3. Kapitel

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Aus Annas Perspektive

Nachdem Fine das Zimmer verlassen hat, sitze ich noch etwas in dem Sesselchen und genieße die Ruhe und die schöne Aussicht. Keiner, der irgendetwas von mir möchte, dem ich gerecht werden muss - himmlisch! Es klopft an der Türe. Mein Herz schlägt schneller. Ob das Jan ist? Mit etwas zitternder Stimme rufe ich "Herein!"

Die Türe öffnet sich und mein Koffer wird hereingeschoben. Puh, nur der Zimmerservice. Ich bedanke mich und rolle den Koffer vor den Kleiderschrank. Ich öffne den Reißverschluss und klappe den Koffer auseinander. Lust diesen auszupacken, habe ich allerdings überhaupt nicht. Muss ich ja auch nicht. Ich lächle in mich hinein, beschließe aber andere, bequemere Schuhe anzuziehen und mit einem Kaffee in der Hand den schönen Park etwas zu erkunden. Nachher wird dort ja auch das Yoga stattfinden. Ich ziehe bequeme Sneakers an, laufe nach unten und ordere mir einen Latte Macchiato zum Mitnehmen und gehe dann durch den Speisesaal über die Terrasse runter in den Garten. Die Treppe ist etwas verschnörkelt und passt toll in dieses Ambiente. Ich atme tief durch und setze mich auf eine der Stufen. Vorsichtig nippe ich an dem Kaffee und genieße die frische Luft. Nach ein paar Minuten spüre ich, wie mein Po kalt wird. Eine Blasenentzündung brauche ich nun wirklich nicht. Ich gehe durch die liebevoll angelegten Wege bis zu einer kleinen Sitzecke in der die Sonne die Holzbänke schon angenehm vorgewärmt hat. Wieder lasse ich mich nieder und spüre, wie mein Puls sich Stück für Stück beruhigt. Ich schließe die Augen und genieße die warme Sonne auf meinem Gesicht. Ich erschrecke, als sich jemand neben mich setzt und lasse aus Affekt den Becher mit dem glücklicherweise nur noch warmen Rest Kaffee in meinen Schoß fallen. 

"Scheiße!", fluche ich und drehe mich zum Übeltäter um. Jan sieht mich mit einem etwas betretenen Lächeln an. 

"Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken."

"Hast du aber! Ich denke, ich gehe mich mal umziehen. Bis später!", sage ich etwas unwirsch. Der hätte mich ja ruhig auch vorwarnen können. Ich schaue an mir herunter. Na toll, ich sehe aus, als hätte ich in die Hose gemacht. Meine Schritte beschleunigen sich etwas. Ich möchte nicht, dass mich jemand so sieht. Dummerweise sehe ich in meinem Fluchtmodus auch nichts und stolpere voll über die nächste Wurzel. Mein Fußgelenk wird schmerzhaft überdehnt, als ich umknicke. Mir verschlägt es für einen Moment den Atem. Ich bleibe kurz sitzen und umklammere mein Sprunggelenk. Glücklicherweise, denke ich ironisch, sind die Außenbänder durch meine Leistungsturnzeit eh schon überdehnt. Da kann nichts mehr zusätzlich kaputt gehen. Leise fluchend stelle ich mich wieder hin und teste, ob ich auftreten kann. Erfahrungsgemäß tut es erst morgen weh. Wieder schaue ich an mir herunter. Nun sind meine Knie von dem Moos auch noch grün - was für ein Aufzug. Dass ich nicht einmal die Tolpatsch - Anna zuhause lassen kann. Ich schaue mich um, ob jemand einen peinlichen Auftritt verfolgt hat. Glücklicherweise sehe ich niemanden. Nun etwas langsamer, trete ich vorsichtig auftretend den Rückweg zum Haus an. 

Aus Jans Perspektive

Na mein erster Versuch Kontakt aufzubauen ging ja mal, im wahrsten Sinne des Wortes, total in die Hose. Anna ist davongesprungen, wie ein scheues Reh. Ich seufze leise. Das wird schwieriger, als erwartet. Ich schaue ihr nach, wie sie weitereilt. Eigentlich müsste sie schon das Haupthaus erreicht haben. Mein nächster Termin ist in 10 Minuten. Also mache auch ich mich auf den Weg zurück in meine Räume. Ich gehe einen etwas versteckten Weg, als ich Anna auf dem Boden kauern sehe. Sie umfasst ihr Sprunggelenk und ist wohl gestolpert oder umgeknickt. Ich unterdrücke den Impuls zu ihr zu laufen und beobachte sie einfach einen Moment. Etwas schwankend steht sie auf und versucht vorsichtig aufzutreten. Anscheinend funktioniert das ganz gut. Ich bin gespannt, ob sie sich Hilfe holt. Allerdings würde ich meinen werten Hintern dafür verwetten, dass sie das nicht tut und diese Verletzung mit sich alleine ausmacht. Ich habe da allerdings schon eine Idee, wie ich herausfinden kann, in wieweit die Verletzung behandlungsbedürftig ist, oder nicht.

Aus Annas Perspektive

Glücklicherweise halten sich die Schmerzen in Grenzen, so dass ich ohne groß Humpeln zu müssen mein Zimmer erreiche. Trotzdem bin ich froh um den Aufzug. Fast ungesehen von anderen Gästen betrete ich mein Zimmer. Ich suche mir eine neue bequeme Hose heraus und setze mich aufs Bett um kurz meinen Knöchel zu untersuchen. Ich probiere die unterschiedlichen Rotationen, die bis auf das nach außen hochziehen gut funktionieren. Also kein Grund zur Sorge. Dank Timo bin ich ja immer gut mit einer Reiseapotheke ausgestattet. Also lege ich - mehr oder weniger fachmännisch einen Salbenverband an und ziehe vorsichtig den Socken darüber. Passt. Nun die hochhackigen Schuhe kann ich wohl getrost im Koffer lassen. Ich nehme noch einige Arnikaglobuli ein und lege mich dann nach hinten. Noch eine halbe Stunde bis zum Mittagessen. Ich beschließe noch kurz die Augen zuzumachen und stelle mein Handy auf 20 Minuten. Im Powernapping bin ich ja mittlerweile ziemlich geübt.

Als mein Handy klingelt, muss ich mich erstmal orientieren. Vorsichtig stehe ich auf und versuche den Knöchel zu belasten. Es geht zum Glück ganz gut. Ob Yoga da allerdings auch drin ist, ohne den Wackeldackel zu machen, ist die Frage. Solange Jan keine Balancesachen macht, dürfte das aber eigentlich machbar sein. Ich beschließe nachher in der Apotheke, die es hier im Dorf ja wohl hoffentlich gibt, eine Bandage zur Unterstützung zu kaufen.

Langsam mache ich mich dann auf den Weg nach unten. Im Speisesaal angekommen hole ich mir etwas zu essen und zu trinken und setze mich an einen Einzelplatz. Ich habe gerade nicht das Bedürfnis nach Kommunikation und hole mein Handy heraus. Vorher im Zug habe ich mir noch ein neues Ebook heruntergeladen, welches ich jetzt lesen möchte. Kurz darauf tippt mir jemand auf die Schulter. Was haben die denn hier alle?

"Handys sind hier nicht erlaubt!", sagt mir eine eigentlich ziemlich freundlich aussehende Frau. Ich muss schon sehr an mich halten die Augen nicht zu verdrehen. Dann räume ich es aber weg und beginne zu essen. Es fühlt sich komisch an, nur für sich selbst zu sein. Sich um niemanden kümmern zu müssen. Fast etwas gelangweilt esse ich dann fertig und bringe mein Tablett weg. Langsam laufend gehe ich dann nach vorne zur Rezeption. Die Rezeptionistin lächelt mich freundlich an. "Wie kann ich helfen?"

"Gibt es eine Apotheke hier im Ort?"

"Ja, die gibt es. Aber Sie können auch einfach Jan fragen, Sie kennen ihn ja persönlich und das allermeiste haben wir im Haus," sie schaut mich fragend an.

"Ach nein. So wichtig ist es nicht, aber danke!" Ich lächle ihr zu und gehe dann nach oben in mein Zimmer. Etwas Zeit habe ich ja noch, bevor Fine mich zu unserem kleinen Ausflug abholt. 

Spaziergang zur inneren Mitte oder Annas GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt