9. Tod auf der Donauinsel

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Die Tage wurden länger und die Sonne Tag für Tag etwas kräftiger. So schaffte sie es endlich, den Winter hinter sich zu lassen und dem Frühling Einlass zu gewähren. Und während die Vögel immer lauter zwitscherten, die ersten Blüten zu blühen begannen und alles ergrünte, da musste sich auch Tilda eingestehen, dass sie ihre eigenen Frühlingsgefühle nicht abstellen konnte. Auch schönreden half da nichts mehr: Sie mochte den Tod nicht als Freund haben, weil er das seltsamere Wesen von ihnen beiden war. Oder weil er sie verstehen konnte. Oder weil sie vor ihm keine Geheimnisse hüten musste. Nein. Sie mochte ihn, weil sie sich in ihn verliebt hatte. Sie mochte sein schelmisches Lächeln, seine raue Lache. Seine Witze brachten sie zum Lachen. Sein Lachen kribbelte in ihrem Magen, selbst, wenn sie sich diese nur einbildete. Auch die Stimme der Vernunft in ihrem Kopf half nicht mehr. Es war um sie geschehen. Punkt. Aus. Ende. Oder Anfang?

Wie sie so am Dienstagvormittag am Infoschalter der Bibliothek saß, blickte sie an sich hinunter. Sie hatte sich mit Bedacht gekleidet, an diesem Tag: Sie trug ein knielanges, dunkelgrünes Kleid, das ihre Augen noch grüner funkeln ließ. Sie hatte eine schwarze Strickjacke übergeworfen, die sie zuknöpfen konnte, wenn sie sich unter den verwunderten Blicken der Menschen um sie herum unwohl fühlte. Und sie trug frisch polierte Pumps, ganz so, wie er es herausgefordert hatte.

Als Ulrike sie an diesem Morgen so gesehen hatte, hatte sie beinahe Schnappatmung bekommen. Da sie allerdings beide spät dran waren, hatte sie ihr nur „Du, Ich, Mittagspause" zugerufen und war in die Bibliothek gestürmt. Kurz vor der Mittagspause hatte sie dann Rudolph, die studentische Hilfskraft der Bibliothek, an den Infoschalter gesetzt, damit auch Selma dem Gespräch beiwohnen konnte. Zusammen holten sie sich in der Kantine etwas zu Essen und setzten sich draußen in die Sonne.

„So, schieß los", sagte Ulrike und blickte sie erwartungsvoll an. „Keine Ausreden, wer ist es." Tilda war etwas überrumpelt und lächelte.

„Wie meinst du das."

„Na du hältst offensichtlich einen Liebhaber geheim vor uns. Wir haben es schon seit Wochen vermutet. Du benimmst dich anders, schaust häufig auf dein Handy, bist oft abwesend mit deinen Gedanken, hast neulich sogar die Psychologiebücher in die Wirtschaftsrechtssektion einsortiert!" Nun nickte auch Selma und Tilda wurde rot. „Und heute kommst du auch noch wie aus dem Ei gepellt zur Arbeit, trägst sogar hohe Schuhe. Ich glaube, ich habe dich noch nie in etwas anderem als schwarze Leggins und Sneakern gesehen. Und heute gleich die geballte Ladung. Streitest du nun ab, dass es da jemanden gibt?" Tilda zuckte mit den Schultern. Die Lage wurde langsam ausweglos.

„Möglicherweise?", antwortete sie, es hört sich aber eher wie eine Frage an.

„Aha", sagte Ulrike und warf Selma einen vielsagenden Blick zu.

„Wer ist es?", fragte Selma schließlich und Tilda wusste, dass ihre Freundinnen bereits über das Thema gesprochen hatten.

„Ist es Professor Hobbs? Oder Professor Maier, ich glaube er ist auch noch Single. Oder ist es der Hausmeister? Gott bewahre, vielleicht", sie redete sich förmlich in Rage, „ist es sogar Rudolph?" Tilda hatte keine Wahl. Sie musste mit etwas herausrücken, was nah an die Wahrheit herankam.

„Es ist niemand aus der Universität und auch niemand aus der Bibliothek." Die beiden Frauen schauten sie schon beinahe enttäuscht an. „Ich habe ihn auf einer Geburtstagsfeier kennengelernt. Er heißt Tristan."

„Tristan wie von Tristan und Isolde?", fragte Selma. Sie kannte Tildas große Leidenschaft für Wagner Opern. Was sie jedoch nicht wissen konnte war, dass sie ihm selbst diesen Namen gegeben hatte.

„Genau." Sie nickte. „Und heute treffe ich ihn seit längerem mal wieder, direkt nach der Arbeit. Deswegen das Outfit." Die beiden schwiegen einen Moment, mussten in ihren Köpfen erst ihre wilden Theorien begraben.

Tilda und der Tod | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt