XII

27 5 5
                                    

"Es ist gleich null Uhr, Sherlock! Ich mache mich jetzt bestimmt nicht mehr auf die Suche nach einem möglichen Verdächtigen.", protestierte Greg. "Dafür habe ich Angestellte - die können das machen, und wenn sie fertig sind, dann sagen sie mir bescheid."
"Na und? Es ist Ihr Job, ihn zu finden. Immerhin hat er eine Frau umgebracht!", sagte Sherlock und sah Greg ernst an, was dieser ihm einen Moment gleich tat, ehe er den Blick abwandte und seufzte.
"Ja, es ist meine Aufgabe ihn zu finden, aber-"
"Na also! Los, Gavin! Mycroft wird sicher stolz sein, wenn Sie den Täter morgen schon haben.", rief Sherlock und eilte los, um ein Taxi anzuhalten.
"Das ist fies. Das ist so fies. Einfach Mycroft mit rein ziehen. Als ob ich mich jetzt noch weigern könnte.", grummelte Greg und mitleidig klopfte ich ihm auf die Schulter.
"Keine Sorge Greg.", grinste ich. "In meiner Gegenwart sind alle gay. Mycroft wird Ihnen bestimmt nicht widerstehen können."

Wenig später stiegen wir vor der Schule aus.
"Ähm, Sherlock?", fragte John. "Was genau gedenkst du jetzt hier zu tun?"
"Wir wissen nicht, wo Montegiu wohnt, korrekt? Also müssen wir es herausfinden."
Ohne weitere Informationen über sein Vorhaben zu liefern betrat Sherlock das Gebäude und ließ uns keine andere Wahl, als ihm zu folgen.
"Okay, aber warum sollte man um halb eins in der Nacht in meiner Schule Hinweise auf einen Mörder finden? Noch dazu an einem Freita- ach ne, inzwischen ist ja sogar schon Samstag!", rief ich und John zuckte mit den Schultern.
"Ist doch egal. Ich will ins Bett.", grummelte Greg und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
"Aber hoffentlich ohne Mycroft.", murmelte ich und kassierte einen Klaps von John auf den Nacken.
"Wenn du das bei Sherlock und mir machst, ist das schon nervig. Jetzt lass den armen Greg in Frieden!", sagte er, doch ich hörte die Belustigung in seiner Stimme.
"Ich habe das einfach nicht gehört.", murmelte der Detectiv Inspector, als wir die große Eingangstüre erreichten, an der Sherlock sich bereits zu schaffen machte.
"Tut mir leid.", kicherte ich an Greg gewandt, was dieser mit einem knappen Nicken abtat.
"Also Sherlock, warum brechen wir in Lilis Schule ein?", fragte John, als Sherlock die Türe aufstieß und seinen Dietrich zurück in seine Manteltasche steckte.
"Weil ich mir das Büro der Birne angucken möchte, ehe wir uns auf den Weg zu Montegiu machen.", gab dieser zurück und betrat das finstere Schulgebäude.
"Ist das Ihr Ernst, Sherlock?!", rief Greg wütend. "Das könnten Sie genauso gut ohne mich machen!"
"Jetzt sind Sie aber hier, richtig? Also können Sie sich auch gleich behilflich machen. Und du Lili, auch. Wo ist das Büro?"
"Sherlock, ich gehe seit zwei Tagen auf diese Schule. Ich habe doch keine Ahnung, wo hier die Büros sind!", sagte ich ein wenig empört, und Sherlock seufzte.
"Aber wo das Lehrerzimmer ist, das weißt du?", fragte er und ich nickte.
"Ja, dort musste ich mich ja melden."
"Dann fangen wir dort am besten an. Abmarsch.", sagte John und sofort stolperte ich los. Ich war es definitiv nicht gewöhnt, so lange wach zu bleiben. Und auch wenn ich das vor Sherlock nicht zugeben würde, aber ich würde auch wesentlich lieber unter meiner kuscheligen Bettdecke liegen, und mein Buch über den amerikanischen Bürgerkrieg lesen, als in meiner Schule herum zu laufen, als hätte ich Samstags um halb eins in der Nacht nichts besseres zu tun.
Ich führte die Männer eine Etage rauf und durch einen Flur zu einer schweren Doppeltüre aus hellem Holz. Mehrmals musste ich mich zusammenreißen, dass mir meine Augen nicht während des Gehens zufielen, allerdings erledigte sich diese Müdigkeit sofort, als ich ein leises Geräusch aus dem Lehrerzimmer vernahm. Abrupt blieb ich stehen, was zur Folge hatte, dass der ebenso müde Greg gegen meine Schulter lief und sich lautstark beschweren wollte, was ich doch in letzter Sekunde zu verhindern wusste, indem ich ihm meine Hand auf den Mund drückte.
"Schhhht.", zischte ich leise und entfernte meine Hand wieder, um gemeinsam mit Sherlock näher zur Türe zu schleichen und zu lauschen. Von drinnen konnte man das Rascheln von Papier hören, und plötzlich sagte eine Stimme:
"Du sollst aufhören, mich immer Flachpfeife zu nennen!"
Sofort erkannte ich die Stimme und sah Sherlock fragend an, was dieser mit einem Nicken beantwortete. Er hatte Lucas Montegiu auch erkannt. Natürlich hatte er das, was für eine blöde Frage. Mit einer sachten Kopfbewegung bedeutete er mir, mitzukommen. Ohne nachzudenken tat ich das. Immerhin war es hier Sherlock, von dem wir sprachen, und wenn er einen Plan hatte - und davon war auszugehen -, dann würde er sich wohl etwas dabei gedacht haben.
Ich sah dabei zu, wie er langsam die Klinke der Türe runter drückte, sie noch langsamer öffnete und dann hinein schlich. Ich warf noch einen Blick zu John und Greg, die uns beide entgeistert nachsahen, dann schlüpfte ich hinter Sherlock durch die Türe in eine Art Vorraum, vor dem eigentlichen Lehrerzimmer. Dort war nicht viel Platz; nur eine Garderobe, für die Mäntel und Jacken der Lehrkräfte. Allerdings war dieser Raum wieder durch eine Doppeltüre vom Rest getrennt, und nur die eine Hälfte der Türe war geöffnet, was es Sherlock und mir ermöglichte, sich hinter der noch geschlossenen Hälfte zu verschanzen und vorsichtig um die Ecke zu spähen. Sherlock hob einen Finger, was ich als ein "Er ist allein.", oder "Nur einer ist da." interpretierte. Ich nickte. Dann senkte Sherlock die Hand wieder, richtete sich etwas auf, straffte die Schultern und betrat, ohne auf mich zu warten, oder mich in seinen Plan einzuweisen, das Lehrerzimmer. 

New Identity - Die 26. GondelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt