XI

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"Das ist- wie konnten wir das übersehen?!"
Greg sah uns schnaubend an und blickte dann wieder auf den Bildschirm vor uns, auf dem die Überwachungsvideos von der 26. Gondel zu sehen waren.
"Vermutlich, weil ihr euch über die Kameras gar nicht bewusst gewesen seid.", gab Sherlock trocken zurück.
Wir standen zu viert in einem kleinen Überwachungsraum, in dem wir uns die Überwachungsvideos der Gondeln ansehen konnten und welcher uns von einem Nachtwächter aufgeschlossen worden war, dessen einzige Aufgabe es war, das London Eye für die Zeit der Ermittlungen nachts zu bewachen. Natürlich interessierte uns nur das Material aus der 26. Allerdings hatten wir, als wir vor gut einer dreiviertel Stunde hier angefangen hatten, ziemlich schnell einen Einbruch bemerkt, der scheinbar noch keinem anderen Aufgefallen war, und hatten aus diesem Grund Greg angerufen, der auch ziemlich zügig zu uns gestoßen war, um gemeinsam mit uns zu ermitteln. Irgendwer war in der Nacht in die Gondel gekommen, hatte etwas unter der Bank drapiert und war dann wieder abgehauen. Dieser Jemand war natürlich maskiert gewesen und hatte auch sonst nur eine schwarze Weste, eine schwarze Hose und schwarze Handschuhe angehabt. Alles nicht sonderlich aufschlussreiche Kleidungsstücke.
"Haben wir denn, was der Einbrecher unter die Bank getan hat?", fragte Greg.
"Nein, haben wir nicht.", gab John zurück, und sah sich noch einmal genau an, wie der Einbrecher etwas aus seiner Westentasche zog.
"Habt ihr denn nachgesehen?", fragte Greg noch einmal.
"Natürlich, Garrett! Wir sind doch keine Anfänger!", giftete Sherlock den Detectiv Inspector an, der schon gar nicht mehr auf den falschen Namen reagierte.
"Ja, Entschuldigung...", murmelte er. "Der Fall hat nur heute Nachmittag ziemlich abrupt einen wesentlich höheren Stellenwert angenommen."
"Warum das denn?", erkundigte ich mich und wandte den Blick vom Bildschirm zu dem Mann, der neben mir stand und ebenso gebannt auf den Bildschirm starrte, wie die anderen beiden.
"Nun ja...", er lachte verlegen und kratzte sich am Kopf. "Mycr- Mr Holmes der ältere hat sich auf dem Revier gemeldet und meinte, der Fall hätte oberste Priorität und ich solle mich morgen mit ihm Treffen, um die Einzelheiten der Ermittlungen mit seinen Informationen abzugleichen."
"Mycroft?", fragte ich grinsend. "Wollten Sie ihn gerade Mycroft nennen?"
Verlegen wandte Greg sich von mir ab, um zu verbergen, wie rot er auf einmal anlief.
"Es ist tatsächlich ein Siegelstempel.", sagte John plötzlich, und unterbrach so mein kleines Verhör, was Greg erleichtert aufatmen ließ. Aber ich hatte meine Schlüsse ohnehin schon gezogen.
"Was?", fragte er sogleich, um das Thema vollends abzulenken.
"Der Mann. Erst holt er eine Spritze hervor und befestigt sie unter dem Sitz. Dann wischt er seine Fingerabdrücke mit einem Tuch weg und als letztes setzt er einen Stempel auf das Holz.", erklärte John seine Entdeckung. "Jetzt wissen wir, wie der Mörder ihr das Gift injiziert hat, allerdings... woher konnte er wissen, dass sie sich exakt dort hinsetzen wird?"
"Das Wasser!", rief ich aus und sah aus dem Augenwinkel, wie Sherlock zufrieden grinste. "Die Sitze waren überall außer an dieser Stelle nass. So konnte der Mörder sich sicher sein, dass sie sich auf die Nadel setzt. Vermutlich war die irgendwie mit einem speziellen Druck-Dings ausgestattet, damit das Gift bei Berührung auch ausgedingst wird."
"Injiziert.", sagte John und ich zog die Schultern hoch.
"Ist doch egal, wie es heißt! Wichtig ist, dass wir jetzt endlich die Mordwaffe haben."
Sherlock nickte. "Wohl wahr. Aber was sagt uns diese Waffe jetzt? Und die Umstände."
Ich überlegte eine Weile. "Nun ja... der Mörder hat die Gondel ja nicht nass gemacht, als er eingebrochen ist. Aber da Holzbänke in geschlossenen Räumen nicht einfach so nass werden, ist davon auszugehen, dass-"
"Irgendwann später jemand kommt, und die Bank nass macht!", beendete John meinen Gedanken und begann sofort, auf dem Überwachungsvideo vorzuspulen.
"Halt!", rief Sherlock plötzlich und sofort hielt John das Video an. In diesem Moment konnte man genau sehen, wie ein Mann herein kam und aus einer Wasserflasche Wasser auf die Sitzfläche kippte.
"Ist das nur Zufall, oder...? Das ist um exakt 13:10 Uhr. Da hatten wir Schulschluss.", sagte ich und sah Sherlock an. Dieser kniff die Augen zusammen und sah mich ernst an, was mich nervös machte, weshalb ich mich lieber dem Bildschirm zuwandte. Der Mann stand uns mit dem Rücken zugewandt, weswegen wir sein Gesicht nicht sehen konnten. Doch etwas an der Art, wie er sich bewegte kam mir bekannt vor.
"Erkennst du ihn denn nicht?", fragte Sherlock plötzlich enttäuscht und sofort zog sich etwas in mir zusammen. Also kannte ich den Kerl tatsächlich.
"Doch... nur...", ich musterte die Bewegungen des Mannes ganz genau, bis mir die Antwort wie ein Blitz in den Sinn einschlug. "Hier, dieser Gondel-Fritze! Ach, wie heißt der denn gleich noch? Ähmm... Montegiu! Lucas Montegiu!"
"Absolut richtig.", Sherlock klatschte in die Hände. "Also, Gavin. Wir haben Ihnen soeben den Hauptverdächtigen geliefert."

New Identity - Die 26. GondelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt