Kapitel 26

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Aus Jans Perspektive

Nachdem ich die letzte Patientin für heute gesehen habe, klopft Ralf ,ein befreundeter Allgemeinmediziner, an die Türe. Mit ihm werde ich heute ein kleines Training mit Anna machen. Ich bin gespannt, wie Anna auf ihn reagieren wird. Ralf weiß, dass Anna bei mir in Behandlung ist, aber kennt noch keine weiteren Hintergründe. Anna wird gleich eintreffen, so lange werde ich ihn noch kurz "briefen".

"Also, Anna wird getriggert von einem Kontrollverlust in einer medizinischen Situation. Welche das ist, ist relativ egal. Ich habe einen Anker gesetzt, wenn sie diesen nutzen kann, fühlt sie sich in dieser Situation nicht mehr so ausgesetzt und kann damit besser kooperieren. Sie kommt zu dir mit einer Bänderüberdehnung am Knöchel. Routinemäßig überprüfst du dabei ihren Blutdruck. Mehr heute nicht, okay?"

"Das kriege ich hin!" Ralf grinst mich an. 

"Gut, dann hole ich Anna rein."

Anna sitzt bereits vor der Sitzgruppe meiner Behandlungsräume und lächelt mich an, als ich sie hereinhole. Sie hinkt tatsächlich etwas. Das passt ja gut. 

"Hast du es  übertrieben?", ich lächle sie an. 

"Hm, so ähnlich. Ich habe mich vorher nach der Sitzung oben so frei gefühlt, dass ich einfach so getanzt habe. Das war zwar für mein Herz gut, aber mein Knöchel fand das, da ich ja die Orthese nicht anhatte, nicht so witzig."

"Verständlich. Dann passt das ja gut." Ich öffne die Türe. Ralf sitzt auf meinem Platz , er hat bereits ein Stethoskop um den Hals geschlungen und lächelt Anna an. Ich spüre, wie Anna sich neben mir versteift. Ich lege ihr sanft die Hände auf die Schultern. "Denke an deinen Anker. Deine Füße sind fest auf dem Boden verwurzelt. Dir kann nichts passieren!", sage ich ihr leise. Annas Hände öffnen und schließen sich. Sie versucht ihre eigene Kontrolle über die Situation zu erlangen. Sehr gut. Wir bleiben kurz in dieser Situation, bevor Anna sich selbst einen Ruck gibt und sich gegenüber von Ralf setzt. Ich bleibe ruhig in einer Ecke stehen und betrachte die Situation. 

"Frau Richter, schön, dass Sie da sind!", Ralf lächelt Anna an. Anna presst die Beine fest auf den Boden. "Sie sind da wegen ihres verstauchten Knöchels?", er schaut Anna fragend an. 

"Ja, genau. Ich bin vor drei Tagen umgeknickt und habe heute, blöderweise, Sport ohne meine Orthese gemacht. Jetzt wollte ich nachschauen lassen, ob ich da nicht doch etwas kaputt gemacht habe."

"Das schauen wir uns doch gleich mal an. Ziehen Sie bitte den Schuh und Socken aus!", fordert er sie ruhig auf.  Anna folgt der Aufforderung. Ihre Hände zittern nicht. Sehr gut. Ralf setzt sich ihr gegenüber und tastet vorsichtig den Knöchel ab. Immer wieder sucht er Annas Blick und testet die Beweglichkeit. 

"Ihr Fußgelenk ist allerdings schon sehr, sehr flexibel! Hatten Sie schon öfters Probleme mit dem Gelenk?

"Ja . Ich habe früher geturnt. Und da oft weitergemacht, ohne es ausheilen zu lassen...", gibt Anna zu. Ihre Hände halten sich nun am Stuhl fest, da das mit ihrem Bein ja gerade nicht möglich ist. Sie sucht sich alternative Möglichkeiten. Genau richtig! Ich bin stolz auf sie. 

"Ich kann da nicht viel machen. Ich denke Sie haben die Physio schon ausgeschöpft?"

"Hab ich."

"Dann tragen Sie die Orthese bitte konsequent auch in der Nacht die nächsten 2 Wochen und schleichen danach aus. Sie werden um eine Operation wahrscheinlich nicht herumkommen." ernst sieht er Anna an. 

"Ja, ich weiß. Aber da warte ich noch etwas!", antwortet sie fest. Perfekt geantwortet und sich nicht ins Bockshorn jagen lassen. So habe ich mir das gewünscht. Innerlich möchte ich ihr gerne  10 Daumen nach oben zeigen. 

"Soll ich Ihnen einen festen Verband anlegen?"

"Nein, ich ziehe nachher gleich die Orthese wieder an."

"Versprochen?", lächelnd schaut Ralf Anna an. 

"Versprochen!", sie lächelt zurück. 

"Gut, dann kann ich Sie ja wieder springen lassen..."

Anna nickt und scheint erleichtert.

"Ach Moment, Sie haben ja Bluthochdruck. Da möchte ich gerne noch eine Messung. Kommen Sie mit den Medikamenten gut zurecht?"

"Ja. Das ist kein Problem!" Wieder stemmt sie beide Füße fest in den Boden, als Ralf das Blutdruckmessgerät herausholt. Er setzt sich ihr gegenüber und befestigt es um ihrem Arm. Dann legt er das Stethoskop an und pumpt auf. 

"130 zu 80. Ein perfekter Wert. So gefällt mir das!" Ein stolzes Lächeln stiehlt sich in Annas Gesicht. 

"Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend und denken Sie an die Orthese!" Er schüttelt Anna noch die Hand, bevor sie mit mir gemeinsam das Zimmer verlässt. 

Außerhalb des Zimmers nehme ich Anna fest in den Arm. "Das war gigantisch gut, weißt du das?" Ich wirble sie herum. Auch Maxi kommt dazu und grinst Anna breit an. 

"Ich fühle mich gerade 100 kg leichter.", lacht Anna 

"Verdient!" ich drücke ihre Hand.  Ralf gesellt sich kurz zu uns. 

"Glückwunsch. Und das war übrigens wirklich dein Wert. Ich habe nicht gemogelt!"

"Umso besser!", Anna strahlt. "Wenn ich das Timo erzähle!" 

"A propos Timo. Wie wäre es, wenn wir morgen nochmal gemeinsam sprechen? Also du, Timo und ich?" ich halte Annas Blick. Zusätzlich zu der Erleichterung,  dass Anna den ersten Schritt gegangen ist, gesellt duch nun auch etwas Erschöpfung dazu.

"Ich denke das wäre gut. Ich habe schon etwas Respekt davor."

"Deshalb bin ich ja dabei!" ich lächle sie an. 

"Sehr gut und jetzt will ich einen Sekt!", sie strahlt in die Runde. 

"Na das ist doch mal eine Aussage! Marie und Fine haben im Angestelltenkühlschrank bestimmt noch eine Flasche!"

Gemeinsam gehen wir nach unten und setzen uns in den Garten. Es bleibt nicht bei einer Flasche Sekt und wir genießen einen feucht fröhlichen Abend. 

Spaziergang zur inneren Mitte oder Annas GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt