Kapitel 20

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POV Valeria

Selten hatte ich mir so sehr Mühe gegeben jemandem aus dem Weg zu gehen wie am darauffolgenden Tag dem arroganten Gesicht von Brian. Spätestens jetzt war ich mir sicher, dass mein Bauchgefühl, meine Abneigung ihm gegenüber von Beginn an richtig gewesen war. Ich hatte mit niemandem über die Geschehnisse gesprochen und versuchte jegliche Gedanken daran zu verdrängen.

Als wir in den Feierabend entlassen wurden, zog ich sogar kurz in Erwägung mir selbst was zu Essen zu kaufen und mich damit in meine Schlafkabine zu verziehen. Die bescheidene Auswahl im Lebensmittelladen änderte mein Vorhaben.

Ich ging ins Restaurant und schaute mich um. Da war ein Tisch, an dem neben Brian noch zwei weitere Mitschüler sassen. Die meisten anderen, inklusive Rico, waren nirgends zu sehen. Ich wusste nicht, ob sie schon fertig gegessen hatten oder noch draussen auf dem Sportplatz waren.

Ein paar Tische daneben sass Sturm, zusammen mit Tschopp. Ich wägte kurz ab, ob ich eher zu Brian und den andren oder zu Sturm gehen sollte. War es mir als Schülerin überhaupt erlaubt gemeinsam mit den Mentoren zu essen? Und selbst wenn: Was würden die anderen dann über mich denken?

Ich entschied mich dennoch für zweiteres.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und schlich mich schüchtern an ihn ran.
"Sir?"
Er drehte den Kopf zu mir, ohne ihn zu mir hoch zu drehen, als er meine Frage abwartete.
"Wäre es in Ordnung, wenn ich mich zu Ihnen geselle, um mein Abendessen zu genießen?"
Ich blickte auch rüber zu Tschopp, der mich aussergewöhnlich freundlich ansah. Wenn er nicht so streng schaute, konnte man fast denken, es wäre Andrin.

"Natürlich, Sarasin. Fühlen Sie sich frei!"

Vorsichtig setzte ich mich neben ihn auf die Bank, traute mich kaum ihn anzuschauen. Ich überlegte bei jedem Blick, jedem Wort und jeder Geste zweimal, ob ich zu viel über unser Verhältnis preisgeben könnte. Sass ich zu nahe neben ihm? Konnten sie meinen zittrigen Atem hören?

Unbehaglich blickte ich auf meinen Teller. Mein Appetit war durch die Nervosität verschwunden. Im Blickwinkel sah ich Saschas Hand, die das Wasserglas umklammerte. In seinem Griff wirkte das Glas viel kleiner, obwohl es einen halben Liter fasste.

Zögerlich nahm ich die Gabel in die Hand und spiesste eine Bratkartoffel auf. Es schien, als hätte ich plötzlich vergessen, wie man normal isst. Abnormal lange musterte ich die Kartoffel, führte sie zum Mund, verfehlte das Ziel, sie fiel wieder runter auf den Teller. Das Blut schoss mir ins Gesicht.

*Das war eine sau dumme Entscheidung dich hier hin zu setzten!*

Ein paar Minuten später legte Tschopp sein Besteck auf den Teller, stand auf und brachte das Tablett weg. Erleichtert hob ich meinen Kopf. Immerhin konnte ich jetzt geradeaus schauen, ohne in jemandes Augen zu blicken.

"Ist Ihnen der Rum gestern zu fest in den Kopf gestiegen, sodass Sie jetzt nicht mehr neben Constanzo sitzen können, Sarasin?"
Seine Stimme war leise. Er sprach, ohne seine Aufmerksamkeit vom Teller zu nehmen.

"Wie... Woher..."
"Weil ich ihm vorgestern den Flyer für den nahegelegenen Spirituosenhändler zugeschoben habe."
"Sie haben unser Gespräch belauscht?" fragte ich leise.
"Diese Unterhaltung neulich an der Bar war nicht schwer zu überhören, Sarasin."
Ich atmete tief durch.
"Wieso haben Sie ihm geholfen?"
Er schwieg einen Moment, dann lehnte er sich etwas zurück und schaute mich an. Vorsichtig hob ich den Kopf und erwiderte seinen Blick. Ich hätte mich gerade so verdammt gerne auf seinen Schoss gesetzt und mich in seiner Brust verkrochen.

"Hmm... Offenbar hat Ihnen der Rum besser geschmeckt, als Ihnen lieb war. Nicht wahr?"
"Ich..."
Im selben Moment stürmten die anderen Mitschüler mit lautem Getöse herein. Vorsichtig erhaschte ich einen Blick über meine Schulter hinweg.
"Je weniger Beachtung Sie den anderen schenken, desto weniger werden sie sich fragen, wieso Sie gerade neben mir sitzen, Sarasin."
"Ja, Sir"
Ich räusperte mich und schaute wieder in seine Augen.
"Der Rum hat mir schon geschmeckt. Aber wirklich nur der Rum, falls Sie darauf aus sind."
"Den anderen Delikatessen konnten Sie widerstehen?"
"Das war nicht schwer, Sir."
"Das hat den anderen Delikatessen bestimmt am Selbstwert gekratzt."
Er schmunzelte ein wenig.
"Ich konnte Sie sehen gestern Abend unten am Ufer, Sarasin. Ich habe auch Ihre erhöhte Herzfrequenz bemerkt. Ob Sie sich die süsse Versuchung tatsächlich auf der Zunge haben zergehen lassen, konnte ich bedauerlicherweise nicht feststellen."
Mir schoss das Blut ins Gesicht.
"Wieso tun Sie das, wenn Sie mir die Frage erlauben, Sir? Es scheint, als würden Sie darauf aus sein, mich irgendeinem Test zu unterziehen."
"Man könnte vermuten, ich wollte Ihre Disziplin auf die Probe stellen, nicht wahr, Sarasin?"
Er schaute mich an und wartete auf meine Reaktion.
"Das war der Grund?"
"Gewiss nicht."
Er widmete sich wieder dem Teller.
"Dass Sie wissen, wo die Grenzen sind, ist mir durchaus bewusst. Den Delikatessen dadurch ein bisschen am Selbstwert zu kratzen hat mir aber zugegebenermassen gefallen."
Ein süffisantes Schmunzeln schlich sich auf seine Lippen. Ich sah ihn fassungslos an und musste mich zusammenreissen, dass ich nicht loslachte.

Discipline and Desire - An der Seite des MentorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt