und fröhlich zu betrachten, dass er laut mitsingen konnte, wenn ihm ein Song gefiel, dass er sich auch mal zum Affen machen konnte. Er trug zweifelsfrei die Sonne im Herzen. Das bewirkte, dass ich mehr über mich selbst nachdachte. Über mein eigenes Herz, das ich mehr so mit einer eiskalten Winternacht in Sibirien verglich. Fernab von jeglicher sommerlichen Lockerheit. Rico verfügte über viele Eigenschaften, die mir fehlten. Er war lustig, er brachte selbst mich ein paar Mal zum Schmunzeln, während ich ihn aus der Ferne beobachtete. Ganz zu schweigen davon, dass er es jedes Mal auf Anhieb schaffte Valeria aufzuheitern. Auf der anderen Seite verfügte ich selbst über mindestens genau so viele Eigenschaften, die ihm fehlten...

Nun stiess er Valeria etwas von sich weg, um ihr ins Gesicht zu schauen. Er wirkte auf einmal etwas aufgebracht. Leider stand ich zu weit weg, um zu hören, was sie ihm da erzählte. Er intervenierte, dann erwiderte sie etwas, woraufhin er wieder argumentierte. Irgendwann legte sie ihren Kopf wieder an seine Brust. Er drückte sie fester an sich, begann sie sanft zu streicheln.

Mir war in den letzten Wochen auch zunehmend aufgefallen, was die Präsenz des jeweils anderen in ihnen auslöste, welche Blicke sie sich gegenseitig schenkten, das Funkeln in den Augen, wenn sie sich anlächelten und die Art und Weise, wie besonders Valeria ihre Augen schloss, wenn sie an Ricos Körper angelehnt war. Sei es bei einer Umarmung oder wenn sie wie jetzt gerade ihre Zweisamkeit genossen. Da war definitiv etwas zwischen den beiden entstanden, eine Bindung, eine Sehnsucht, die weit über eine Freundschaft oder körperliche Lust hinausging. Sie wussten es beide, doch blieb es im Dunklen. Vielleicht wollten sie es verstecken oder verdrängen, weil sie dachten, es gehört sich nicht. Vielleicht wollten sie es auch vor mir verheimlichen. Doch vermutlich wusste ich bereits besser über die Sachlage bescheid, als sie es selbst taten.

Discipline and Desire - An der Seite des MentorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt