XIII

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Mit einem panischem Glucksen folgte ich Sherlock einen Moment später. Ich wollte nicht, dass er einem Mörder allein gegenüber stand und außerdem wollte ich mir das Spannendste auch nicht entgehen lassen. Wir betraten also das Lehrerzimmer und vermutlich sollten wir dabei möglichst bedrohlich oder wenigstens erhaben aussehen, allerdings zerstörte ich dieses Bild vermutlich ziemlich. Meine Schultern waren nämlich nach innen gekehrt und mein Kopf eingezogen, da ich extreme Angst davor hatte, einem weiteren Mörder von Moriartys Netzwerk gegenüber zu treten. Sherlock hingegen war die Ruhe selbst und stellte sich erhobenen Hauptes direkt in den Ausgang des Zimmers.
Ich nahm mir einen Moment, um mich umzusehen. Es war ein großer, länglicher Raum, an dem links und rechts zwei lange Tischtafeln standen, wo jeder Lehrer seinen eigenen Platz hatte. Manche Plätze waren leer und das einzige was darauf schließen ließ, dass sie jemandem gehörten, war eine Kaffeetasse, die auf dem hellbraunen Holz stand. Andere wiederum waren dekoriert mit Bildern, Büchern oder Kakteen. Lucas Montegiu stand an einem Tisch, welcher über und über verdreckt war, mit hässlichen Zeichnungen, noch hässlicheren Gemälden und Entwürfen für irgendwelche Skulpturen.
"Lucas Montegiu also. Warum Sie hier sind, ist klar. Aber warum erst jetzt?", fragte Sherlock und der Mann richtete sich grinsend auf.
"Mr Holmes! Ich dachte schon, sie kämen nicht mehr!", lachte er und für einen kurzen Moment wunderte mich, warum er so entspannt war. Allerdings beantwortete sich diese Frage von selber, als der Angestellte des London Eye weitersprach. "Und Sie haben Ihre kleine Freundin gleich mitgebracht! Hach, das ist ja wohl mein Glückstag! Lilith Watson. Die Beschreibung von dir ist wesentlich unspektakulärer - in echt hast du viel schönere Augen."
Perplex starrte ich den Mann an. Flirtete der gerade mit mir?
"Sind Sie nur hier, um eine Minderjährige zu belästigen, oder wollen Sie auch noch etwas erzählen?", fragte Sherlock und ich nahm den zuckenden Blick war, mit dem er den Verbrecher von oben bis unten bedachte.
"Warum erzählen Sie mir nicht lieber, was Sie alles wissen? Danach kann ich Ihnen ja erzählen, warum wir das alles machen."
Sherlock lachte. "Keine Sorge, wir wissen bereits, warum Sie das machen."
"Ach?", verwirrt sah ich ihn an. "Tun wir das?"
"Das ist doch offenkundig.", er schüttelte den Kopf und unwillkürlich kam ich mir sehr dumm vor. "Er hat Verbindungen zu Moriartys Netzwerk, wenn ich ihn mir allerdings so ansehe, bezweifle ich, dass er mehr als ein Handlanger ist, der die Drecksarbeit verrichtet. Moriartys Netzwerk will an dich ran kommen, weil jemand seinen Auftrag nicht beenden konnte. Und wie kommt man am besten an dich ran? Man tötet Leute, die du kennst. Leute, mit denen du befreundet oder verwandt bist."
"Aber mit Mrs Krusha bin ich weder befreundet noch verwandt. Ich kannte sie ja gerade mal einen Tag."
"Das ist eine Nachricht an mich.", Sherlock seufzte. "Damit soll uns gesagt werden, dass du offensichtlich unter Beobachtung stehst und die sogar solche Sachen herausfinden können."
"Absolut richtig!", freute Montegiu sich und stopfte ein paar der hässlichen Zeichnungen in seine Tasche. "Und ich freue mich ganz außerordentlich, dass ihr das so schnell verstanden habt. Dann muss ich weniger reden.", er seufzte theatralisch und kam auf uns zu geschlendert. Ich war schon versucht, zurück zu weichen, allerdings stand Sherlock wie angewurzelt neben mir, weshalb ich beschloss, mich ebenso wenig zu rühren. Montegiu kam auf mich zu und strich mir eine Strähne der schwarzen Haare aus dem Gesicht. Ich konnte sein Aftershave riechen und in mir zog sich alles zusammen. Dennoch zwang ich mich, mich nicht zu rühren. "Es ist zu schade, dass wir dich töten müssen... Bei deiner Kunstlehrerin kannst du uns ruhig dankbar sein - sie war ein Biest."
"Gut, das war es dann. Wir haben hier ein Geständnis.", rief so plötzlich Greg, dass ich erschrocken zusammen zuckte und sich ein triumphierendes Grinsen auf Montegius Gesicht ausbreitete. Sofort verzog ich angewidert das Gesicht und verfluchte meine Schreckhaftigkeit.
"Ihr werdet scho sehen. Das ist erst der Anfang.", lachte er und ließ sich ohne weiteren Protest von dem Detectiv Inspector festnehmen.

"Das war... seltsam.", stellte ich fest, als der Streifenwagen, den Greg zur Schule beordert hatte, mitsamt Lucas Montegiu und dem Detectiv Inspector davon fuhr.
"Was genau meinst du? Dass er mit dir geflirtet hat, oder dass er sich hat festnehmen lassen?", Fragte John bitter und ich hörte einen klaren Vorwurf, aus seinen Worten. Allerdings war mir nicht ersichtlich, was er uns vorwarf, immerhin konnten wir weder für das eine noch das andere etwas.
"Sowohl als auch, vermute ich... Sherlock, was machen wir jetzt?", fragte ich und sah den Consulting Detectiv an. Dieser starrte auf die Schule, als würde sie ihm unseren nächsten Schritt verraten.
"Wir müssen noch einmal rein. Ganz offensichtlich hat Montegiu etwas gesucht, aber er wird es da gelassen haben."
"Warum sollte er es da gelassen haben?", fragte John, der mit jeder Minute müder und damit schwerer von Begriff wurde.
"Weil er es wohl kaum der Polizei einfach vor die Füße legen würde.", gab Sherlock zurück und ohne auf und zu warten marschierte er zurück in die Schule. Ich sah zu John, der seufzte.
"Na los. Je schneller er zufrieden ist, desto schneller sind wir wieder zuhause."
Grinsend nickte ich und lief dem Lockenkopf hinterher.

Es dauerte fast eine halbe Stunde bis genannter Lockenkopf glücklich mit dem Lehrerzimmer und dann noch einmal eine dreiviertel Stunde bis wir auch den Kunstraum, in dem Mrs Krusha unterrichtet hatte, auf jedes Staubkorn untersucht hatten. Gefunden hatten wir allerdings nichts wirklich hilfreiches. Nur ein weiteres eingestanztes "M" auf der Unterseite ihres Tisches im Lehrerzimmer. Das ließ mich schlussfolgern, dass Montegiu nur zu diesem Zweck in die Schule eingestiegen war.
"Gut, können wir dann bitte wieder gehen?", sagte John leicht gereizt, als wir im unauffälligen Kunstraum standen.
"Ich denke, wir haben alles gesehen.", verkündete der Detecitv und glücklich darüber nickte John.
"Wunderbar. Dann rufe ich uns jetzt ein Taxi. Und Zuhause gehen wir dann alle direkt schlafen. Einverstanden?"
"Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich könnte einen Mitternachtssnack vertragen.", gab Sherlock zum Besten und ich warf einen Blick auf mein Handy.
"Ein Mitternachtssnack um kurz nach halb zwei? Das ist ja schon fast kriminell.", ich grinste. "Klingt aber hervorragend. Bin dabei."
"Jetzt kann ich ja wohl schlecht Nein sagen, oder?", seufzte John und ich legte meinen Arm um ihn.
"Komm, gegen Essen kannst du doch nichts sagen."
Er lachte. "Tja, da ist was dran. Also los. Holen wir uns was zu Futtern."

Wenig später saßen wir zu dritt in einem kleinen türkischen Restaurant.
"Und, was machen wir als nächstes?", fragte John zwischen zwei Bissen seines Döners.
"Wir warten.", antwortete ich an Sherlocks Stelle.
John seufzte. "Erklärst du mir auch, wie du darauf gekommen bist? Scheinbar ist Sherlock nämlich auch deiner Meinung."
"Nun.", hob ich an. "Sherlock betont doch immer, dass die Verdauung seine Denkgeschwindigkeit behindert. Aber nun hat er sogar vorgeschlagen Essen zu gehen. Also muss er damit rechnen, für die nächste Weile nichts tun zu müssen."
"Wasserdichte Beweisführung.", staunte John und auch Sherlock nickte anerkennend.
"Aber sind jetzt alle Leute, die ich kenne, in Gefahr?", fragte ich vorsichtig und dachte dabei an Nicky, die etwas wie einem Freund am nächsten kam. "Immerhin kannten die sogar Mrs Krusha."
"Naja...", John suchte ganz offensichtlich nach den richtigen Worten, um es mir schonend beizubringen.
"Ja, potenziell schon.", sagte Sherlock da allerdings schon und kassierte einen bösen Blick von meinem Bruder.
"Na dann... wenigstens weiß ich jetzt, woran ich bin.", ich schwieg einen Moment. "Und wir können nichts anderes machen als warten?", fragte ich dann vorsichtshalber noch einmal nach.
"Nein, können wir nicht. So leid es mir tut.", sagte Sherlock und auch Johns Blick wurde weich.
"Aber mach dir keine Sorgen, wir haben jetzt ja erst einmal Montegiu und bis sie jemand anderen geschickt haben, dauert es mit Sicherheit eine Weile.", fügte er hinzu und ich nickte.
"Wenn du das sagst...", wirklich überzeugt war ich nicht, aber ändern konnte ich es ohnehin nicht. 

New Identity - Die 26. GondelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt