2. Kapitel

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Aus Jans Perspektive

Im Gespräch mit Maxi und Timo sind wir uns einig geworden, dass die Initiative, sich mit ihrem Trauma auseinanderzusetzen, von Anna selbst kommen muss und es keinen Sinn macht, sie mit allen Mitteln davon zu überzeugen mit mir ein Gespräch zu führen, geschweige denn Therapieansätze zu besprechen. Dementsprechend wird Fine, die sich hauptsächlich um unsere Wellnessklienten kümmert, Anna unter ihre Fittiche nehmen. Sie hat ihr ein schönes Paket geschnürt, mit dem sie sicherlich gut zur Ruhe kommen kann. Wenn und nur wenn sie dann das Bedürfnis verspürt sich auch um ihre inneren Angelegenheiten zu kümmern und auch solche Dinge wie den Bluthochdruck und ihr Trauma anzugehen, dann werde ich sie behandeln. Vorher nicht.

Allerdings fällt mir das zugegebenermaßen schwer, vor allem, als ich Anna da stehen sehe. Sie wirkt so verloren und verletzlich ohne Timo an den sie sich sonst anlehnen- und auch ein Stück weit verstecken kann. Trotzdem muss sie durch diesen Prozess jetzt erstmal alleine durch. Da kann ich ihr nicht helfen. Auch Maxi wird sich in dieser Hinsicht zurückhalten. Gerade da dieses Trauma ja anscheinend einen medizinischen Hintergrund hat, können wir da jetzt nicht einfach reingrätschen. Das schlimmste was jetzt passieren könnte, wäre eine Retraumatisierung. Ich bin wirklich gespannt, ob und wie sie sich öffnen wird und kann. Nichts desto trotz werde ich natürlich immer wieder in ihrer Nähe sein und ihrem Unterbewusstsein Angebote machen, die sie dann abschlagen, oder annehmen kann. Energisch schüttle ich nun alle Gedanken an Anna ab und widme mich meinem normalen Tagesgeschäft. Marie, unsere Rezeptionistin reicht mir die Akten und ich verziehe mich in meine Praxisräume.

Aus Fines Perspektive

Ich spüre in Anna so viele Widerstände, die aufeinandertreffen. Einerseits das Bedürfnis gesehen zu werden, wahrgenommen zu werden und andererseits aber auch die Angst sich zu sehr zu exponieren. Genauso wie ich, ist sie nicht ganz freiwillig hier. Auch wenn mein Druck ein anderer war, fühle ich dennoch eine gewisse Verbundenheit mir ihr. Vor allem, da wir beide ja Partnerinnen von Medizinern sind. Das verbindet schon ein Stück weit. Ich gehe voran und zeige Anna das Zimmer. Ich habe tatsächlich die 4.01 gewählt - mein damaliges Zimmer, als ich zum ersten Mal ins Retreat kam. Ich schließe Anna auf und lasse sie herein. Im Gegensatz von meiner Anreise damals, wird der Koffer nachher vom Personal gebracht und wir beide müssen ihn nicht nach oben hieven. Anna sieht sich staunend um. Ich habe das Zimmer mit farblichen Akzenten etwas aufhübschen lassen, so dass es jetzt wirklich sehr gemütlich wirkt.

"Denkst du, dass du dich hier wohlfühlen kannst?", ich schaue Anna fragend an.

"Oh ja. Das denke ich. Es ist wunderschön!" Sie lächelt mich an. Etwas Spannung scheint von ihr abzufallen. Ich trete zu ihr und nehme sie, obwohl wir uns noch nicht so gut kennen, fest in den Arm. Nach einigen Sekunden geben ihre Schultern nach und sie sackt etwas weiter zusammen. Wir bleiben noch kurz für einen Moment so verbunden, bevor wir uns voneinander lösen. Anna hat Tränen in den Augen. Sanft wische ich diese beiseite und lächle sie an. Auch Anna lächelt etwas zitterig zurück.

"Soll ich dir mal zeigen, was ich für dich geplant habe?" Ich zeige ihr einen Bogen, der auf dem kleinen Tischchen am Fenster steht.

"Ja, gerne!" Anna setzt sich in einen der beiden Sessel, während ich ihr die Abläufe im Haus erkläre. Sie war ja bereits mit Timo schon vor einiger Zeit hier, so dass sie die Räume eigentlich kennt. Durch den Umbau im letzten Jahr hat sich aber schon etwas getan - vor allem im Wellnessbereich.

"Also. Heute hast du erstmal ganz gemütlich Zeit um anzukommen, auszupacken, einen Kaffee zu trinken..."
"Ich hatte heute schon drei..."Ich halte ihren Blick.

"Und, wer weiß das schon? Wenn du Lust auf einen Kaffee hast, dann trinkst du einen!", sage ich mit fester Stimme.

"Okay, stimmt eigentlich!" Sie grinst mich an. So gefällt sie mir schon viel besser.

"Dann gibt es nachher um 1 Mittagessen. Vielleicht machst du danach noch ein Mittagsschläfchen. Dann um 15 Uhr ist Yoga im Park mit Jan," ich halte für einen Moment ihren Blick. "Im Zweifelsfall suchst du dir eben hinten ein Plätzchen!", ich grinse sie an und sie nickt.

"Danach dann hast du auch ganz in Ruhe Zeit vielleicht das Dörfchen zu erkunden. Wenn du magst, dann komme ich mit. "

"Oh ja, gerne!" Ich lächle sie an. "Prima, dann richte ich mir das ein. Dann Abendessen um 20 Uhr. So viel zu heute. Ich habe für die nächsten Tage auch mal lose ein Programm zusammengestellt, du kannst aber gerne im Flyer schauen, ob du auf irgendetwas besonders Lust hast. Gerade ist nicht viel los, du kannst dir also bunt zusammenstellen, was du möchtest.

"Das klingt toll. Danke Fine!"

"Gerne. Dann richte dich mal in Ruhe ein. Wenn du irgendetwas brauchst, dann melde dich einfach an der Rezeption. Marie ist sehr nett."

"Das mache ich. Danke!"

"Dann hole ich dich gegen 17 Uhr hier ab?"

"Ich freue mich."

"Ich mich auch. Bis später!"

Spaziergang zur inneren Mitte oder Annas GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt