»Wie geht es dir?«, wiederholte Dachspfote und blickte besorgt auf die Kätzin herab. Seit Sonnenaufgang hatte er sich nach ihr erkundigt. Jedes Mal hatte sie, Coffee, mit einem »gut« geantwortet. Dachspfote hatte erleichtert geseufzt und den Blick ignoriert, den Tränenfeder ihm zuwarf. Sie schwieg, wenn sie Coffees Wunden behandelte.
Auch jetzt fiel Coffees Antwort gleich aus. »Mir geht es gut.«, miaute sie. Da Tränenfeder gerade nicht im Bau war, nur Zweigpfote und sein Bruder, fügte sie noch hinzu: »Ich glaube, der Clan schöpft bereits Verdacht.«
Zweigpfote, der im Eingang des Baus stand, trat unruhig von einer Pfote auf die andere. Dass der Clan Verdacht schöpfte, war untertrieben. Er hatte bereits gehört, wie sich ein paar Katzen fragten, wie sie sich wohl kennengelernt hatten. Dabei waren ihre Blicke etwas abschätzig gewesen, aber auch besorgt. Coffee war ein Hauskätzchen, Dachspfote ein Schüler - und ein loyaler noch dazu. Das ging nicht auf.
Dachspfotes Ohren zuckten. Natürlich hatte er ebenfalls von den kursierenden Gerüchten gehört. Doch ihn schien es nicht zu kümmern. Er machte beim Training weiter, und abends setzte er sich in den Heilerbau, um bei Coffee zu sein.
Zweigpfote zuckte zusammen, als Tränenfeder in den Bau schlich. Er war in Gedanken versunken rumgestanden, sodass er sie gar nicht gehört hatte. Dachspfote fuhr ebenfalls herum und beobachtete mit großen Augen, wie die Kätzin Coffee behandelte. Sie arbeitete konzentriert und vorsichtig, und auch wenn es sich bei ihrer Patientin um ein Hauskätzchen handelte, gab sie sich nicht weniger Mühe, als sie es bei einer Clankatze tun würde.
Coffee bedankte sich leise. »Ich sollte vielleicht wieder gehen.«, fügte sie hinzu, als sie einen Blick auf ihre behandelten Beine warf. Sie waren von verschiedenen Kräutern umwickelt, die Zweigpfote beim besten Willen nicht zuordnen konnte. Es hatte einen Grund, weshalb er sich dazu entschieden hatte, Kriegerschüler zu werden.
»Noch zwei Sonnenaufgänge, wenn es sich nicht entzündet. Was ich bezweifle.«, erklärte Tränenfeder mit einer sanften Stimme. Sie war neben Dachspfote wahrscheinlich die Einzige, die darauf beharrte, dass Coffee noch blieb. Das Hauskätzchen hatte sich immer wieder entschuldigt, weil sie keine großen Umstände bereiten wollte. Sie aß auch wenig.
Irgendwann bat Tränenfeder die Geschwister zu gehen. Coffee musste sich ausruhen, ausserdem konnten sie wohl kaum den ganzen Tag im Heilerbau sitzen. Zweigpfote eilte als Erster nach draussen und lief beinahe in Halbmondlicht hinein, die vor dem Heilerbau stand. Der Schüler wurde von der Sonne geblendet und musste mehrmals Blinzeln, um der Kätzin in die Augen sehen zu können. »Tut mir leid.«, murmelte er und huschte an ihr vorbei zu seinem Lieblingsort; dem Frischbeutehaufen.
»Isst du allein?« Kurz erwartete er Zweigpfote, Dachspfote wäre ihm gefolgt, doch dieser war sofort zum Training übergegangen. Es war Halbmondlicht, die ihn aufmerksam musterte. In ihren Augen spiegelte sich die Sonne, und ein Windhauch zerzauste ihr langes Fell. Für einen Augenblick kam es Zweigpfote so vor, als würde sie ein heller Schein umgeben, den nur er sehen konnte.
»Äh... ja.«, brachte der Schüler schliesslich raus und wandte sich sofort wieder der Beute zu. Er schnappte sich eine Maus, wie in der Blattleere oft mager und bereits alt, und drehte sich nochmals zu der Kriegerin um. »Außer, du möchtest auch.«
Er setzte sich eine kleine Erinnerung für ein anderes Mal, ja nicht wieder mit vollem Mund zu miauen.Belustigt senkte Halbmondlicht den Kopf. Sie schnippte mit der Schweifspitze in Richtung Kriegerbau. Sie liessen sich vor dem Bau nieder. Zweigpfote bemerkte, dass Halbmondlichts Augen nachdenklich in die Ferne gerichtet waren, als würde sie ihre Existenz in Frage stellen. Sie hatte auch gar keine Beute bei sich.
Der Kater schluckte ein Stück runter und fragte sich, ob sie schweigend da sitzen sollten oder ob er es mit etwas Konversation versuchen sollte. Er entschied sich für Letzteres und fragte, möglichst beiläufig: »Warum bist du eigentlich in letzter Zeit so selten bei Lichttraum?«
Halbmondlichts Kopf fuhr zu ihm herum. Ihr Blick war schneidend. Die Sonnen in ihren Augen verwandelten sich in Kälte. Das war nicht Zweigpfotes Ziel gewesen. Er drehte sich weg, eingeängstigt ihrer Reaktion. »Warum bist du in letzter Zeit so oft bei Dachspfote?«, stellte sie eine Gegenfrage. Ihren Unterton konnte Zweigpfote nicht einschätzen. Aber nett meinte sie die Aussage bestimmt nicht.
»Tut mir leid.« Erst, als der Schüler die Worte aussprach, bemerkte er, dass er sich heute bereits einmal bei ihr entschuldigt hatte. Manchmal würde er sich gerne für seine bloße Existenz entschuldigen.
Halbmondlichts Blick klärte sich. »Nein, alles gut.« Sie legte den Kopf schief, als würde sie abschätzen, ob sie Zweigpfote in ein Geheimnis einweihen sollte. Doch dann sah sie wieder weg, den Blick auf etwas gerichtet, dass Zweigpfote sich nicht vorstellen konnte. Er dachte ebenfalls nach, bevor er etwas auf seiner Maus herum kaute. Vielleicht hatten sie sich gestritten?
»In letzter Zeit ist sie etwas...eigenartig. Wir hatten einen Streit.«, bestätigte Halbmondlicht die Theorie des Schülers schliesslich. Ihre Stimme war ruhig und etwas verträumt. Sie blickte Zweigpfote wieder in die Augen. Der Schüler sah sofort weg. Warum stand etwas wie Reue in ihren Augen? Und Angst? Sie hatte doch wohl nicht getan, oder?
»Dachspfote und ich haben uns auch manchmal etwas gezankt.«, versuchte es Zweigpfote. Doch Halbmondlicht schüttelte wie erwartet den Kopf. »Dies hier ist anders.« Kurz entstand wieder Stille, die nur von dem Wind und dem Miauen anderer Katzen gefüllt wurde. Dann wandte sich die Kriegerin ein erneutes Mal zu dem Schüler um. »Du darfst mir natürlich trotzdem von Dachspfote und dir berichten, wenn du das möchtest.«
Zweigpfote fragte sich, weshalb sie ihm überhaupt Aufmerksamkeit schenkte. Sie schien so perfekt und er war bloß ein durchschnittlicher, langweiliger Schüler. Jedenfalls gaben ihm einige Katzen das Gefühl, als sei es so. Doch Halbmondlicht... an einigen Tagen ließ sie ihn fühlen, als sei er wirklich etwas Wert.
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Warrior Cats [Der Fluch der Sterne] Vergessene Schatten
FanfictionWenn sich der Himmel teilt, das Wetter verrücktspielt und plötzlich Katzen Füchse in Gedanken kontrollieren können, ist bestimmt nicht alles in Ordnung bei den Clans. Da ist sich Zweigpfote sicher. Zusammen mit der EisClan-Kriegerin Heideschatten, d...