Sie ziehen sich da ein kleines Monster heran

13 3 2
                                    

Lieber Herr und Frau G,

Was ich Ihnen noch sagen wollte: "Sie ziehen sich da ein kleines Monster heran."

Wir haben schon häufig darüber gesprochen, dass Ihr Sohn Grenzen braucht. Dass er Regeln braucht. Und dass Sie diese Grenzen setzen müssen, die Regeln aufstellen und dann auch durchsetzen.

Wir haben schon Stunden mit Tipps und Tricks verbracht, wie man das am besten macht, wie Sie sich untereinander absprechen können, wie Sie sich gegenseitig unterstützen können. Welche Regeln für Kinder gesund und wichtig sind und welche Konsequenzen sich für die Einhaltung und eben Nichteinhaltung welcher Regeln anbieten.

Wir haben auch schon Stunden darüber gesprochen, wie Sie Ihren Sohn am besten im Umgang mit seinen Ängsten und seinem mangelnden Selbstwertgefühl unterstützen können und wie Sie mit seiner fehlenden Frustrationstoleranz umgehen können und mit seiner mangelnden Fähigkeit zum Belohnungsaufschub.

Und ich habe wirklich mein Bestes gegeben, um Ihnen die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Themen näherzubringen. Dass seine emotionalen Schwierigkeiten durchaus auch daraus entspringen, dass er mit seinen neun Jahren schlicht überfordert damit ist, jeden Tag zu entscheiden, was er denn heute essen möchte. Oder ob er heute Lust auf Zimmer aufräumen hat (Hat er nie) oder ob er heute seine Aufgaben erledigen möchte (Natürlich nicht).

Dass er vielleicht will, dass Sie ihm alles erlauben, aber was er wirklich braucht, auch mal ein klares "Nein" ist. Nein, wir gehen heute nicht zu McDonald's zum Abendessen. Nein, du bekommst nicht die neue Spielekonsole. Nein, du darfst nicht noch fernsehen, sondern gehst jetzt ins Bett.

Um Ihnen mal vor Augen zu führen, was die Folge davon ist, dass Sie jedesmal einknicken, wenn er wütend oder traurig wird, wenn Sie kurzzeitig versuchen, ihm etwas zu verweigern.

Gestern hat mir Ihr Sohn erzählt, dass er am Tag vorher ganz dolle weinen musste. Er wollte nämlich Roblox-Karten von Ihnen. Und konnte überhaupt nicht nachvollziehen, dass Sie sie ihm nicht gekauft haben. Sind doch nur 200€, und er möchte sich doch irgendsoeinen ganz bestimmten Charakter kaufen. Er war ehrlich empört.

Für ungefähr fünf Sekunden war ich stolz auf Sie und habe innerlich applaudiert, weil Sie wohl tatsächlich "Nein" gesagt hatten ... Dann hat ihr Sohn weitergesprochen.

Zitat: "Ich will heute schon früher nach Hause. Dann bettel ich meine Eltern so lange an, bis sie mir die Karten kaufen. Ich hab die nämlich voll im Griff. Wie diese Puppen, die mit den Stöcken, wie heißt das nochmal? Jedenfalls hab ich sie voll im Griff, und meine Brüder auch. Die machen immer was ich will. Ich bin nämlich verwöhnt."

Mir stand der Mund offen, wortwörtlich. Gott sei Dank konnte man das Dank Maske nicht sehen. Ob er Marionetten meint? Ja, das war genau das Wort, das ihm gefehlt hat. Ob das nicht auch manchmal anstrengend ist, gleich fünf Marionetten steuern zu müssen? Ja, manchmal schon. Aber er kriegt ja Roblox-Karten im Wert von 200€ als Belohnung.

Und wissen Sie, was das schlimmste ist? Er sollte Recht behalten. Gestern Abend hat er zehn Minuten dafür gebraucht, 200€ für ein Handy-Spiel auszugeben. Zehn Minuten war er glücklich. Danach war er wieder der kleine, überforderte, unglückliche und zutiefst ängstliche Zwerg, der wirklich alles dafür tut, um von seinen Eltern auch nur ein einziges Mal ein "Nein" zu bekommen. Und immer wieder kläglich an Ihnen scheitert.

Verdammt nochmal!

Was ich dir noch sagen wollte...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt