6. Kapitel

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Müde blinzelte Lichttraum die Wand des Baus an. Es war finster, man konnte kaum etwas erkennen, bloss leichte Umrisse und vom Mondlicht gezeichnete Schatten. Der Vollmond stand hoch am Himmel, und da Lichttraum am Rande des Baus ihr Nest hatte, konnte sie ihn im Augenwinkel sehen. Es war dieselbe Nacht wie die der grossen Versammlung. Sie war müde, aber sie war nicht am schlafen und dachte nach. Sie dachte darüber nach, dass es bei den Clans momentan sehr gut lief, aber sie dachte auch an Tränenfeders besorgte Augen. Ihre Schulter schmerzte nicht mehr, doch trotzdem verspürte sie den drang, die Heilerin aufzusuchen.

Lichttraum war müde, ja, aber sie konnte nicht ans Schlafen denken. Ihre Gedanken waren viel zu laut und sie konnte nur schlafen, wenn es still war. Also erhob sie sich langsam aus ihrem Nest, bemüht, keine der Katzen zu wecken. Hellvogel drehte sich zu ihr um, doch ihre Augen blieben verschlossen. Hatte sie jemand gehört? Wenn schon, dann würde Lichttraum - sie überlegte kurz - ja, dann würde sie einfach meinen, sie müsste auf den Schmutzplatz.

Also trabte sie aus dem Kriegerbau und drehte den Kopf draussen hinüber in die Richtung des Heilerbaus. Sie überlegte nicht viel, als sie vorsichtig zu Tränenfeder spähte. Überraschenderweise war Tränenfeder gar nicht da, sondern nur ihr verlassenes Nest. Wo war die Heilerin? Sie war doch ganz bestimmt nicht mitten in der Nacht Kräuter sammeln gegangen. Die Kriegerin versuchte, keine Panik zu schieben, sondern nachzudenken; zuerst sollte sie überprüfen, ob das Nest warm oder kalt war.

»Suchst du etwas?«, wisperte eine Stimme an Lichttraums Ohr. Diese drehte sich mit aufgerissenen Augen um, doch dann erkannte sie die Katze vor ihr. Ihre Augen glänzten hell und ihr Kräutergeruch war unverwechselbar. »Tränenfeder«, flüsterte die Kriegerin zurück, »wo warst du?«

Die Heilerin setzte sich eng neben Lichttraum und blinzelte den Mond an. »Ich musste etwas überlegen. Deshalb bin ich gleich vorne auf der Lichtung gesessen und habe nachgedacht.« Die Heilerin drehte sich um, ihre Augen glänzten. »Hast du mich denn nicht bemerkt?«, fragte sie. Ihre Stimme war nicht neckisch und vorwurfsvoll sondern klang leise und etwas neugierig.

»Nein«, gab Lichttraum verblüfft zurück,»Ich habe dich gar nicht bemerkt.« Tränenfeder gab ein leises, belustigtes Schnurren von sich. »Und was treibt dich zu meinen Bau?«, erkundigte sie sich und spähte über ihre Schulter hinweg zu dem Heilerbau hinüber. Lichttraum musterte den Mond und beinahe hätte sie die Augen zusammengekniffen, so grell leuchtete er. »Eigentlich... eigentlich geht es um das, was du letztens gesagt hast«, fing die Kätzin an und überlegte, wie sie es erklären konnte.

Tränenfeder drehte sch wieder zu Lichttraum um. Ihre Augen leuchteten amüsiert und neugierig zugleich. »Du wunderst dich über die Bedeutung meiner Worte und suchst mich deshalb mitten in der Nacht auf?«, schnurrte die Heilerin. »Es scheint dir ja wirklich wichtig zu sein.«

Lichttraum sah leicht verlegen zu Boden. Tränenfeder hatte Recht. Was machte sie eigentlich? Was dachte sie sich dabei, mitten in der Nacht zum Heilerbau zu eilen, obwohl es keinen Notfall gab? »Tut mir leid«, seufzte Lichttraum schliesslich. »Aber... die Worte hallen einfach in mir nach wie ein Echo, das nie aufhören wird, erst, wenn ich weiss, was es mir mitteilen will. Verstehst du mich?« Die Kriegerin hoffte, dass ihre Worte nicht allzu verwirrend klangen.

»Oh, Lichttraum«, flüsterte Tränenfeder, »ich weiss so gut, was du meinst. Wenn man ein Rätsel lösen will, doch nirgends eine Antwort finden kann.« Sie rückte etwas näher an die andere Kätzin heran und miaute dann leise in ihr Ohr: »Was habe ich dann gesagt?«

Lichttraum lauschte auf die Wörter, die in ihrem Kopf nachhallten, bevor sie sie laut aussprach; »Was sollte das bedeuten? Wir sollten ein Problem lösen, dass ihr selbst gemacht habt, SternenClan?« und dabei dachte sie selbst nochmals über die Bedeutung der Worte nach. Tränenfeder neben ihr zuckte kurz zusammen, bevor sie nachdenklich den Kopf senkte. Sie wusste doch bestimmt, was sie damit gemeint hatte, nicht? Schliesslich hatte sie die Worte ausgesprochen.

Warrior Cats [Der Fluch der Sterne] Vergessene SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt