Sie werden sich wohl entscheiden müssen

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Liebe Frau K,

Was ich Ihnen noch sagen wollte: „Sie werden sich wohl entscheiden müssen."

Tja, was soll ich sagen. Elterngespräche mit Ihnen sind zumindest nicht langweilig. Zum Einen, weil man nie so ganz genau weiß, wer heute vor einem sitzt. Sie als Mutter, ihr Ex als Vater, mit oder ohne die neuen Partner?

Neulich war ich schon ganz gestresst, weil ich mit vier Personen gerechnet hatte und so ein Gespräch einfach anstrengend ist. Normalerweise machen wir das Gespräch deshalb auch zu zweit, aber die Kollegin war krank. — Sie kamen allein.

Heute haben wir nur mit den leiblichen Eltern gerechnet, waren aber zu fünft. Wie gesagt, ein Überraschungsei.

Das ist aber eigentlich gar nicht so richtig das Problem.

Das Problem ist Ihr Paarkonflikt, den Sie und ihr Ex seit Ihrer Trennung vor sechs Jahren immer noch mit Hingabe pflegen. Wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich gar nicht, woran genau sich das alles so entzündet hat. Mittlerweile ist es sowieso ein Selbstläufer.

Zum Zeitpunkt der Trennung war ihre Tochter vier Jahre, jetzt wird sie elf. Sie kann sich nicht einmal mehr daran erinnern, dass ihre Eltern sich irgendwann gut verstanden haben. Gut genug jedenfalls, um zwei Kinder miteinander zu zeugen. Absichtlich und geplant. Also irgendwann einmal haben Sie sich gemocht.

Das ist schon lange vorbei. Jetzt machen Sie sich gegenseitig Vorhaltungen, wer wann was falsch gemacht hat. Wer unzuverlässig war, wer die Kinder zum Weinen gebracht hat, wer der bessere Elternteil ist. Wer keine Regeln und Grenzen aufstellt, wer die Kinder überfordert, kurz: Wer schuld ist.

Ich möchte ehrlich nicht entscheiden müssen, wer diesen Wettbewerb gewinnen würde.

Was ich Ihnen sagen kann, ist folgendes: Die Situation schadet Ihren Kindern. Punkt. Da gibt es nichts zu diskutieren, nichts zu beschönigen, nichts wegzuleugnen.

Dass Sie es nicht schaffen, sich zu begrüßen, wenn Sie die Kinder am Wochenende übergeben. Dass Sie Konflikte immer noch vor den Kindern austragen. Dass Sie den Kindern suggerieren, sie müssten sich entscheiden — obwohl Sie das so nie sagen würden, und das glaube ich Ihnen tatsächlich.

Jetzt sind Sie gemeinsam an einem Punkt angekommen, an dem eine stationäre Behandlung ihrer Tochter notwendig wurde, weil sie, gelinde gesagt, leidet. Sie ist die Symptomträgerin in Ihrem kranken System. Heißt: Wenn sie gesund oder zumindest gesünder werden soll, muss sich das System ändern. Die Familie. Es gibt einfach keine Alternative.

Wissen Sie, Ihr Ex macht sicherlich nicht alles richtig. Und er hat Eigenschaften, die würden mich an Ihrer Stelle auch auf die Palme bringen. Stellt er sich manchmal in den Gesprächen tollpatschig an, einfach ungeschickt? Absolut.

Allerdings hat er sich auch an die Absprachen aus dem letzten Elterngespräch gehalten. Er hat die Kinder pünktlich zurückgebracht, er hat Regeln zum Medienkonsum eingeführt. Wie Sie es sich gewünscht haben.

Sie haben nichts verändert. Sie machen ihm nach wie vor zum Vorwurf, was er „damals" gemacht hat, wie er sich „früher" verhalten hat. Sie haben die Kinder nicht an der Tür entgegen genommen und zwei Minuten Smalltalk mit ihm gemacht, wie eigentlich besprochen. Sie haben nicht einmal gemerkt, dass er pünktlich war, weil Sie angeblich nicht auf die Uhr geschaut haben.

Ganz ehrlich, an Ihrer Stelle hätte ich an der Tür gelauert. Mit Stoppuhr in der Hand. Aber gut.

Fakt ist, Sie WOLLEN mit Ihrem Ex nicht klar kommen. Sie werden Ihre Gründe dafür haben, sechs Jahre Krieg lassen tiefe Wunden zurück. Und Sie halten diese Wunden aktiv offen, lassen sich keinen Schorf bilden. Und Sie wollen ihn genauso leiden sehen.

Das wäre mir vollkommen egal, wäre da nicht Ihre Tochter.

Sie werden sich also entscheiden müssen, was Ihnen wichtiger ist: Die Rache an Ihrem Ex oder das Wohl Ihrer Tochter. Beides gleichzeitig können Sie nämlich nicht haben.

Was ich dir noch sagen wollte...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt