1. Kapitel

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Ein Windzug, der durch die Wälder strich, gab Zweigpfote einen leisen Hinweis, wo die Wühlmaus sich versteckte. Er schlich sich an sie heran und bemühte sich, keinen Laut von ich zu geben oder sich ablenken zu lassen. Hinter sich spürte er den Atem seiner Mentorin, und er wusste, dass sie ihn ganz genau beobachtete. Und er wünschte sich auch zutiefst, sie nicht zu enttäuschen. Die Angst, zu versagen, war bereits sehr gross, was seine Beine leicht zittern liess. Er versuchte, sich zu entspannen, doch er versagte kläglich dabei und verfluchte sich im Stillen. So schwer konnte es doch nicht sein, eine Maus zu fangen? 

»Jetzt«, zischte seine Mentorin energisch in sein Ohr,  und er starrte einen Moment lang auf die Wühlmaus. Ich muss nur springen. Ging es ihm durch den Kopf, und er bemühte sich, sich gut zu konzentrieren. Doch stattdessen war er verwirrt, da die Wühlmaus immer wieder ein paar Schritte ging, nur, um danach eine Pause einzulegen, und danach wieder ein paar Schritte zu gehen. »Geh schon«, erklärte Rotkehlchenflügel, seine Mentorin, erneut, doch ehe er sich versah, stand er auf einen Zweig, der unter seinen Pfoten brach und schon sprintete der Wühler weg und ein tiefes Seufzen erklang in seinem Ohr. Sofort senkte er seinen Kopf und er hasste sich dafür, dass er immer zu lang wartete und so ungeschickt war.  Ich habe sie enttäuscht. Niedergeschlagen drehte Zweigpfote sich um und blinzelte zu Rotkehlchenflügel hinauf. Er wollte nichts sagen. Seine Augen versuchten seiner Mentorin zu erklären, was er berichten wollte, doch diese zuckte bloss verwirrt mit ihren Ohren. »Gehen wir zurück?«, miaute er nun hoffnungsvoll, da sie seine stille Botschaft vorhin nicht mitbekommen hatte. Nach dem misslungenem Jagdversuch wollte er lieber ins Lager zurück, da ihn sämtliche Motivation im Stich gelassen hatte. In seiner Stimme schwang auch etwas Müdigkeit mit, und ihm wurde bewusst, dass er viel zu wenig schlief.

Seine Mentorin starrte noch eine Weile auf den Fleck, auf dem die Wühlmaus gesessen war, und er versuchte, ihren Blick zu deuten. War sie fest enttäuscht? Hätte sie den Wühler noch fangen wollen? Zweigpfote versuchte bemüht, sie freundlich anzuschauen, und in seinem Kopf setzten sich ein paar Wortfetzen zusammen, die er ihr gerne als Entschuldigung aufgetischt hätte. Doch keiner dieser Sätze sagte er, sondern er wartete bloss darauf, dass sie schweigend nickte und die beiden zurück ins Lager marschierten.

Doch sein Wunsch löste sich nach einem schroffen »Nein« in Luft auf, und Zweigpfote zuckte zusammen. »Nein?«, hakte er müde nach und sah bestürzt zu Boden. Hatte er sie so fest enttäuscht? Wollte sie, dass sie so lange weiter jagten, bis er diesen Wühler fing? Selbst, wenn er bereits über alle Berge war? Das passte doch nicht zu ihr. Sie wusste genau, dass der Wühler bereits versteckt war. 

»Nein«, wiederholte Rotkehlchenflügel etwas sanfter und blinzelte ihn aufmunternd zu, was er jedoch nicht erwiderte. Wollte sie ihm wirklich gerade sagen, dass sie ihn weitersuchen sollten? »Wir haben heute noch keine Kampftechniken geübt.« Sofort überkam Zweigpfote etwas Freude. Seine Mentorin lernte mit ihm selten Kampfzüge - wann er mal etwas länger lernen durfte, überliess sie es meist ihrer Schwester Rosenfluch, die dann mit ihm trainierte, was ihn sehr wunderte. Einerseits hatten Rosenfluch und Rotkehlchenflügel nicht das engste Bündnis zueinander, anderseits waren beide doch genau gleich gute Kämpfer und konnten dieselben Kampftechniken.

»In Ordnung!« Mit neuer Energie sprang Zweigpfote neben ihr über einen Busch, bevor er auf zur Trainingskuhle flitzte. Er hörte, wie Rotkehlchenflügel ihm laut schnurrend folgte, und sofort empfand er grosse Zuneigung gegenüber seiner Mentorin. Sie wusste, was ihm gefiel, und sie war wirklich immer ehrlich zu ihm. Leider auch ziemlich ehrlich, wenn er etwas falsch machte, doch immerhin sagte sie die Wahrheit. Während Zweigpfote durch den Wald sprintete, hatte er den Wühler fast schon vergessen und freute sich riesig. Seine Motivation kehrte ebenfalls zurück, und er wunderte sich, weshalb er solche Freude am Kampf hatte. Normalerweise lehnte er immer ab, wenn es die Möglichkeit gab, an einem Grenzgemetzel zu helfen - solange man ablehnen konnte, er wirkte sonst ja unloyal -  und überliess es seinem Bruder Dachspfote, der ein ausgezeichneter Schüler war, doch am Kampftraining selbst zeigte Zweigpfote grosse Freude. 

Warrior Cats [Der Fluch der Sterne] Vergessene SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt