Kapitel 12

442 21 0
                                    

Als ich langsam wieder zu mir kam, spürte ich, dass ich an der frischen Luft sein musste. Wind wehte mir entgegen. Brachte eine angenehme Kälte mit sich. Ich atmete sie tief ein und genoß dem Moment. Dann beschloss ich die Augen zu öffnen. Ich betreute es sofort.

Meine Hände krallten sich an dem dunklen Holzbalken fest. Nicht runtersehen, ermahnte ich mich. Immer wieder. Unter mir - vielleicht 200 Meter unter mir- befand sich der Boden. Oder war es noch tiefer? Mein Blick verschwamm. Ich jappste nach Luft. Wenn du jetzt fällst....

Erschrocken schloss ich die Augen. Mein Atem ging schnell, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass ich wirklich Luft bekam. Meine Lungen liefen Hochtouren. Ruhe bewahren. Schön die Ruhe bewahren.

Ich wusste, dass das nicht echt war. Ich erinnerte mich noch genau daran was Amar gesagt hatte. Sollte ich mich meiner Angst stellen oder mich beruhigen? Beides schien mir in diesem Moment unmöglich. Ich wollte einfach nur wieder aufwachen... Aber das wäre feige. Und ich hatte es satt mich schwach zu fühlen!

Das alles war nicht echt! Ich öffnete meine Augen wieder und schaute mich um - ohne runterzugucken. Wo führte der Balken hin? Es sah aus, als wäre er endlos lang. Als ich nach hinten schaute erkannte ich nichts anderes. Irgendwo beim Horizont verschwand das Ende des Balkens.
Dann bleibt mir nur eins übrig, überlegte ich. Allein der Gedanke jagte mir unendliche Angst ein! Ich stellte mich auf dem glatten Holz langsam hin und dann nahm ich all meinen Mut zusammen. Mir blieb nichts anderes übrig. Es gab keine andere Möglichkeit. Es musste einfach sein. Stell dich deinen Ängsten, sagte ich mir.

Schloss die Augen. Und während ich mein Gewicht nach vorne verlagerte und die Schwerkraft mich wieder nach unten zog, rief ich mir ins Gedächtnis, dass das alles nicht echt war. 

Als ich die Augen wieder öffnete befand ich mich in einem dunklen Raum. Ich machte einen Schritt zur Seite und tastete vorsichtig mit den Händen nach irgendetwas Licht spendenden. Allerdings fand ich nichts.

Mehrere weitere Schritte und ich prallte gegen eine Wand. Es war so dunkel das ich nichts gesehen hatte. Ich war voll gegen gelaufen. Ich trat zurück und wieder rempelte ich gegen etwas Hartes. Wo kam diese Wand denn jetzt her? Von vorne und von hinten spürte ich wie sich die Wände nährten. Ich wollte zur Seite ausweichen. Doch auch da rempelte ich gegen die Wände. Ich begann zu schwitzen. Bekam keine Luft mehr. Ich stemmte mich gegen die Wände aber es half nichts. Sie drückten mich immer weiter. Von allen Seiten.
Beruhige dich. Ich versuchte ruhig zu atmen. Langsam. Meinen Herzschlag zu verlangsamen. Es gelang mir nicht. Die Panik übernahm die Oberhand. Ich schlug gegen die Mauern. Versuchte sie von mir wegzudrücken, aber es half nicht. Ich wurde zwischen ihnen eingeklemmt. Als meine Arme vor der Brust eingequetscht hatte spürte ich den Druck noch stärker als ohnehin schon. Es zerquetschte mein Leib und trieb mir die Tränen in die Augen. Ich hatte lange nicht geweint. Wäre ich nicht in dieser Situation würde ich es vermutlich als befreiend empfinden. Oder? Tränen taten gut. Sie kühlten kleine Teile meines heißen Gesichts. Und ich konzentrierte mich darauf. Stellte mir vor, wie sie sich bildeten und sich einen weg über mein Gesicht suchten... und mit einmal war der Druck auf meine Brust weg.

Die Dunkelheit verschwand und ich stand in einem leeren Raum. Was soll das?, fragte ich mich. Wie aus dem nichts tauchte plötzlich Tisch auf. Darauf befand sich etwas schwarzes. Glänzendes. Eine Waffe.

Ich ging hin und nahm sie in meine Hand. sobald ich sie berührte war der Tisch weg. Die Waffe lag schwer in meiner Hand. Ich begutachtete sie ruhig als ich ein ersticktes Schreien hörte. Auf einem Stuhl direkt vor mir saß ein Mädchen. Gefesselt und mit einem Stück Stoff im Mund. Sie sah mich aus geweihteten Augen an. Ich starrte zurück. Und jetzt?

"Töte sie!", sagte eine Stimme, die mir unbekannt war. Ich blieb ruhig.

"Was hat sie getan?", fragte ich. Keine Antwort. Langsam wurde ich unruhig. Wieso sollte ich sie töten? Hatte sie mir was getan. Dem Mädchen liefen Tränen aus den Augen.

Ich wusste ich musste es tun. Aber selbst als ich den Lauf des tötlichen Metalls auf sie richtete konnte ich es nicht. Es war ihr Blick. Ich konnte nichts machen. Wie versteinert stand ich da, den Lauf auf sie gerichtet und unfähig den Abzug zu betätigen.

Ich verlor Zeit. Beruhigen ging nicht. Ich musste abdrücken. Es ging nichf anders. Langsam wendete ich den Blick ab und dann... ertönte wie von selbst ein Schuss, ein umkippender Stuhl war zu hören und Als ich hinsah war ich nicht länger in dem Raum.

Aber ich wäre lieber wieder in dem Raum. Schon allein der Anblick von dem Ort an dem ich mich jetzt befand, brachte meinen Blutdruck nach oben. Das Blut pulsierte in meinen Schläfen, verursachte Kopfschmerzen. Meine Hände schwitzten und ich konnte nur noch Keuchen. Er war da. Stand in meinem Zimmer. Mit mir in meinem Zimmer. In der Hand hielt er die Skulptur. Sein Blick ruhte auf mir. Ausdruckslos, aber das hatten nichts zu bedeuten.

Dann ging alles schnell. Er schmertterte das Glas auf den Boden, wo es in Millionen kleine Splitter zersprang. Ich schrie auf: " Nein!" Sein Blick loderte vor Wut!

"Du bringst Schande in mein Haus!", schrie er, hatte im nächsten Moment einen Gürtel in der Hand und schlug zu. Getroffen hatte er mein Gesicht. "Lass mich!", schrie ich ihn voller Verzweiflung an und taumelte von der Wucht des Leders auf meinem Gesicht zurück. Meine Hände pressten sich gegen die Wunde. Mein Herzschlag ging schnell. Er holte noch mal aus, aber ich wich aus. Stolperte und landete auf dem Boden.
Warum verfolgt er mich ?! Warum verschwindet er nicht einfach! Verzweifelte krauchte ich in die andere Richtung. Ich wurde wütend. Ich ließ mich nicht länger herumschupsen ! Nie wieder würde ich mir Dinge gefallen lassen, die ich nicht verdiente!

Ich biss die Zähne zusammen, stand auf griff nach dem nächstbesten Gegenstand und dann... landete er auf meinem Vater.

Es wurde wieder heller. Ich war nicht länger bei den Altruan. Mein Zimmer war weg. Ich stand in der Halle. Alle starrten mich an.

Free ~Divergent~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt