Erst denken, dann auf Anrufbeantworter sprechen

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Lieber Herr M,

Was ich Ihnen noch sagen wollte: „Erst denken, dann auf Anrufbeantworter sprechen!"

Um mein Anliegen an Sie wirklich verstehen zu können, müssen Sie ein bisschen was zum Hintergrund wissen. Tatsächlich waren Sie heute nämlich nur die Spitze des Eisberges, wenn auch eine absolut unnötige...

Ich hatte heute Dienst in unserer Ambulanz. Das heißt, ich war für alle kinder- und jugendpsychiatrischen Notfälle aus unserem gesamten Einzugsgebiet zuständig. Das ist nicht gerade klein, und das Notfallaufkommen entsprechend hoch. Und immer eine oder einer zieht eben das große Los und ist Notfallmanager des Tages.

Was ich heute zu tun hatte? Was eben so anfällt: Eine Jugendliche mit einem Prodrom, heißt, einer gerade beginnenden Schizophrenie und entsprechend irritierten und besorgten Eltern.

Ein Jugendlicher mit Suizidgedanken, welche sich als Zwangsgedanken herausgestellt haben - deutlich harmloser, aber für den Jugendlichen selbst subjektiv genauso bedrohlich.

Eine Verlegung aus einer anderen Klinik, weil sich die neurologische Patientin als psychiatrische Patientin entpuppt hatte. Ich liebe es, wenn die Patienten mit Rettungsdienst zu uns gebracht werden. Nicht.

Mehrere Telefonate mit besorgten Eltern, die ihre Kinder wegen akuten Panikattacken, chronischer Depression oder auch „Null Bock auf Schule" bei uns anmelden wollten und denen ich erklären musste, dass wir mittlerweile auch für ambulante Behandlungen eine Warteliste führen und ich Ihnen nicht sagen kann, wann ein Platz frei wird. Und ja, Ihr Kind leidet. Und nein, ich kann das Prozedere trotzdem nicht beschleunigen.

Habe ich den damit zusammenhängenden Papierkrieg schon erwähnt?

Und weil das alles nicht genug ist, durfte ich noch im Sekretariat einspringen. Und wenn Sie sich jetzt fragen, warum zum Teufel das so ist: Weil unser Sekretariat momentan so dermaßen unterbesetzt ist, dass der Notfallmanager aushelfen muss. Unser Sekretariat gilt quasi als Notfall.

Nur so zur Veranschaulichung können Sie sich mal kurz überlegen, wie viele Arzthelfer*innen in einer handelsüblichen Praxis egal welcher Fachrichtung normalerweise auf eine Ärztin kommen. Zum Vergleich: Wir sind etwa 20 Kolleg*innen - und eine Sekretärin.

Und jetzt endlich kommen wir zu Ihnen. Sie werden sich schon wundern, Sie waren doch gar kein Notfall. Und wollten Ihr Kind auch gar nicht bei uns anmelden.

Nein. Sie haben auf unseren Anrufbeantworter gesprochen, mit folgender Nachricht: „Hallo, hier spricht Herr MüllerMaierSchmidt (Natürlich heißen Sie nicht wirklich so...). Ich hätte gerne einen Rückruf." Klick. Aufgelegt.

Bei dieser Nachricht stellen sich mir folgende Fragen:

1. Um was geht es denn? Ein Rezept, einen Termin, einen Notfall?? Brauchen Sie den Rückruf dringend noch heute, oder reicht auch nächste Woche?

2. Um welches Kind geht es denn? Haben Sie eine Ahnung, wie viele Patient*innen MüllerMaierSchmidt wir haben? Wir versorgen mehr als 1000 Kinder und Jugendliche, jedes Quartal. Sie haben einen sehr weit verbreiteten Namen. Und hat das Kind überhaupt denselben Nachnamen wie Sie?

3. Sind Sie überhaupt der Vater, oder vielleicht doch ein Lehrer, ein Familienhelfer oder irgendwer ganz anderes?

4. Wer genau soll Sie denn zurückrufen? Hier arbeiten zwanzig Leute. Bei wem sind Sie denn in Behandlung? Das könnte ich durchaus rausfinden, WENN ICH DEN NAMEN DES PATIENTEN WÜSSTE!!

5. Wie lautet denn Ihre Telefonnummer?? In unserer Datenbank kann ich OHNE DEN NAMEN nämlich nicht suchen. Klar kann ich das den Anrufbeantworter vorlesen lassen (Anzeigen geht nämlich aus irgendeinem Grund nicht. Wunder der Technik), aber es wäre so viel einfacher gewesen, wenn Sie die Nummer einfach dazugesagt hätten.

Was es letztendlich war? Sie haben mit Ihrem Sohn einen Termin. Sie wissen nicht wann, und Sie wissen nicht bei wem. Bei wem Sie bisher Termine hatten, haben Sie auch vergessen. Sie sind ja auch erst seit anderthalb Jahren bei der Kollegin in Behandlung, und Namen sind bekanntlich Schall und Rauch.

Ein Hoch auf unsere IT-Abteilung, die es vor ein paar Wochen endlich geschafft hat, die Funktion Terminsuche in unserem Verwaltungsprogramm zum Laufen zu bringen. Früher hätte ich manuell zwanzig Kalender über mehrere Wochen hinweg nach einem Namen durchsuchen müssen. Jetzt geht es mit wenigen Klicks. Immerhin etwas, das heute funktioniert hat.

Und Sie wissen vielleicht beim nächsten Mal, was Sie idealerweise auf unseren AB aufsprechen. So ganz konnte ich mir nämlich in unserem Telefonat einen kleinen Hinweis nicht verkneifen...

Was ich dir noch sagen wollte...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt