Wie kriegst du deine Arbeit überhaupt gebacken?

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Liebe B,

Was ich dich noch fragen wollte: "Wie kriegst du deine Arbeit überhaupt gebacken?"

Irgendwie sind wir Kolleginnen, irgendwie auch nicht. Wir arbeiten im selben Gebäude, nur in anderen Abteilungen. Du bist in die Ambulanz gekommen, als ich schon in die Tagesklinik gewechselt war. Wir haben also nie direkt zusammengearbeitet - Gott sei Dank, kann ich da nur sagen!

Ich habe schon lange den Eindruck, dass unsere Persönlichkeiten doch sehr verschieden sind. Um es mal vorsichtig auszudrücken. Unser Humor zumindest ist nicht kompatibel. Was wahrscheinlich daran liegt, dass du keinen hast. Zumindest habe ich dich noch nie einen Witz machen gehört.

Ich bin ein sehr ironischer Mensch. Du verstehst keine Ironie. Das ist einfach unglaublich anstrengend. Ich vermeide tatsächlich längere oder private Gespräche mit dir, weil ich dir ständig erklären muss, dass meine offensichtlich ironische Bemerkung natürlich nicht ernst gemeint war. Und ich eine Übertreibung als stilistisches Mittel genutzt habe, als ich gesagt habe, dass ein Jugendlicher 48 Stunden pro Tag am PC hockt. Du warst so schockiert...

Wie kann man diese Aussage nur wortwörtlich nehmen?? Hast du auch nur eine einzige Millisekunde darüber nachgedacht? Wir sind doch nicht bei Harry Potter und haben dieses Zeitumkehrer-Sanduhren-Dingsda (auch wenn das sicherlich sehr praktisch wäre und bei deiner Arbeitsorganisation eigentlich unabdingbar - aber dazu später mehr).

Da du aber Harry Potter sowieso nicht gelesen hast, geht auch diese Anspielung geradewegs an dir vorbei. Wie kann man Harry Potter nicht gelesen haben? Es ist einfach zum Heulen.

Ich liebe deinen Kleidungsstil (Achtung: Ironie!). Du siehst aus wie das Klischee einer ledigen Pfarrerstochter Mitte 50 (nichts gegen ledige Pfarrerstöchter), mit deinen ständigen Rollkragenpullovern, den farblich darauf abgestimmten Röcken (natürlich immer mindestens knielang, aber auch nicht länger) und dem Dutt, der aussieht als wäre er festbetoniert. Den potthässlichen, aber sicher sehr praktischen beigen Halbschuhen. Ich würde ja gerne mal wissen, ob du privat auch so rumläufst und ob du sowas wie eine Jeans überhaupt besitzt. Oder ein Shirt. Oder eine Jogginghose. Dafür müsste ich dich allerdings privat treffen, und sooo neugierig bin ich auch wieder nicht.

Du verstehst meine Witze nicht. Dabei sind meine Witze einfach brillant (Naa, Übertreibung verstanden?). Sie verlieren natürlich ein bisschen, wenn ich sie dir erst erklären muss. Und das peinlich berührte Schweigen der anderen, die über den Witz gelacht haben, bevor du mit deiner blöden Nachfrage gekommen bist... Warum verstehst du das nicht?? Kinder jünger 10 verstehen keine Ironie. Du hast die 10 Jahre schon schätzungsweise 40 Jahren überschritten. Herrgott, sogar meine autistische Lieblingspatientin versteht meine Witze! Wahrscheinlich ist sie deshalb meine Lieblingspatientin.

Deine Körperhaltung, deine Stimme, deine ganze Person löst bei mir abwechselnd leichte Fluchtreaktionen bis ausgeprägte verbale Aggressionen hervor. Eine gemeinsame Patientin hat es mal zusammengefasst und mir damit aus der Seele gesprochen (was ich ihr nur leider nicht sagen konnte): "Die Frau S hat einen ganz schön großen Stock im Arsch."

Soviel also zu unserer Vorgeschichte und meiner (natürlich absolut berechtigten) Antipathie. Man könnte durchaus sagen, ich bin dir gegenüber ein bisschen voreingenommen. Wobei ich das, professionell wie ich nun mal bin *hust hust*, normalerweile gut im Griff habe und man es mir zumindest nicht direkt anmerkt.

Heute hatte ich also mal wieder mit dir, meiner absoluten Lieblingskollegin, zu tun. - Hast du die Ironie verstanden? Wollte nur sichergehen. Nicht, dass du mir am Ende noch für das nette Kompliment dankst.

Wir haben ein neues PC-Programm. Nicht das erste, sicherlich auch nicht das letzte Mal. Ich bin Key Userin, wie unser Konzern das so liebevoll nennt, und habe damit die ehrenvolle Aufgabe, alle Kolleg*innen vor Ort zu schulen. Dafür durfte ich selbst anderthalb Tage in einer Onlineschulung sitzen, mir 160 Seiten Bedienungsanleitung (kein Scheiß) zu dem Programm durchlesen und habe mittlerweile eine beinahe freundschaftliche Beziehung zum Zuständigen aus der IT entwickelt - weil ich ihn so oft angerufen habe, um offene Fragen zu klären.

Zwei Schulungen habe ich jetzt schon gehalten. Du konntest bei beiden nicht, das heißt, ich halte sie noch ein drittes Mal. Das allein nervt mich schon, weil auch meine Zeit nicht auf Bäumen wächst.

Deshalb habe ich dir auf deine Mail, ob ich dir eine Nachschulung anbieten kann, auch geantwortet, natürlich, du mögest aber doch bitte im Team nachfragen, ob noch jemand anderes auch eine Nachschulung braucht. Mit dem expliziten Hintergedanken, dass ich dann nur eine dritte und nicht auch noch eine vierte oder fünfte Schulung anbieten muss. Ich hatte dich ausdrücklich gebeten, dich mit dem restlichen Team abzusprechen und mir dann einen Wochentag vorzuschlagen, an dem alle Zeit haben. Weil ich als Vollzeitkraft nun mal sehr flexibel sein kann, andere als Teilzeitkräfte aber nicht und schon gar nicht mehrere Teilzeitkräfte gleichzeitig (und bei euch arbeitet ja quasi jede*r in Teilzeit). Habe ich dir genau so in meiner Antwort geschrieben (nicht wortwörtlich, aber sinngemäß).

Jetzt kam heute von dir diese vollkommen brillante Antwort:

Hallo, wir sind zu viert aus der Ambulanz. Allerdings überschneiden sich unsere Arbeitszeiten nur unvollkommen. Mach uns doch bitte einen Terminvorschlag. Gruß, B

Ehrlich? Soll ich jetzt ernsthaft einen Terminvorschlag zurückschicken? Kann ich natürlich machen. Ich weiß zwar nicht, um welche vier Kolleg*innen es geht, heißt ich weiß auch nicht wann eure Arbeitszeiten sind, geschweige denn wann sie sich irgendwann mal in Teilen überlappen. Was ich selbst dann nicht auf dem Schirm hätte, wenn ich die betroffenen Personen wüsste, zumindest nicht ohne die entsprechenden Kalender zu öffnen und zu recherchieren - ich arbeite wie schon gesagt nicht in eurer Abteilung. Ich habe keine Ahnung, wer von euch wann arbeitet. Wir treffen uns nur manchmal zufällig im Treppenhaus.

Aber okay, spielen wir das mal gedanklich durch.

Ich: Donnerstag 9 Uhr kann ich anbieten.

Du: Da kann A nicht.

Ich: Freitag 11 Uhr?

Du: Da kann B nicht.

Ich: Montag 13 Uhr?

Du: Da können C und D nicht.

Du verstehst, was ich ausdrücken möchte? Wie kann man so unökonomisch sein?? Machst du so auch Patiententermine aus? Ich sehe es bildlich vor mir... "Soo, Frau MüllerMaierSchmidt, wann würden Sie denn gerne das nächste Mal zu mir kommen?" - "Kommenden Montag, 10 Uhr?" - "Nein, da habe ich leider keine Zeit." - "Dann 11 Uhr?" - "Nein, das geht leider auch nicht." ... Man führe dieses Gespräch in einer Endlosschleife fort... Und wenn die arme Frau endlich einen freien Terminslot richtig geraten hat, ertönt ein lautes Klingeln und über den Köpfen erscheint ein blinkendes Neonschild mit dem Begriff "Jackpot"!!

Und noch was: IHR wollt was von MIR. Für mich und meine Arbeit macht es überhaupt keinen Unterschied, ob ihr geschult seid oder nicht. ICH kann das Programm bedienen. Ich werde für diese Schulungen nicht freigestellt, ich kriege auch nicht mehr Gehalt für mehr Verantwortung, meine normale Arbeit muss ich trotzdem erledigen. Nur eben in weniger Zeit. Das funktioniert, weil ich meine Arbeitsabläufe halbwegs effizient gestaltet habe. Vielleicht solltest du dir da eine Scheibe von abschneiden.

Ich erwarte weder ewige Dankbarkeit noch Blumen, aber macht mir doch bitte nicht noch mehr Arbeit und koordiniert eure Termine selbst.

Was ich dir noch sagen wollte...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt