Kapitel 1

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Ich stand vor meinem Haus im Altruanviertel der Stadt. Der gleichmäßige grauton des Gebäudes wirkte ruhig und sehr vertraut. Immer wenn ich von der Schule nach Hause kam, sah ich mir das Haus, in dem ich mit meinem Vater zusammen lebte, an und immer wieder erschienen Bilder, die aus meinen Erinnerungen stammten, direkt vor mir.

Ich sah mich mit meiner längst verstorbenen Mutter vor der Haustür spielen. Damals war ich noch klein. Je älter ich wurde desto seltener kam es vor.

Die Altruan waren schon immer sehr still. Unser Spitzname bei den anderen Fraktionen ist "Stiff". Ich denke, dass er auch irgendwie passt. Wahrscheinlich wirkten wir wirklich sehr steif auf die anderen Fraktionen.

Außer uns gab es noch die Candor, die Ken, die Amite und die Ferox.

Die Ken, oder auch die Wissenden, waren die Klügsten von uns. Sie kleideten sich stehts in blauer Kleidung und ich fand sie schon immer etwas eingebildet. In der Schule rempelten mich viele von ihnen an. Mein Vater sagt immer, dass die Ken neidisch und machtgierig seien, das Wissen Macht bedeutete und die Ken, wie bei einer Sucht, nicht genug davon bekommen konnten.

Die Candor, dass sind die Aufrichtigen unter uns, erzählen immer die Wahrheit, auch wenn man sie nicht immer hören wollte. Sie plappern einfach darauf los. Sie tragen nur schwarz und weiß. Ich mochte die Candor noch nie. Sie sind vorlaut und mit ihrem vielen Gerede gingen sie mir oft genug auf die Nerven.

Die Amite lebten als einzige von uns außerhalb des Zauns. Sie sind die Friedvollen und stehts freundlich gegenüber anderen, um Streit zu verhindern. Sie kleideten sich in frohen gelb und roten Klamotten. Sie lachten viel, was auch irgendwie der Grund war, warum ich sie beneidete. So glücklich wie sie aussahen war ich nie. Zumindest nicht nach dem Tod meiner Mutter. Ich vermisste sie.

Immer wenn ich an sie dachte, hatte ich dieses Stechen in der Brust. Meine Mutter war ein so liebevoller Mensch gewesen. Sie war ganz anders, als mein Vater. Ich verstand nicht, warum meine Mutter sich einen solchen Mann gesucht hatte, aber um sie das zu fragen war es eh schon zu spät.

Und dann  gab es noch die Mutigen, die Ferox. Sie waren die jenigen, die ständig auf der Suche nach neuen Gefahren waren. Sie rannten viel, machten Krach und wirkten meist so, als hätten sie doppelt so viel Spaß als die Amite. Die Ferox waren immer in schwarze Sachen gehüllt und hatten die Aufgabe uns alle zu beschützen.

Und ich, ich gehörte zu den Altruan. Wir gehören, bis auf Jeanine Matthews , eine Ken, zur Regierung. Altruan sind selbstlos und lehnen Eitelkeit bis aufs letzte ab. Wir kleiden uns in unbetonter, grauer Kleidung und besitzen nichts außer dem Nötigsten.

Meine Lieblingsfraktion waren schon immer die Ferox. Sie waren so mutig, wie ich es nie sein werden. Und dafür bewunderte ich sie.

Ich schaute noch ein bisschen durch die Gegend und genoß die Erinnerungen, der schönen Moment meines Lebens. Dabei ignorierte ich den Schnerz in meiner Brust weitesgehend.

Dann ging ich rein und fing an zu kochen. Ich vergass die Zeit dabei vollkommen und viel in einen tiefen Trancezustand. Erst ein Schlüssel, der sich im Schloss drehte weckte mich wieder auf. Mir lief es eiskalt den Rücken runter. Ich passte nicht auf und schnitt mir in den Finger. Verdammt, dachte ich. Ich hielt den leicht blutenden Finger unter den Wasserhahn.

"Tobias?", hörte ich eine tiefe Stimme, die mich mal wieder zusammenzucken ließ. Und als ich gerade ansetzten wollte, ihr zu antworten, stand auch schon ein etwas älterer Mann vor mir. Sein Haaransatz war leicht grau und kurz. Sein Gesicht hatte viele Falten und seine Augen waren blau. Genau wie meine. Sein Kopf sah aus wie ein Oval und er hatte eine relativ große Nase, aber dafür einen sehr schmalen Mund.

Marcus Eaton. Mein Vater.

Bevor ich überhaupt etwas sagen konnte ließ er seine Aktentasche fallen und ich zog aus reflex den Kopf so gut ein wie nur möglich. Dann traf seine große Hand mein Gesicht und Schmerz durchzog mich. Ich schrie nicht. Ich blieb einfach still. Denn ich war es gewohnt.

"Merk dir eins mein Sohn: Das Leben wird dir immer wieder wehtun und das ist alles nur zu deinem Besten.", sagte er mit monotomer, fast gelangweilter Stimme. Ich nickte und schaute ihn nicht an. Immer wenn ich ihn sah, hasste ich mich selbst dafür, das ich ihm ähnlich sah. Ich hatte seine Augen und die Form seines Gesichts. Ich hasste mich so sehr dafür.

"Essen ist gleich fertig Vater...", murmelte ich leise. Marcus drehte sich um und setzte sich an den Tisch. "Wird aber auch Zeit.", grummelte er.

Wie immer verlief das Essen sehr still. Ich traute mich nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Es würde bestimmt eine Strafe geben. Vielleicht müsste ich dann wieder in den kleinen Kleiderschrank. Oder er ließ mich auf dem Dach übernachten. Wobei er mich auch einfach wieder schlagen könnte. Das wäre das  einfachste für ihn.

Nach dem Essen verzog sich mein Vater an seinen Schreibtisch. Immer wieder schielte ich misstrauisch rüber oder hörte, wie er fluchte. Icb wusch ab und dann ging ich nach oben, ins Bad, um mich Bettfertig zu machen. Danach ging ich runter und wartete am Esstisch auf meinen Vater.

Die Tage verliefen immer auf die selbe Art und Weise. Aufstehen, Frühstück, Schule, Essen machen, Bett. Immer wieder. In einem Jahr würde ich meinen Eignungstest durchführen. Und dann erst konnte ich eine Fraktion wählen. doch ich wusste jetzt schon eins: Hierbleiben würde ich nicht.

Ein Stuhl schob sich über den Boden, gefolgt von Schritten. Als Marcus in der Tür stand und mich stillschweigend ansah erhob ich mich vom Stuhl und kniete mich hin. Mir lief jetzt schon der Schweiß den Rücken runter. Ich betete, dass er nicht so doll wie letztes mal sein würde und zog mir das T-shirt aus.

Ein Klappern von einem Gürtel war zu hören. Dann ertönte seine Stimme. Ich hörte sie durch das Pochen meiner Ohren kaum, aber ich kannte den Satz mittlerweile gut genug. "Das ist nur zu deinem Besten, Tobias." Eine Sekunde später klaschte das Leder auf meinen nackten Rücken. Immer wieder. Und wieder und wieder. So oft wiederholte er den Satz. Und nach einer Weile war der Schmerz schon fast betäubend. Eine warme Flüssigkeit floss über meinen Rücken. Ich kannte den Geruch. Ich bebte am ganzen Körper.

Ich hörte auf zu beten. Mein Gebet wurde heute nicht erhört. Wie üblich. Wie immer. Das ist alles nur zu deinem Besten, schallte es durch mejnen Kopf.

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Bitte weist mich auf Rechtschreibfehler hin. Ich hoffe euch hat das erste Kapitel gefallen. Das zweite ist schon in arbeit. Feedback ist willkommen, egal ob negativ oder positiv :D LG

Free ~Divergent~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt