Kapitel 16

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Meine Muskeln brannten, wie Feuer unter meiner Haut. Mein kompletter Körper tat weh und ich selbst war völlig erschöpft. Das Training war vorbei, aber jeder Schritt fühlte sich an als wäre es noch immer nicht beendet.

Es musste ungefähr halb vier Nachmittags sein. Den Rest des Tages hatte ich frei. Zum Glück denn ich konnte mich kaum noch bewegen ohne nicht genau jeden meiner Muskeln spüren zu können.

Und wenn ich auch nur daran dachte, dass das ganze morgen von vorne losgehen würde wurde mir schwindlig. Auf der Stelle hätte ich umkippen können. Und - ich hätte mein Abendessen drauf verwettet - ich würde durchschlafen bis zwei Tage vorbei wären.

Meine Beine trugen mich auf wacklige Weise - und sicherheitshalber nahe an der Wand - zum Schlafsaal. Er war leer. Der Rest ist irgendwo im Feroxhauptquatier verteilt und beschäftigt sich anderweitig. Ich schnappte mir ein Handtuch und ging unter die Dusche. Das Wasser war nahezu kalt, was ich allerdings nicht anders kannte. Die Altruan verschwenden kein warmes Wasser und duscht meistens kalt.

Anschließend zog ich mir neue Sachen an und setzte mich auf meine Bettkante.

Das Training war hart gewesen. Fabian hatte uns weiterhin trainiert. Uns einzelne Angriffs- und Verteidigunsschritte gezeigt. Ich vermutete, dass ich später den einen oder anderen blauen Fleck bekommen würde, was ich allerdings schon gewohnt war. Anschließend hatte uns jemand beim Ausdauertraining durch die Stadt gejagt. Wir mussten joggen bzw. rennen und hatten keine Pause und kein Wasser dabei. Ich spürte noch immer das trockene Brennen meiner Kehle.

Am schlimmsten jedoch war das Gegeneinander antreten. Nie hätte ich gedacht, dass wir jetzt schon mit sowas anfangen würden. Aber wie Amar uns erklärt hatte, war das Leben bei den Ferox kein Kinderspiel. Es würde vom Anfang bis zum Ende schwer sein. Er hatte uns eine Tafel gezeigt auf der wir sehen konnten, wo in der Rangliste wir standen. Es waren auch die gebürtigen Ferox mit aufgeführt - sie standen über uns-. Nach der Liste würde sich entscheiden welchen Job ich später machte. Außer dieser Tafel deutete er auch auf eine weitere Tafel.Sie zeigte wer gegen wen antreten musste. Mir blieb die Spucke weg als ich las, dass ich gegen ein Mädchen kämpfen musste.

Es war Lucy. Sie stellte sich mir gegenüber auf der großen blauen Matte und sah mich kalt an mit ihren braunen Augen. Ich überlegte was ich jetzt tun sollte, aber es wurde mir erspart, als sie schnell vorschoss und mich mit ihrem Fuß im Bauch traf. Schmerz durchzerrte mein Leib und ich schnappte nach Luft. Sie nutzte diesen Moment um mich zu schlagen. Und in dem Moment war sie wieder da. Diese blinde Taubheit die ich nur kannte, aus den Momenten, in denen mein Vater zum Teufel wurde. Nur dass ich dieses mal nicht dasaß und nichts tat. Ich erinnerte mich an die Schläge und Tritte, die mir Fabian gezeigt hatte, und trat wie von selbst in Aktion. ich griff blitzschnell nach ihren Arm verdrehte ihn, sodass sie aufschrie und schlug ihr mit einem geübten Tritt die Beine weg. Als sie sich wieder aufrichten wollte drückte ich sie auf den Boden. Amar beendete den Kampf und ein Getuschel breitete sich unter allen aus. Erst da wurde mir bewusst, dass ich mich das erste Mal in meinem Leben wirklich gegen jemanden gewehrt hatte. Und das auch noch erfolgreich.

Ein schlechtes Gewissen schlich sich allerdings doch herbei. Lucy stand wieder auf, aber sie rieb sich mit verzogenem Gesicht über den Arm. Irgendwie fühlte ich mich schlecht. Ob ich sie ernsthaft verletzt hatte? Aber ich hatte nicht wirklich Zeit mir darüber Gedanken zu machen, denn Amar zeigte uns wie wir es hätten besser machen können. Nachdem wir weiteren Kämpfen zugesehen hatten wurde das Training beendet.

Ich blieb noch sitzen und ließ meine Muskeln entspannen. Irgendwann wurde die Tür aufgestoßen und Eric und Jim kamen herein. Eric lächelte mich kalt an und fixierte mich mit seinen eisigen Augen. "Na Stiff. Hast ja gut gekämpft heute", spottete er. Ich antwortete nicht. "Kann ja jeder jemanden wie Lucy fertig machen.", meinte er dann noch leichthin. Ich biss mir auf die Zunge und ballte meine Hände zu Fäusten. Eric selbst hatte gegen Jules gekämpft. Einem kleinen, dickeren Jungen. Eric hatte gewonnen.

Jim lachte arrogant und ich stand auf und ging aus dem Zimmer. In der Tür blieb ich stehen und sagte ohne mich umzudrehen: "Und ich heiße Four. Nicht Stiff."

Ich bin kein Altruan. Ich bin ein Ferox. Ich bin nicht Tobias. Ich bin Four.

——-

"Four!", Zeke rief mich zu sich. Er stand bei mehreren anderen Feroxinitianten in der Grube und hatte eine silberne Flasche in der Hand. Als ich zu ihm kam sah ich auch Shauna, die mit dem Arm um einen etwas älter aussehenden Ferox gelegt hatte. Ich schätzte ihn vielleicht drei Jahre älter als mich und die Art und Weise, wie er Shauna gerade musterte war mehr als... verlangend. So gut wie jeder hielt eine solche Art Flasche in der Hand, wie Zeke.

"Was ist das?", fragte ich ihn. Er reichte mir seine und bedeutete mir zu kosten. Ich setzte an und trank einen Schluck. Das Zeug brannte noch schlimmer in meinem Rachen als vorhin nach dem Ausdauertraining. Ich spürte, wie es sich in meinem Magen ausbreitete und verzog das Gesicht. "Was ist das für ein Zeug?"

Zeke zuckte mit den Schulter: " Ich weiß es nicht, aber man gewöhnt sich an den Geschmack." Er lächelte seltsam. Und da wusste ich, dass egal was genau das für ein Zeug war, es Alkohol enthalten musste. Meine Mutter hatte mir früher Geschichten erzählt, von abhängigen Leuten. Das es die Sinne benebelt und mehr. Stehts hatte sie gesagt: "Denk immer daran, mein Kleiner, je mehr man davon trinkt desto weniger bekommst du mit. Das ist gefährlich." Ich sah sie vor mir sitzen. Mich als kleinen Jungen einfach nicken, ohne zu wissen wovon genau sie da eigentlich redete. Jetzt reichte ich Zeke seine Flasche wieder und schaute mich um. Es waren keine Fraktionswechsler hier. Wenn überhaupt nur Ferox die schon länger hier waren oder die gebürtigen. "Wo ist Freddy?", fragte ich Shauna. Sie deutete in eine Richtung und da sah ich Freddy mit einem blonden Mädchen stehen. Sie war kleiner als er und stand vor ihm. Sie lachten. Ich sah ihn etwas sagen und dann sah sie verlegen zu Boden.

Da wollte ich nicht stören. Stattdessen drehte ich mich zu Zeke um... Aber er war weg. Irritiert schaute ich mich um und entdeckte ihn bei einem anderen Ferox. Sie standen vor einer Anlage und machten sich an den Kabeln zu schaffen.

"Du bist also Four", hörte ich eine Stimme neben mir. Ein groß gewachsener Junge - wenn man ihn noch so nennen kann- mit dunklen schwarzen Haaren und grauen Augen stand neben mir. Ich musste nach oben schauen um ihn sehen zu können. "Ich bin Martin." Er hält mir eine Hand hin, die ich entgegennahm. Sein Händedruck war stark und ich erkannte keine silberne Flasche. Nüchtern. Innerlich seufzte ich auf, ließ mir aber nach außen hin nichts anmerken.

"Meinen Namen kennst du ja anscheinend schon", ich musterte ihn. Sein Kreuz war breit, seine Arme mit Muskeln bepackt. Keine Piercings. Keine Tatoos. Er nickt. "Du bist bekannter, als du wahrscheinlich denkst", er grinste, "Sowas wie Rekorde machen hier schnell ihre Runden" Er warf einen Blick über die Schulter. Ich folgte seinem Blick und fragte mich warum er Freddy und das Mädchen ansah.

"Du trinkst nichts", stellte er fest ohne mich anzusehen, "Kannst du nicht oder willst du nicht?" Ich räusperte mich: "Ich weiß nicht genau." Wieder betrachtete ich etwas misstrauisch sein Gesicht. "Du trinkst doch auch nichts."

Er lachte und meinte: " Ich bin auch nur hier um aufzupassen. Fina "- er deutete auf das Mädchen - " ist meine kleine Schwester. Ich mag es nicht, wenn sie trinkt." Er verzieht das Gesicht ein bisschen. Ich schaute wieder auf das Mädchen. Sie sahen sich nicht ähnlich. Überhaupt nicht.

"Aber weißt du was? Wenn sie nicht hier wäre, dann wäre meine Flasche schon leer." Er grinst und als ich sah, dass er mir eine entgegenhielt zögerte ich kurz. War es richtig? Ich dachte an meine Mutter. Was sie mir eingeprägt hatte. Die Folgen.

Dann fasste ich die Flasche und nahm einen großen Schluck. Der Alkohol brannte mir im Mund, aber ich verzog keine Miene. Ich war ein Ferox. Kein Feigling.

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